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Noch einmal von vorn

Noch einmal von vorn

  • Text: Julia Heim

Insgesamt zwölf Stunden verbrachten Aleksandra Góes und Gabriela Gees gemeinsam in einem Auto, bevor sie beschlossen, zusammen eine Firma zu gründen. Für diesen Schritt gaben sie viel auf. Doch wenn man einen Traum hat, muss man ihn realisieren, davon sind die beiden Powerfrauen überzeugt.

Würden Sie Ihre rentable und über Jahre mühevoll aufgebaute Firma aufgeben, um mit einer Idee noch einmal von vorn anzufangen? Juristin und Life-Coach Aleksandra Góes und Marketingexpertin Gabriela Gees haben diesen Schritt gewagt. Obwohl die beiden Frauen bereits selbstständig tätig und erfolgreich damit waren, trennten sie sich von Agentur und Kunden und gründeten ein neues Unternehmen – zusammen.

Über eine gemeinsame Freundin lernten sich die beiden Unternehmerinnen vor eineinhalb Jahren kennen und entdeckten ihr gemeinsames Interesse für die Förderung von selbstständigen Frauen sowie kleinen und mittleren Unternehmen. «Wir fuhren zusammen nach München, um zwei Fortbildungen zu besuchen, und verbrachten insgesamt zwölf Stunden im Auto. Da blieb viel Zeit zum Reden. Noch während der Fahrt beschlossen wir, uns beruflich zusammenzutun», erzählt Gabriela Gees. Die 35-Jährige gründete mit 28 Jahren eine eigene Text- und Marketingagentur und erarbeitete sich in sechs Jahren eine rentable Selbstständigkeit. «Meine Idee mit der eigenen Agentur stiess auf Skepsis in meinem Umfeld. Gerade auch deshalb, weil ich als Angestellte einen tollen Lohn und gute Karrierechancen hatte», so Gees. Anders bei Geschäftspartnerin Aleksandra Góes – die Juristin, die ursprünglich aus Ex-Jugoslawien stammt und als Einzige in ihrer Familie das Gymnasium besuchte, erfuhr viel Zuspruch: «Meine Eltern vermitteln mir seit meiner Kindheit das Gefühl, dass ich alles schaffe, was ich mir vornehme. Mein Vater ist selbst Unternehmer. Er meinte, ich solle es probieren, wenn ich den Wunsch verspüre, mein eigenes Unternehmen zu führen.»

Ende 2014 gründete das Duo Góes & Gees Management, eine Agentur für interne Kommunikation in Unternehmen und Laufbahncoaching für selbstständige Unternehmerinnen. Das Angebot ist umfangreich und beinhaltet im Detail beispielsweise Beratungen für die Kundengewinnung, den Datenschutz oder die Entwicklung von Leitbildern, aber auch Seminare und Workshops für ein effizientes Zeit- und Stressmanagement. Über die Website können Anleitungen für Businesspläne, Email-Coaching oder Social-Media-Strategien bezogen werden.

annabelle.ch: Aleksandra Góes und Gabriela Gees, Sie waren bereits selbstständig tätig, haben sich aber dazu entschlossen, noch einmal bei null zu starten und gemeinsam eine Firma zu gründen. Weshalb?
ALEKSANDRA GÓES: Ich habe nun vier Jahre lang Menschen gecoacht und begleitet, nebenbei aber immer als Juristin gearbeitet. So konnte ich eruieren, wofür mein Herz wirklich schlägt. An der Tatsache, dass ich mich gern weiblich kleide, stören sich manche Leute. Sie schauen und werten. Mich hat immer sehr gestört, dass Menschen mich respektvoller behandeln, wenn sie wissen, dass ich Juristin bin. Wenn man seine eigene Firma hat, ist man unabhängiger von Konventionen und klischierten Mustern. Im letzten Jahr wurde mein Wunsch, hundert Prozent selbstständig tätig zu sein, immer stärker, und gemeinsam mit Gabriela konnte ich ihn realisieren.
GABRIELA GEES: Wir möchten uns beide nicht in ein Raster pressen lassen. Und wir möchten eine Balance finden zwischen dem eigenen Wohlbefinden und einer Arbeit, die uns erfüllt. Für mich ist beispielsweise wichtig, dass ich morgens mit meinen beiden Hunden spazieren gehen kann und sie mich dann ins Büro begleiten. Durch die Selbstständigkeit können wir uns unsere Zeit flexibel einteilen. Ein wesentlicher Punkt für einen Neustart war für mich aber die berufliche Partnerschaft mit Aleksandra. Ich habe zwar sechs Jahre lang meine Agentur aufgebaut und betrieben, doch hat mir immer der Austausch gefehlt. Ich schätze es sehr, dass wir nun gemeinsam an Projekten arbeiten und Ideen weiterentwickeln.

