Nur weil ich ein Mädchen bin
- Text: Stephanie Hess
Dass die Macht ungleich verteilt ist zwischen den Geschlechtern, merkte annabelle-Redaktorin Stephanie Hess auf dem Schulweg.
Wir sind in der zweiten Klasse. Auf dem Nachhauseweg rufen meinen Freundinnen und mir mehrere Buben nach, wir seien doof. Wir ignorieren sie. Sie kommen immer näher. Als der Erste auf uns losgeht, werfe ich mich mit Elan in die kindliche Schlägerei. Als ich das nächste Mal aufschaue, sehe ich die anderen beiden Mädchen rennend um die nächste Ecke biegen. Ich mache weiter, schlage mich ganz gut. Bis ich schliesslich am Boden liege, einer der Jungs auf meinem Brustkorb. Ich schaffe es, ihn abzuwerfen, und renne auch weg. Es ist das erste Mal, dass ich die – in diesem Fall noch ziemlich unschuldige – Macht des Männlichen fühle. Und an noch etwas erinnere ich mich. Ich spüre es jetzt wie damals, als ich verzweifelt und mit pochendem Herzen zuhause im Flur ankomme: dieses befremdliche Gefühl, Angst haben zu müssen, unterlegen zu sein, besser wegzurennen – schlicht weil ich ein Mädchen bin.
Wenn man so will, glimmt da wohl der erste Funke von Feminismus in meinem kleinen Herzen auf. Der ausgeprägte Gerechtigkeitssinn meiner Mutter, die Bücher von Simone de Beauvoir und die Erzählungen einer Kunstgeschichtslehrerin – die von der Frauenbewegung immer in der Wir-Form spricht – entfachen in den Jahren darauf ein leise loderndes Feuer, das heute mal stärker aufflammt, mal weniger züngelt.
Inzwischen verleihe ich diesem Feuer nur noch verbal Ausdruck. Abgesehen von diesem einen Mal, als es im Club mit einem Typen zu einer lautstarken Auseinandersetzung kommt, weil ich ihm nach üblen Beleidigungen mit der flachen Hand zwei Mal ins Gesicht schlage. Am Ende ist er der Erste, der sich zurückzieht. Bestimmt auch deshalb, weil mir meine Freunde zur Seite stehen.