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Nicole Kidman im Interview: «Ich will vor nichts Angst haben»

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Nicole Kidman im Interview: «Ich will vor nichts Angst haben»

Oscargewinnerin Nicole Kidman fährt zuverlässig auf der Erfolgsstrasse – neuerdings auch als Produzentin von Hitserien wie «Big Little Lies». In ihrer Wahlheimat Nashville sprachen wir mit ihr über Entscheidungen, Zurückweisung und mütterlichen Rat.

Sie ist eine der grössten Schauspielerinnen unserer Zeit, hat sechs Golden Globes gewonnen, zwei Emmies und einen Oscar als beste Hauptdarstellerin in «The Hours». Und seit einigen Jahren ist die 55-jährige Australierin auch Produzentin von Serienhits wie «Big Little Lies».

Wir treffen die Frau, die spätestens seit ihrem Auftritt an der Seite von Ex-Ehemann Tom Cruise in Stanley Kubricks «Eyes Wide Shut» aus Hollywood nicht mehr wegzudenken ist, in ihrer Wahlheimat Nashville, wo sie mit ihren zwei jüngsten Töchtern Sunday Rose (14) und Faith Margaret (11) und ihrem Ehemann, dem Country-Superstar Keith Urban, lebt.

Kidman ist seit 2005 Botschafterin der Bieler Luxusuhren- Marke Omega und lädt im schicken Soho House, wo einige Gäste tatsächlich in Shorts und Cowboystiefeln an der Bar sitzen, zur Audienz. Man ist zwar bemüht, Lockerheit auszustrahlen, aber angespannt sind hier alle.

Publizistinnen wachen über die Situation, Journalistin um Journalist kommt schwitzend aus dem Interviewraum. «I mean, it’s Nicole Kidman!», sagt einer. Und dann steht sie da, 1.80 Meter gross (Highheels nicht eingerechnet) im crèmefarbenen Hosenanzug von Dolce & Gabbana, eine Omega Constellation am Handgelenk, eine blaue Krawatte umgebunden.

annabelle: Nicole Kidman, war es eigentlich eine feministische Entscheidung, neben der Schauspielerei auch Produzentin zu werden – sich von den Mächtigen in Hollywood unabhängig zu machen?
Nicole Kidman: Es ist einfach passiert. Ich habe Bücher gelesen, von denen ich dachte, dass sie wundervolle Filme oder Serien sein könnten, und mich dann gefragt: Wo sind die Leute, die so etwas verfilmen? Nirgendwo! Als Schauspielerin ist man immer abhängig – die Stoffe werden von anderen ausgewählt und dann muss man selbst auch immer noch ausgewählt werden. Und man wird ständig zurückgewiesen.

Ich arbeite seit meinem 14. Lebensjahr als Schauspielerin und das Erste, was ich erfahren habe, ist Zurückweisung. Das hört nie auf. Und alle sagen dir: Hey, nimm es nicht persönlich. Aber es ist nun mal persönlich. Man wird zurückgewiesen aufgrund seines Aussehens, seiner Stimme, Mangel an Talent – das ist doch hochgradig persönlich. Wenn man sich von dieser Abhängigkeit befreien und etwas Kontrolle und Macht gewinnen kann, fühlt sich das sehr gut an.

Dies aus dem Mund eines Hollywood- Stars Ihres Formats zu hören, ist irgendwie absurd. Nicole Kidman hat doch bestimmt ganz viel Macht?
Nun ja, die Macht ist begrenzt. Die Branche entscheidet irgendwann, dass dein Verfallsdatum erreicht ist und sie genug von dir hat. Oder sie sagen: «Wir haben schon alle Facetten von dir gesehen, wir wissen nicht mehr, was man aus dir noch rausholen kann.» Ich habe mich dann entschieden, auf mich selbst zu setzen, wenn es schon kein anderer tut, und habe die Zügel in die Hand genommen. Als Erstes habe ich einen kleinen Film namens «Rabbit Hole» selbst produziert, und es war eine der befriedigendsten Erfahrungen meiner Karriere. Wir sind nur vier Leute in unserer Produktionsfirma und nicht an der Weltherrschaft interessiert. Wir möchten einfach bewegende, kleine Produktionen machen.

«Big Little Lies» würde ich jetzt nicht unbedingt als kleine Produktion bezeichnen …
Ja, das ist ausser Kontrolle geraten (lacht). Aber es war am Anfang klein gedacht. Wir hatten keine Ahnung, dass die Serie so ein Erfolg werden würde. Wir arbeiten aus Leidenschaft und nicht, weil es ein Business ist. Wir nennen das «massgeschneiderte» Produktion. Ich kann es gar nicht leiden, unter kommerziellem Druck zu arbeiten. Da werde ich ganz hibbelig.