Sie beraten KMU aber auch selbstständige Unternehmerinnen. Warum ist es Ihnen wichtig, Frauen auf ihrem beruflichen Weg zu begleiten?
GÓES: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Unternehmerinnen sehr leidenschaftlich sind, wenn es um die eigene Idee geht, dass sie sich aber gern im Hintergrund aufhalten und sich nicht profilieren möchten. Dieses Selbstbewusstsein möchten wir aufbauen und unser Wissen weitergeben. Frauen sollten sich vernetzen und stärker zusammenarbeiten. Wir möchten Frauen dazu ermutigen, selbst eine Firma zu gründen und sich wertig zu präsentieren. Viele Frauen bieten ihre Produkte oder Dienstleistungen zu günstig an. Ausserdem warten sie oft zu lange, weil sie es erst wagen wollen, wenn alles perfekt ist. Uns ist wichtig, dass wir die Unternehmerinnen dazu motivieren können, es einfach zu tun. Sonst tut es ein anderer!

Zusammen investieren sie viel Zeit und Geld in Weiterbildungen und technisches Equipment. Die Qualität ihres Angebots muss stimmen, davon sind beide überzeugt. Sie bieten auf ihrer Website viele Tools gratis an, die Unternehmerinnen und Unternehmer zur Optimierung der eigenen Leistung nutzen können. «Wir müssen Vertrauen schaffen und potenziellen Kunden zeigen, was wir ihnen bieten wollen, bevor sie sich auf eine Zusammenarbeit einlassen», so Gees. Dazu drehen sie Videos und berichten von Messen und Events.

Sie leben beide in einer Partnerschaft ohne Kinder. Ist Familienplanung nicht vereinbar mit Ihrer Selbstständigkeit?
GÓES: Im Gegenteil. Heute wäre es vermutlich einfacher als in meinem Beruf als Juristin, speziell weil ich flexibler bin. Aber ich habe bisher noch keinen starken Kinderwunsch verspürt. Ich träume davon, in Braisilien etwas aufzubauen für Kinder, die keine Familie mehr haben. Deshalb muss ich jetzt viel arbeiten und Geld verdienen. (lacht)
GEES: Auch ich habe bisher noch keinen Kinderwunsch verspürt. Aber wenn er kommen sollte, wird es klappen mit der Vereinbarkeit. Auch bei meinen Hunden haben mir viele abgeraten. Es hiess, das liesse sich nicht machen mit einer Hundertprozentstelle. Aber es geht. Ich habe gelernt, niemals nie zu sagen. Wir wissen, wie es heute ist. Planung ist wichtig, aber wir sollten keine Energie verschwenden und uns um die Zukunft sorgen.

Die beiden Unternehmerinnen lieben ihre neue Aufgabe, das spürt man auf Anhieb. Sie lassen sich von anderen, erfolgreichen Frauen inspirieren und legen viel Wert auf ein gut funktionierendes Netzwerk. «Man sollte Informationen sammeln und sich an den Geschichten anderer erfolgreicher Menschen orientieren. Diese Karrieren pushen und machen Mut, sich auch zu trauen», ist sich Góes sicher.

Sie sprühen vor Energie und Tatendrang. Welchen Rat geben Sie Frauen mit auf den Weg, die sich selbstständig machen möchten?
GEES: Wichtig ist, sich nicht reinreden zu lassen. Man muss sich im Klaren darüber sein, was es heisst, ein Unternehmen aufzubauen und zu führen, und man muss sich fragen, ob man den Biss hat, Schwierigkeiten aushalten zu können. Ein Misserfolg ist auch immer eine Chance zu wachsen – diese Einstellung hilft sehr. Ausserdem muss die eigene Idee ein Alleinstellungsmerkmal bieten.
GÓES: Ich rate jedem dazu, die eigene Selbstständigkeit zu visualisieren und diese Vision komplett zu durchleben. Wie schaffe ich es, mich selbst zu motivieren? Sehe ich mich in einem Pyjama zuhause oder in einem Büro? Diese Bilder helfen bei der Umsetzung. Wir haben beide nebenbei teilzeit gearbeitet. Irgendwann muss man jedoch eine Entscheidung fällen, denn wenn man nicht hundert Prozent in etwas investiert, kann auch nicht hundert Prozent dabei herauskommen.

Wow-Frauen

Online-Redaktorin Julia Heim (rechts im Bild – mit Unternehmerin Franziska Freiermuth) begegnete in ihrem privaten Umfeld vielen Frauen, die sich selbstständig machen wollten, und begab sich deshalb auf die Suche nach mehr oder weniger frischgebackenen Unternehmerinnen in der Schweiz. In Interviews ging sie der Frage nach, warum der Wunsch nach Selbstständigkeit so stark ist und welche Tipps künftige Firmengründerinnen beachten sollten. Hier finden Sie alle Interviews mit den Unternehmerinnen.