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«Nur Diktatoren haben keinen Sinn für Humor»

Leben

«Nur Diktatoren haben keinen Sinn für Humor»

  • Text: Kerstin Hasse; Fotos: Filmcoopi Zürich / Porträt Gerhard Kassner

Zurzeit läuft der Film «The Party» von Sally Potter in den Schweizer Kinos. Wir haben die britische Regisseurin in Zürich getroffen und mit ihr über die Komplexität von Frauenfreundschaften, die filmische Darstellung von Frauen in Machtpositionen und über Humor in dunklen Zeiten gesprochen. 

annabelle.ch: Sally Potter, mit Janet (Kristin Scott Thomas), der Hauptfigur in Ihrem neuen Film, zeigen Sie eine starke Frau, die selbstbewusst und erfolgreich ist –  deren Erfolg ihr aber gleichzeitig auch im Weg steht. Warum war es Ihnen wichtig, Janets Kampf mit der eigenen Stärke zu zeigen?
Sally Potter: Weil er der Realität entspricht. Alle Frauen sind stark, wir haben einfach verschiedene Herausforderungen und verschiedene Arten, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Wenn wir über Frauen auf der Leinwand sprechen, sind sie oft in einer eindimensionalen Art geschrieben und dargestellt. Sie sind entweder super stark oder sehr verletzliche Opfer. Aber natürlich sind wir alle viel komplexer. Als ich das Drehbuch schrieb, versuchte Hillary Clinton gerade, ihren Weg ins Weisse Haus zu ebnen –  an ihr konnte man gut beobachten, wie es Frauen in Machtposition ergeht. Sie werden zum einen auf ihr Äusserliches reduziert und zum anderen dafür attakiert, weiblich zu sein. Das darf nicht passieren, auch wenn ich finde, dass man weibliche Führungsqualitäten nicht romantisieren darf. 

Was meinen Sie damit?
Nur weiblich zu sein, reicht nicht als Argument für eine gute Führung. Wir Engländer wurden von Margaret Thatcher angeführt, und wir wissen, wie viel Gutes uns das gebracht hat. Man darf weibliche Führung nicht schönreden, gleichzeitig darf man Frauen in Machtpositionen nicht angreifen, weil sie Frauen sind. Ich glaube, das ist die grosse Herausforderung. Frauen, die viel Macht haben, werden oft menschliche Charaktereigenschaften zum Vorwurf gemacht, die negativ interpretiert werden. Sie werden als hart bezeichnet oder bitchy oder rabiat – all diese furchtbaren Adjektive, die man bei einem Mann durch Beschreibungen wie ehrgeizig oder stark ersetzen würde. Wenn man sich diese Komplexität von Frauen und ihren Rollen anschaut, merkt man, dass es eben keine Eindimensionalität gibt. Auch Frauen, die stark sind, sind verletzlich – und so will ich sie auch zeigen. 

Sie zeigen nicht nur die Komplexität weiblicher Rollen in der Gesellschaft, sondern auch die Komplexität von Frauenfreundschaften.
Ja, denn Frauenfreundschaften sind kompliziert: Frauen wollen zueinander gut sein, sie wollen sich nicht gegenseitig runtermachen, gleichzeitig können sie aber sehr destruktiv zueinander sein. Ich finde es besser, wenn man das anerkennt und dankbar ist, wie gut sich das dramaturgisch darstellen lässt. Das ist viel spannender als dieses romantische Stereotyp einer Frauenfreundschaft: Oh, wir sind Frauen, die nur süss und freundlich zueinander sind. Damit kann ich nichts anfangen. Ich bin leidenschaftlich, wenn es um meine Freundinnen geht, manche von ihnen begleiten mich schon mein Leben lang. Ich denke, dass Freundschaften einem viel geben und lang halten können, aber dass im Rahmen dieser Intimität auch sehr viel passieren kann: Es gibt Hochs und Tiefs, Streit, Betrug – aber eben auch Zusammenhalt. 

