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Natalie Rickli will trans Jugendliche «schützen»: Gefährliche Symbolpolitik auf den Körpern von Minderjährigen

Natalie Rickli will trans Jugendliche «schützen»: Gefährliche Symbolpolitik auf den Körpern von Minderjährigen

Natalie Rickli will, dass geschlechtsangleichende Operationen bei unter 18-Jährigen verboten werden. Ihre Forderung ist polemisch und willkürlich – und ein gefährlicher Angriff auf die Gesundheitsversorgung von trans Jugendlichen, schreibt unsere Autorin Darja Keller in ihrem Kommentar.

Natalie Rickli, die Vorsitzende der Zürcher Gesundheitsdirektion, forderte jüngst ein nationales Verbot von geschlechtsangleichenden Operationen bei Minderjährigen. Zudem will sie den Einsatz von Pubertätsblockern, die die körperliche Entwicklung aufschieben, nur noch im Rahmen klinischer Studien erlauben. Sie wolle Jugendliche schützen, sagt Rickli, die für die SVP im Zürcher Regierungsrat sitzt. Die Forderung ist nicht nur trumpesk-populistisch und ignoriert wissenschaftliche Fakten – sie ist gefährlich.

Ihren Anfang nahm diese Geschichte, die nun in der Forderung nach einem nationalen Verbot gipfelt, im Jahr 2023 mit einem Brief von neun Eltern, die Kritik an der medizinischen Versorgung von trans Jugendlichen im Kanton Zürich anbrachten. Sie bemängelten gegenüber der Zürcher Gesundheitsdirektion, diese würden zu schnell und ohne hinreichende Absprache mit den Erziehungsberechtigten behandelt. Daraufhin gab das Amt für Gesundheit eine Untersuchung in Auftrag, die den Vorwürfen nachgehen sollte.

Strenge Auflagen im Prozess einer Transition

Diese stellte keine Mängel fest: Bereits jetzt ist der Prozess einer Transition eng begleitet und unterliegt strengen Auflagen; die Nationale Ethikkommission fasste die Lage 2024 in diesem Bericht zusammen. Bis eine medizinische Intervention auch nur empfohlen wird, braucht es umfangreiche Abklärungen. Im Falle der Eltern, die sich bei der Gesundheitsdirektion meldeten, fand eine solche Empfehlung nicht statt.

Dennoch forderte die Gesundheitsdirektion die Spitäler 2024 auf, Operationen bei Minderjährigen «mit äusserster Zurückhaltung» durchzuführen.

Im Jahr 2023 wurden im Kanton Zürich 14 geschlechtsangleichende Operationen an Minderjährigen durchgeführt; im Jahr 2024 waren es vier. Regierungsrätin Rickli findet jedoch: Das ist immer noch zu viel. Eine geschlechtsangleichende Operation sollte man erst mit 18 machen dürfen. Weil das auf kantonaler Ebene rechtlich nicht durchführbar ist, richtet sie sich an den Bund. Ihre Argumentation: «Man darf auch erst mit 18 heiraten, einen Mietvertrag unterschreiben, wählen und abstimmen».

Was passiert alles, bevor wir 18 werden?

Was passiert alles, bevor man 18 wird? Du ziehst dich im Sportunterricht vor Gleichaltrigen um, bekommst von der Gynäkologin die Pille verschrieben, verliebst dich vielleicht, musst mit deiner Herkunftsfamilie klarkommen und mit deinem Körper. Dieser verändert sich vor deinen Augen. Vielleicht ist das der Moment, in dem man merkt: Das bin nicht ich. Es ist darum kein Wunder, dass gerade der Beginn der Pubertät (und nicht der 18. Geburtstag) bei vielen trans Jugendlichen existenzielle Fragen aufwirft.

In dieser vulnerablen Situation brauchen sie adäquate Begleitung – und bei Bedarf psychologische und medizinische Unterstützung. Bekommen sie diese nicht, kann das lebensbedrohliche Auswirkungen haben: Auf der gleichen Medienkonferenz spricht die Psychiaterin Susanne Walitza vom erhöhten Suizidrisiko trans Jugendlicher. Dieses ist durch eine Vielzahl internationaler Studien belegt (hier eine Übersichtsdarstellung, S. 71-72). Und sie spricht auch davon, wie sich die Lebenssituation nach der Einnahme von Hormonen oder nach geschlechtsangleichenden Operationen tendenziell verbessert.

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"Rickli stellt die Situation dar, als würden sich reihenweise Jugendliche irreversiblen Operationen unterziehen"

Der Mythos von den Massen, die Operationen bereuen

Es ist aber nicht nur gefährlich, wenn trans Jugendlichen medizinische Versorgung verweigert wird. Die Verbotsforderung gründet auch auf einer ungenügenden Faktenlage: Rickli stellt die Situation dar, als würden sich reihenweise Jugendliche irreversiblen Operationen unterziehen.

