Der Schweizer Künstler Julian Charrière färbte Tauben bunt. Wir fragten warum.
Zusammen mit Julius von Bismarck konstruierten Sie 2012 eine Farbdusche für Stadttauben: Die Vögel, die in die Falle gingen, kamen bunt wieder heraus. Wofür das Ganze?
Tauben sind ein Musterbeispiel für das Leben in der Grauzone zwischen Kultur und Natur. Der Mensch hat sie domestiziert und durch Zucht zu Brieftauben gemacht. Heute, wo sie als Kommunikationsmittel nicht mehr gebraucht werden, kolonisieren sie unsere Städte, ohne dass wir ihnen viel Beachtung schenken. Die farbige Markierung lässt sie uns plötzlich wieder als individuelle Tiere wahrnehmen – und damit auch unsere Umgebung neu sehen.
Wie haben die anderen Tauben auf ihre bunten Artgenossinnen reagiert?
In einem früheren Projekt habe ich einmal versucht, eine domestizierte weisse Taube freizulassen, aber sie wurde bei der Futtersuche von den anderen Tauben weggepickt. Erst als ich sie grau färbte, akzeptierten die anderen sie. Bei den bunten Tauben konnten wir keine negativen Reaktionen feststellen. Im Gegenteil: Wir hatten den Eindruck, dass ihre neue, auffffällige Farbenpracht bei den Artgenossinnen gut ankam.
Die schönsten Tiere ihres Projekts zeigen Sie jetzt in einem Bildband, mit hinreissenden Gedichten und Texten. Wäre das nicht ein guter Anlass, Ihre Farbdusche in Serie gehen zu lassen – für mehr Poesie in unseren Städten?
Stimmt. Aber die Sache hätte einen Haken. Wenn die Begegnung mit einer bunten Taube zur Regel wird, verliert sich der Überraschungseffekt und damit auch die Poesie.
Julian Charrière u. a.: Some Pigeons Are More Equal Than Others. Lars Müller Publishers, Baden 2015, Englisch, 178 Seiten, ca. 50 Franken