Mit dem Phänomen der linken, feministischen Sisterhood setzen Sie sich ebenfalls ironisch auseinander.
Ich stelle grundsätzlich alles infrage. Ich versuche, alles mit einem kritischen Auge zu betrachten – gleichzeitig ist es auch ein liebevoller Blick, den ich auf diese Themen werfe. Sisterhood ist ein wundervolles Konzept, und ich habe in diesem Sinn ganz tolle Sisters, die mich auf meinem Weg begleiten. Aber wir müssen auch einen ehrlichen Blick auf uns und unser Verhalten werfen. Das macht uns nicht schwächer, sondern stärker.

Ihr Film «The Party» ist sehr aktuell – vor allem in Betracht auf das knappe Ja der Briten zum Brexit. Man sieht das Abbild einer britischen Linke, die sich schwer mit ihrer Rolle tut, nicht recht weiss, was sie will, und sich gegenseitig bekämpft. Es scheint, als möchten Sie dem Publikum zeigen, wie es zum Brexit kommen konnte.
Als wir am Tag nach der Abstimmung ans Set kamen, sagten die Schauspieler: Der Film hat schon fast eine prophetische Note – obwohl wir ja keine Themen offen ansprechen, niemand redet von der Labour-Partei oder von den Tories, auch Europa oder der Brexit werden nicht genannt. Aber man spürt, dass etwas in der Luft liegt. Ein Gefühl, das mich damals, als ich vor vier Jahren mit dem Schreiben begann, umtrieb. 

Was für ein Gefühl war das?
Das Gefühl, dass niemand in der Politik wirklich die Wahrheit sagt. Ich dachte schon damals, dass uns das grosse Probleme einhandeln könnte. Der Verlust von Ehrlichkeit, der Verlust von Prinzipien und Wahrheit ist fatal. Die Anzeichen waren da, dass es zu einer Art Bürgerkrieg kommen könnte – was ja dann auch so mit dem Brexit oder in den USA mit Trump passiert ist. Der Brexit hat England gespalten, das Gleiche passierte in Amerika. Ich denke, das Gefühl eines drohenden Bürgerkriegs, die Atmosphäre, in einem Land zu leben, in dem sich die Bewohner gegeneinander auflehnen, ist ein wichtiger Teil der Geschichte, die ich erzählen möchte. In Fall meines Films ist es ein Bürgerkrieg in einem Haus, in einer Ehe, in einer Freundschaft. Das alles hört sich sehr ernst an, was es auch im Grunde ist, doch es wird in einer komödiantischen Form erzählt. Der heilende Prozess des Lachens legt sich über diese schwierigen Themen.

Der heilende britische Humor.
Ja, es gibt vieles, worauf ich nicht stolz bin als Engländerin, doch auf unseren Humor bin ich stolz. Ich denke, mit Humor kann man sehr gut arbeiten, man kann die Wahrheit auf lustvolle Arten erzählen. Stellen Sie sich vor, man hätte diesen Film nicht als Komödie, sondern als Tragödie erzählt – das wäre nicht auszuhalten, es wäre so schwer. Humor ist wichtig, er macht uns stark. Es sind nur Diktatoren, die keinen Sinn für Humor haben.

 

Ein Kammerspiel in Schwarz-Weiss
In ihrem neusten Werk lässt Sally Potter in 72 Minuten die Dinnerparty einer illustren Festgesellschaft der englischen Upperclass eskalieren – das Kammerspiel in Schwarz-Weiss läuft jetzt im Kino. Neben einer grossartigen Kristin Scott Thomas und Patricia Clarkson sieht man in «The Party» auch einen hervorragenden Bruno Ganz. Wie Sally Potter im Interview verrät, war es ein persönliches Ziel von ihr, eines Tages mit Ganz zusammen zu arbeiten: «Ich denke, er ist einer der grossartigsten Schauspieler in der Welt. Als ich die Rolle des Gottfried schrieb, kam mir die Idee, dass er den Part übernehmen könnte. Ich habe ihn dann in Zürich getroffen, und wir haben über den Film geredet und zu meiner grossen Freude hat er zugesagt.»

 

 

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«Es gibt vieles, worauf ich nicht stolz bin als Engländerin, doch auf unseren Humor bin ich stolz.» Regisseurin Sally Potter