Dabei ist die häufigste medizinische Massnahme die Abgabe von Pubertätsblockern – die ebenfalls mit grosser Sorgfalt erfolgt und den Jugendlichen vor allem Zeit verschaffen soll, sich allfällige weitere Schritte in Ruhe zu überlegen. Rickli spricht in der Pressekonferenz vom Montag wiederholt davon, dass es Menschen gäbe, die geschlechtsangleichende Massnahmen bereuen. In der Fragerunde hakt ein Journalist nach: Gibt es dazu Zahlen?

«Ich kenne die Geschichten, die Sie auch kennen», antwortet Rickli vage. Tatsächlich liegt der Anteil derer, die geschlechtsangleichende Massnahmen bereuen, gemäss dieser niederländischen Langzeitstudie oder auch dieser US-amerikanischen Analyse bei gut ein Prozent. Zum Vergleich: Sieben Prozent bereuen eine Vasektomie, neun Prozent die Prostata-Entfernung.

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"Es ist ein falscher, heuchlerischer und herablassender Schutz, wenn eine Gesellschaft trans Jugendlichen durch ein Verbot Fürsorge verweigern will"

Wir brauchen keine Rückschritte in der Gesundheitsversorgung einer sowieso schon vulnerablen Bevölkerungsgruppe. Und trans Jugendliche brauchen neben dieser Versorgung noch viel mehr: Sie brauchen andere trans Jugendliche, niederschwellige Beratungsangebote, eine Community. Das Wissen, dass sie nicht allein sind, und Räume, in denen sie sich ausprobieren, Spass haben, sich selbst feiern können. Was sie auf jeden Fall brauchen, ist eine Gesellschaft, die sie ernst nimmt und sich ihre Bedürfnisse anhört.

Einer von vielen möglichen Akten der Fürsorge

Rickli spricht über trans Jugendliche mit melodramatischem Paternalismus. Als wären ihre Körper und Geschichten unabdingbar verbunden mit einem tragischen Schicksal, vor dem man sie bewahren muss – und die ganz schlimmen Fälle, die genug gelitten haben, können sich ja dann mit 18 operieren lassen. Es ist ein falscher, heuchlerischer und herablassender Schutz, wenn eine Gesellschaft trans Jugendlichen durch ein Verbot Fürsorge verweigern will. Denn eine geschlechtsangleichende Operation ist in erster Linie das: einer von vielen möglichen Akten der Fürsorge.

Rickli im Kulturkampf

Rickli, Schutzpatronin der Jugendlichen, wagt am Schluss noch einen besonders wirren Vergleich: «In Zukunft», sagt sie, «werden wir uns vielleicht fragen: Wie konnten wir unseren Jugendlichen das damals antun? So, wie wir uns gefragt haben, wie wir das den Verdingkindern antun konnten.» Fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Kindsmissbrauch mit dem Selbstbestimmungsrecht von jungen Menschen gleichzusetzen – das braucht schon einiges an logischer und moralischer Flexibilität.

Ich glaube nicht, dass Sie trans Menschen kennen, Frau Rickli. Ich selbst bin nicht trans, aber viele meiner liebsten Freund:innen, ein wichtiger Teil der Familie, die mich seit meiner Jugend begleitet und die für meine Rechte so oft auf die Strasse gegangen ist. Meine Lage hat sich gebessert – aber meine Freund:innen befinden sich gerade mitten in einem Kulturkampf, den sie nicht selbst gewählt haben.

Ein gesundes und selbstbestimmtes Leben

Sie, Frau Rickli, befeuern diesen Kulturkampf. Sie machen Symbolpolitik auf den Körpern von Minderjährigen. Ich verstehe nicht, warum eine derart populistische Forderung, die im letzten Jahr vier Fälle im Kanton Zürich betroffen hätte, Jugendlichen helfen könnte. Haben Sie sich vom US-amerikanischen Präsidenten inspirieren lassen? Oder von einem gesellschaftlichen Klima, das in Mastektomien eine grössere Bedrohung sieht als in Femiziden?

Wenn Ihnen der Schutz von Jugendlichen am Herzen liegt, dann lassen Sie uns über den Schutz reden, den diese tatsächlich brauchen. Nämlich Schutz vor denen, die ihnen ein gesundes und selbstbestimmtes Leben absprechen wollen.

Du möchtest reden oder brauchst Hilfe?

Beim Transgender Network Switzerland TGNS findest du eine Übersicht von Beratungsstellen von und für trans Menschen in verschiedenen Städten, ausserdem Angebote speziell für Jugendliche.

Die LGBTIQ-Helpline berät bei allen Fragen zum Thema Queerness und  dient ausserdem als Meldestelle für homo- und transfeindliche Diskriminierung.

143 – Die Dargebotene Hand (Crisis support in English: heart2heart.143.ch)

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