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«Man kann für das Leben keine Landkarte haben»

Sie haben öffentlich ein Versprechen abgelegt, mindestens alle 18 Monate mit einer Regisseurin zu arbeiten – und dieses Versprechen längst übertroffen.
Das Produzieren ist eine sehr erfüllende berufliche Phase, in die ich eingetreten bin. Es geht mir darum, neue Stimmen zu finden. Ich arbeite gern mit Regisseurinnen zusammen, die am Anfang stehen, und mir gefällt es, sie wachsen zu sehen. Und ich mag es, das Gewicht, das wir haben, für sie in die Waagschale werfen zu können und ihnen damit Schub zu verleihen. Wir haben eine Menge Wissen angesammelt. Nun bin ich in der Lage, die Dinge, die ich gelernt habe, weiterzugeben und anderen in eine Position der Stärke zu verhelfen, damit sie ihre Chancen ergreifen können.

Erinnern Sie sich an eine Chance in Ihrem Leben, die Sie nicht ergriffen haben?
Ich treffe Entscheidungen wie ein Teenager; ich denke nicht an die Konsequenzen. Und ganz ehrlich: Es fühlt sich gut an, nicht zu lang nachzudenken und einfach von der Klippe zu springen. Ich halte es da mit Joan Didion: Man kann für das Leben keine Landkarte haben. Man macht sich doch etwas vor, wenn man denkt, man wisse, wie das eigene Leben ausgehen wird. Ich bereue nichts, falls Sie darauf hinauswollen. Das ist doch Zeitverschwendung!

Sie haben als 14-Jährige ein Rollenangebot in «A Girl’s Own Story» von der grossen Jane Campion ausgeschlagen, weil Sie keine Badekappe tragen wollten.
Ja, genau! Ich wollte hübsch aussehen und ausserdem wollte ich kein Mädchen küssen. Ha, jetzt haben Sie mich erwischt: Diese Chance nicht ergriffen zu haben, bereue ich tatsächlich! Jane ist heute eine meiner besten Freundinnen.

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«Was ich noch lernen muss, ist, mich selbst besser zu bemuttern»

Als Sie zum ersten Mal schwanger wurden, hatten Sie vor, Ihren Beruf an den Nagel zu hängen. Zu unserem Glück haben Sie das nicht getan. Wie denken Sie heute an diese Zeit zurück?
Als ich schwanger wurde, habe ich mich als Erstes von einem Film zurückgezogen, weil ich nicht eine psychisch so anspruchsvolle Rolle mit einem Kind im Bauch spielen wollte. Ich wollte mein Kind und meinen Körper nicht diesen Gefühlen und Emotionen aussetzen. Und ich wollte ein neues Kapitel in meinem Leben aufschlagen und meine Karriere hinter mir lassen. Aber meine weise Mutter hat mich davon abgehalten. Sie hat zu mir gesagt: «Gib nicht alles auf, was du geschaffen hast. Du bist mein Kind, ich kenne dich, es ist in deinem Blut, kreativ zu sein, du darfst damit nicht aufhören.» Und ich habe gesagt: «Aber ich könnte doch kochen!» Da hat sie nur gelacht und geantwortet, dass ich niemals eine gute Köchin werden würde (lacht). Ich bin ihr heute sehr dankbar dafür.

Was sind Sie selbst für eine Mutter?
Ich begleite meine Kinder. Ich beobachte sie und versuche nicht, ihnen meine Identität aufzuzwingen. Ich bringe meinen Töchtern bei, alles aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, gutmütig zu sein, empathisch, sanft mit sich selbst und mit anderen. Ich selbst war immer sehr hart zu mir – und bin es noch heute. Hätte ich keine eigenen Kinder, wäre ich wohl anderen Menschen eine Mutter, denn ich bin eine sehr mütterliche Person. Ich liebe es, mich um andere zu kümmern. Es ist auch gar nicht unbedingt selbstlos – es macht mich glücklich, es gibt mir Energie.

Ich wollte als junge Frau erst keine Kinder haben, dann wollte ich welche und habe herausgefunden, dass es für mich sehr schwierig werden würde. Ich habe sehr, sehr lang versucht, ein Kind zu bekommen, und wurde dann endlich mit vierzig zum ersten Mal schwanger. Es war eine Achterbahn der Gefühle. Aber da ich selbst eine sehr glückliche Empfängerin von unglaublicher Mutterliebe bin, freue ich mich nun so sehr über die Chance, sie weitergeben zu können. Adoptierte Kinder, biologische Kinder, Menschen, die Hilfe brauchen: Es spielt keine Rolle – ich möchte diese Liebe weitergeben. Was ich noch lernen muss, ist, mich selbst besser zu bemuttern.

«Man droht auszubrennen, wenn man versucht, alles mitzunehmen, weil man denkt: ich kann, ich kann, ich kann.»

