Nestlé-CEO verteidigt sich
- Text: Barbara Achermann; Fotos: Barbara Achermann (1), Sébastien Agnetti (1)
Eine Wissenschaftlerin bringt die Spitze des Grosskonzerns Nestlé in Lausanne vor Gericht.
Der Wilhelm Tell vor der Palais de Justice in Lausanne ist nicht in Kampfstimmung. Die Statue blickt besonnen auf den blassen See und lässt die Armbrust sinken. Eine Frau übernimmt heute den Aufstand gegen die Obrigkeit. Die ehemalige Nestlé-Mitarbeiterin Yasmine Motarjemi hat das Management des Grosskonzerns verklagt. Es geht um Mobbing und Lebensmittelsicherheit, wir haben ausführlich darüber berichtet.
Eigentlich sollte die Anhörung in Lausanne öffentlich sein. Doch letztlich waren dann doch nur Journalisten zugelassen, erschienen ist ein gutes Dutzend. Auch einige Polizisten mit kugelsicheren Westen waren vor und im Gericht anwesend. Nestlé selber hatte davor gewarnt, Aktivisten könnten den Prozess stören. Doch nichts dergleichen ist geschehen.
Klägerin Yasmine Motarjemi wirkte aufgebracht, als sie gemeinsam mit ihrem Sohn den Saal betrat. Nestlé-CEO Paul Bulcke hingegen schlug gelassen ein Bein über das andere, faltete die Hände im Schoss und gab der Richterin knapp und freundlich Antwort. Nein, er erinnere sich nicht an das Organigramm, auf dem Motarjemi unter den Sekretärinnen aufgelistet war. Aber es sei möglich, dass es ein solches gegeben habe. Motarjemi war im Jahr 2000 keinesfalls als Sekretärin eingestellt worden, sondern als Global Food Safety Managerin. Will heissen, sie war im Konzern weltweit für die Lebensmittelsicherheit zuständig. Zehn Jahre später wurde sie von Nestlé fristlos entlassen. Weshalb es dazu gekommen ist, darüber streiten sich die Parteien nun vor Gericht.
Bei Nestlé herrsche eine Kultur der Angst, lautet ein Vorwurf von Motarjemi. Bulcke entgegnete: «Ich arbeite bereits seit über 36 Jahren bei Nestlé und erkenne mein Unternehmen in diesen Anschuldigungen in keiner Weise wieder.» Auch den Vorwurf, dass Nestlé nachlässig mit der Lebensmittelsicherheit umgehe, liess er nicht gelten, und wiederholte, was zuvor der Pressesprecher den Medien diktiert hatte: zwischen 5000 und 6000 Mitarbeitende seien für den Qualitätscheck der Produkte zuständig. Die Richterin wandte ein, es sei ein Unterschied, ob man in der Fabrik die Qualität eines Biscuits prüfe oder strategisch für die Sicherheit verantwortlich sei. Ob Motarjemi auf ihrer Hierarchiestufe als einzige für die Lebensmittelsicherheit zuständig gewesen war, wollte sie von Bulcke wissen. «Das weiss ich nicht», sagte dieser. Als nächstes rief die Richterin den heutigen Nespresso-Chef Jean-Marc Duvoisin auf, dereinst Leiter Human Resources. Duvoisin ist braun gebrannt und etwas angriffiger als Bulcke. Er wirft Motarjemi vor, sie sei «zu theoretisch und detailversessen», «unflexibel und rechthaberisch». Man habe versucht, gemeinsam einen gangbaren Weg zu finden, ihr verschiedene Alternativen im Unternehmen angeboten, aber: «Die Klägerin wollte gar keine Lösung.»
Motarjemi selber durfte an diesem Tag nichts entgegnen. Sie fixierte ihre ehemaligen Vorgesetzten mit entschlossenem Blick und geradem Rücken. Nach Bulcke und Duvoisin wurden noch zwei weitere Nestlé-Kader befragt. Ein Urteil wird erst im kommenden Jahr gefällt. Am 2. Februar finden die nächsten Anhörungen statt.