annabelle-Redaktorin Helene Aecherli ist der Meinung, dass wir gerade in Zeiten wie diesen den Mut haben müssen, auch unangenehme Dinge beim Namen zu nennen. Tun wirs nicht, tragen wir zur Verbreitung von populistischem Gedankengut bei.
Vor kurzem diskutierten mein 27-jähriger marokkanischer Arabischlehrer und ich über Begriffe, die es – obwohl erst Februar – dieses Jahr in der Rangliste des Unwortes des Jahres garantiert bis nach ganz oben schaffen werden. «Alternative Fakten» gehört dazu, allen voran aber «Nafri», «nordafrikanische Intensivtäter». Eine Abkürzung, die die Kölner Polizei während ihres Einsatzes in der letzten Silvesternacht benutzte, um potenzielle Gewalttäter herauszufiltern. Im Jahr zuvor hatten sich in Köln Hunderte von jungen meist nordafrikanischen Männern an unzähligen Frauen vergangen. Die Silvesternacht 2016/17 verlief friedlich – gerade wegen des Polizeieinsatzes. Doch stand danach nicht die verhinderte Gewalt im Vordergrund, sondern der Aufschrei um den Begriff «Nafri». Damit handelte sich die Polizei massive Rassismusvorwürfe ein.
Auch ich hatte «Nafri» als diskriminierend empfunden, hatte es als fahrlässig erachtet, eine Gruppe nordafrikanischer Männer, Marokkaner, Tunesier, Algerier, pauschal als mögliche Täter ins Visier zu nehmen. Gerade die Political Correctness, fand ich, fungiert als Schutz gegen undifferenzierte Angriffe auf fragile Bevölkerungsgruppen. Dies tat ich meinem Arabischlehrer kund, davon ausgehend, dass er mir zustimmen würde. Doch er runzelte die Stirn. «Jetzt mal im Ernst», sagte er. «Wie hätte man diese Typen sonst benennen sollen? Als ‹delinquierende Flüchtlinge›? ‹Ausländische Intensivtäter›? Es sind nordafrikanische Kriminelle. Nafri eben. Punkt.»
Ich muss ihn überrascht angestarrt haben, denn seine Stimme wurde eindringlicher. «Ich habe Nafri zuhause in Marokko erlebt, in meinem Dorf, in den Grossstädten. Ungebildete, wütende junge Männer, ein pöbelnder Mob. Ich wurde sogar im Asylheim von Nafri angegriffen, hier in der Schweiz, weil ich schrieb und Bücher las, weil sie realisierten, ich bin nicht einer von ihnen.» Als er den Begriff «Nafri» zum ersten Mal hörte, sei es ihm nicht in den Sinn gekommen, sich diskriminiert zu fühlen. Er wusste: Das bin nicht ich. All die Empörten aber, fügte er hinzu, die bei Begriffen wie «Nafri» rotsehen und «Rassismus» schreien, hätten im Grunde Angst vor einer offenen Debatte. Klar, die mag unangenehm sein. Aber mit ihrer Angst schadeten sie gerade jenen, die sie schützen wollten. In diesem Fall der überwiegenden Mehrheit der Flüchtlinge selbst, die in Europa Schutz und Perspektiven suchen.
Dieses Gespräch rüttelte mich auf. Politische Korrektheit, das machte es mir klar, trägt kaum zu einem konstruktiven gesellschaftlichen Miteinander bei. Denn wer Unangenehmes unter dem Deckmantel der politischen Korrektheit verharmlost oder negiert, ist weder nett noch höflich, sondern überlässt die politische Debatte dem rechten Lager – und trägt dazu bei, rassistische und extremistische Tendenzen in der Gesellschaft zu nähren. Eine nüchterne Benennung der Tatsachen hingegen ist ein Zeichen von Respekt gegenüber der gesamten Bevölkerung, Migranten eingeschlossen. Denn dies zeigt, dass ein Problem erkannt wird, man sich nicht davor scheut, es auszusprechen und auch danach zu handeln. Klartext ist gerade in Zeiten wie diesen, in denen sich Leute wie AfD-Sprecherin Frauke Petry oder US-Präsident Donald Trump als Hüter der Wahrheit aufspielen, mehr denn je vonnöten.