Monika Bütler über den Zielkonflikt zwischen Beruf und Familie.
Vor vier Jahren gab die amerikanische Professorin für Politikwissenschaft Anne-Marie Slaughter ihre einflussreiche Stelle als Planungsstabschefin im Aussenministerium von Hillary Clinton auf, um näher bei ihren beiden Söhnen zu sein. Die Welt erfuhr davon in einem Aufsatz, der mittlerweile drei Millionen Mal gelesen wurde. Während einige den Schritt – gelinde gesagt – bedauerten, werteten dies andere begeistert als Triumph über die Vereinbarkeitslüge.
Ein Detail ging allerdings vergessen: Slaughters Entscheidung, den «Job bei Hillary Clinton aufzugeben, um für ihre Kinder da zu sein» (wie «Das Magazin» kürzlich schrieb), hiess: zurück an eine genauso anspruchsvolle Stelle als Professorin und Direktorin eines Thinktanks an der Princeton University. Eine Position mit deutlich mehr Zeitautonomie zwar, aber nicht das, was man normalerweise unter Teilzeitstelle versteht.
Der von Anne-Marie Slaughter beschriebene Konflikt zwischen Job und Familie ist nicht einmal besonders weiblich. Einige ihrer Kolleginnen und Kollegen (ja, auch viele Männer) hätten das Angebot schon gar nicht angenommen. Weil sie wussten, dass ein prestigeträchtiger Job im Weissen Haus bedeutet, dass man sowohl Familie wie auch Forschung für eine Weile an der Garderobe abgeben muss.
«You can’t have it all» – man kann nicht alles haben – lautete damals das Fazit von Slaughters Aufsatz. Für Ökonominnen ist dies nicht nur eine Binsenwahrheit, sondern geradezu die Basis der Volkswirtschaftslehre: die Lehre vom Umgang mit knappen Ressourcen. Natürlich kann man nicht alles haben. Wer sich für etwas entscheidet, gibt etwas anderes auf. Der Tag hat nun mal nur 24 Stunden. Auch für Männer.
Ironischerweise wird Anne-Marie Slaughter nun als Kronzeugin für die Überlegenheit einer traditionellen Arbeitsteilung in der Familie angeführt. Dabei würden sich die meisten Männer die Augen reiben, wenn ihre Partnerinnen eine so intensive Belastung als «für die Familie da sein» interpretierten. Und viele Frauen wären froh, sie hätten einen Partner, der ebenso flexibel ist wie Slaughters Mann, der ebenfalls Professor ist.
Weshalb dann die ganze Aufregung? Möglicherweise ist den Frauen der Zielkonflikt zwischen Familie und Beruf eher bewusst. Die Männer können sich mit dem Quatsch der Quality Time mit den Kindern noch eine Weile belügen. Bis sie – meist zu spät – merken, dass Quality Time heisst, auch mal mit einem übel gelaunten fiebrigen Kind zuhause zu bleiben. Das Magazin «The Economist» schrieb einmal: Kaum jemand würde auf dem Sterbebett bereuen, «I spent too little time with my boss» – ich hatte zu wenig Zeit für meinen Chef.
Wir sollten uns daher nicht länger aufhalten mit «You can’t have it all». Niemand kann alles haben. Alle müssen Entscheidungen treffen, zugunsten der Karriere, zugunsten der Familie. Immer gibt es dabei Zielkonflikte, auch zwischen den Vorstellungen der beiden Partner. Wir sollten gescheiter dafür sorgen, dass jede und jeder – unter den zeitlichen und finanziellen Beschränkungen, die halt da sind – die eigenen Wünsche so gut wie möglich erfüllen kann.
Selbst unter idealen Bedingungen würden sich Frauen im Durchschnitt anders entscheiden als Männer. Dazu meint Anne-Marie Slaughter: «Feminismus bedeutet für mich, dass Frauen die gleichen Möglichkeiten haben wie Männer, nicht, dass sie dann auch die gleichen Entscheidungen fällen.»
Von gleichen Möglichkeiten, allerdings, sind wir noch ein gutes Stück weit entfernt. Und genau dafür lohnt es sich zu kämpfen.
Monika Bütler ist Wirtschaftsprofessorin an der Universität St. Gallen