Inwiefern?
Ich habe früher manchmal zu viel gemacht. Man droht auszubrennen, wenn man versucht, alles mitzunehmen, weil man denkt: ich kann, ich kann, ich kann. Und dann stellt man fest: Nein, ich kann eben nicht alles – weder körperlich noch geistig. Das zu lernen, war ein sehr harter Weg. Dabei ist die Stille herrlich. Nun bin ich bereit, auch mal still zu sitzen und einfach nur zu sein. Ich kann Dinge heute auch mal nur in meinem Kopf erleben. Ich lese ein Stück, Ibsen oder Tschechow, und denke, das hätte ich jetzt gern gemacht. Aber ich weiss: Es liegt nicht drin, da ist zu wenig Zeit. Also muss es reichen, hier zu sitzen und es mir vorzustellen. Was ist denn Zeit überhaupt? Aber ich höre besser auf, sonst sind wir dann bei Proust und werden ewig hier sitzen. Ich bin wohl etwas zu existenziell unterwegs, so mitten am Tag (lacht).

Sie haben zu wenig Zeit, weil Sie so viel vorhaben?
Nein, weil sich meine Prioritäten verschoben haben. Ich habe zwei Mädchen und bin nicht bereit, darauf zu verzichten, abends auf ihren Betten zu sitzen und mit ihnen zu sprechen. Ich liebe ihren Verstand. Ich liebe ihre Herzen. Ich liebe es, mit ihnen das Leben zu erforschen. Und nicht da zu sein, das schaffe ich einfach nicht. Und meinem Mann Keith geht es genauso. Alle sagen immer: Ihr solltet als Paar Ferien machen. Und wir sagen immer, nein, nein, wir bleiben lieber hier bei unseren Mädchen. Ich mag unsere kleine Gruppe. Ich habe mich in diese kleine Gruppe verliebt.

Seit 2006 engagieren Sie sich auch für die United Nations, unter anderem für Kinder in Not.
Ja, und das erfüllt mich sehr. Ich musste aber erst einmal lernen, dass Empathie zwar gut ist, aber nicht immer hilfreich. Als ich mit krebskranken Kindern gearbeitet habe, bin ich selbst in Tränen ausgebrochen und habe dann gemerkt: Stopp, das hilft niemandem! Es geht hier nicht um dich. Du musst für sie stark sein. Nicht umgekehrt. Das war für mich ein wichtiger Reality-Check.

«Ich mag es, dorthin zu gehen, wo es wehtut. Ich lebe, fühle, atme eine Rolle»

Sie sind dafür bekannt, als Schauspielerin komplett in Ihren Rollen einzutauchen. Wie grenzen Sie sich ab?
Ich mag es, dorthin zu gehen, wo es wehtut. In «Destroyer» etwa hat mich interessiert, was mit einer Frau passiert, wenn sie merkt, dass sie ihr Leben vergeudet hat. Wenn man so viele falsche Entscheidungen getroffen hat, dass nur noch Wut übrig bleibt. Es war eine schwere Arbeit, die mich auch psychisch sehr belastet hat. Aber ich frage mich halt immer: Was kann ich tun, das ich noch nicht getan habe?

Ich will vor nichts Angst haben. Ich lebe, ich fühle, ich atme eine Rolle – und deswegen muss ich lernen, besser auf mich selbst aufzupassen. Ich kann nicht mehr zu viele schwere Rollen direkt nacheinander spielen. Das ist belastend für meine Psyche und meine Gesundheit. Ich bin keine technische Schauspielerin, die sich besonders gut abgrenzen kann. Also habe ich nach «Destroyer» einfach eine romantische Komödie gedreht (lacht).

In der neuen Omega-Kampagne «My Choice» geht es darum, zu feiern, wer man ist. Wer ist denn nun eigentlich Nicole Kidman?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals für mich entschieden habe: Okay, das bin ich. Es ist ein ständiger Wandel. Ich mag, dass ich mich verändern darf, dass ich meinen Standpunkt ändern darf, dass ich meinen Geschmack ändern darf, dass ich ständig im Fluss bin. Es ist doch eine Illusion, dass man jemals ankommt und ganz genau weiss, wer man ist. Ich mag keine Starrheit, das ist wohl das, wogegen ich im Leben am meisten ankämpfe.

Für die meisten Menschen sind Sie vor allem ein Filmstar. Sie sind die Frau in den tollen Roben auf den roten Teppichen.
Ich gebe zu: Ich mag Glamour und ich finde es toll, wenn man sich bewusst fein macht. Die Zwanziger- und Dreissigerjahre oder das alte Las Vegas! Ich mag altmodische Eleganz und Vintage – Uhren oder Kleidung – und begrüsse es zum Beispiel, dass Supper Clubs zurückkommen. Ich habe ein Faible für Oldschool-Glamour. Mich wird man nicht in Flipflops in einem Flugzeug sehen. Niemals.

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