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Nachfolge von Viola Amherd: Wer lafert, muss auch liefern
- Text: Andrea Kučera
- Bild: Keystone
Die Mitte-Frauen haben hoch gepokert – und verloren: Sie forderten mindestens eine Frau auf dem Bundesrats-Ticket. Doch fanden sie keine, die Bundesrätin werden will. Was sich daraus lernen lässt.
Wir kennen zwar den Namen des künftigen Mitte-Bundesrats noch nicht, aber wir wissen mit Sicherheit, dass es ein Er sein wird. Denn für die Nachfolge von Viola Amherd stellen sich nur Männer zur Verfügung: Bauernpräsident Markus Ritter und der Zuger Gesundheitsminister Martin Pfister. Nichts gegen die beiden Herren – aber aus emanzipatorischer Sicht sind das keine erbauenden Aussichten: 14 Jahre nach der historischen Frauenmehrheit im Bundesrat schrumpft der Frauenanteil auf zwei. Wir stehen wieder dort, wo wir Ende der 1990er Jahre schon einmal waren.
Dabei starteten die Mitte-Frauen im Januar kämpferisch und voller Enthusiasmus in die parteiinterne Ausmarchung: «Die Mitte-Frauen fordern mindestens eine Frau auf dem Ticket», sagte Präsidentin Christina Bachmann-Roth gegenüber CH Media. Und im Gespräch mit der Zeitung «Le Temps» liess sie selbstsicher verlauten: «Wir haben bei der Mitte-Partei Frauen, die gewillt sind, diese Verantwortung zu übernehmen.» Die erste Frauenkandidatur als Mitte-Partei schien nur eine Frage der Zeit. Doch es kam anders.
Nach Ablauf der Bewerbungsfrist bleibt nur die bittere Erkenntnis: Die Mitte-Frauen haben hoch gepokert – und verloren. Es gibt aktuell bei der Mitte-Partei schlicht keine Frau, die Bundesrätin werden will. Punkt. Aus. Ende der Durchsage.
Bachmann-Roths Vorpreschen war ungeschickt. Denn mit dem Platzieren von Forderungen ist es nicht getan. Im Gegenteil: Wer fordert, ohne liefern zu können, schadet der Sache der Frau. Wer sich so offensiv in Stellung bringt, muss mindestens eine Kandidatin in der Hinterhand haben, die tatsächlich ins Rennen steigt. Sonst steht der Vorwurf im Raum, die Frauen kneiften, sie scheuten die Macht. Hätten die Mitte-Frauen ihren Machtanspruch nicht so prominent platziert, wäre diese Diskussion gar nicht erst vom Zaun gebrochen worden.
«Nur weil es einmal eine Frauenmehrheit gegeben hat im Bundesrat, wird diese Konstellation nicht zur Selbstverständlichkeit»
Dass es so weit kommen musste, ist besonders bedauernswert vor dem Hintergrund, dass die Mitte-Frauen den Kelch diesmal elegant hätten an sich vorbeiziehen lassen können: Die Mitte-Partei, die bis vor vier Jahren noch CVP hiess, ist in den letzten 16 Jahren ununterbrochen von Frauen im Bundesrat vertreten worden. Zuerst von Doris Leuthard und dann von Viola Amherd. Keine andere Partei kann eine solche Konstanz vorweisen.
Mehr noch: Vier von den bisher zehn Bundesrätinnen der Schweiz hatten ein CVP-Parteibuch. Damit liegt die Mitte gleichauf mit der Gleichstellungs-Partei par excellence, der SP. Der Leistungsausweis der Mitte in Sachen Frauenförderung ist beeindruckend.
Natürlich darf frau sich nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen, sondern muss dranbleiben. Das Pendel kann jederzeit wieder zurückschlagen. Nur weil es einmal eine Frauenmehrheit gegeben hat im Bundesrat, wird diese Konstellation nicht zur Selbstverständlichkeit. Und so wie eine Schwalbe noch keinen Frühling macht, macht auch eine Frauenwahl noch kein dauerhaft feministisches Parlament. Zwar erhöhte sich der Frauenanteil im Nationalrat bei den Wahlen 2019 auf einen Schlag um zehn Prozentpunkte auf 42 Prozent. Doch bereits bei den darauffolgenden Wahlen 2023 sank der Anteil wieder auf 38,5 Prozent.
Doch dranbleiben heisst genau nicht, mantramässig die immergleichen Forderungen aus der Schublade zu ziehen, sobald im Bundesrat ein Sitz frei wird. Dranbleiben heisst mitunter auch, eine nüchterne Bestandesaufnahme zu machen und festzustellen, dass die Auswahl an möglichen Kandidatinnen aktuell bei der Mitte-Partei gar nicht so gross ist, wie es auf den ersten Blick vielleicht den Anschein macht.
Denn die Liste der «verbrannten» Mitte-Frauen ist vergleichsweise lang – es ist die Kehrseite der erfolgreichen Frauenförderung der letzten Jahre: Elisabeth Schneider-Schneiter, die als Top-Anwärterin für die Amherd-Nachfolge gehandelt wurde, hat es vor sechs Jahren schon einmal versucht. Als Leuthard zurücktrat, warf sie ihren Hut in den Ring, schaffte es aber nicht aufs Ticket. Und die Erfahrung zeigt, dass es die wenigsten nach einer gescheiterten Bundesrats-Kandidatur noch einmal wissen wollen.
«Die Ausgangslage war schlicht nicht gut genug für das mediale Powerplay»
Dasselbe gilt für Heidi Z’graggen, die in den letzten Wochen ebenfalls als brandheisse Kandidatin herumgereicht wurde. Z’graggen schaffte es 2018 zwar aufs Ticket, unterlag in der Endausmarchung aber gegen Viola Amherd. Dass sie jetzt abwinken würde, war vor diesem Hintergrund zu erwarten. Etwas anders gelagert ist der Fall von Andrea Gmür, die bis zuletzt als DIE Hoffnungsträgerin der Mitte-Frauen galt. Auch sie hatte sich 2018 eine Kandidatur überlegt, sich aber dagegen entschieden. Insofern hätte man diesmal mit ihr rechnen können.
Doch Gmür befindet sich seit Jahren im Clinch mit der Parteileitung. Es geht um das Arbeitsklima auf dem Generalsekretariat. In den letzten Wochen ist dieser Streit öffentlich eskaliert. Das müssen auch die Mitte-Frauen mitbekommen haben. Selbst wenn der Parteipräsident und die Generalsekretärin bald den Hut nehmen: So ein parteiinterner Knatsch ist ein denkbar schlechter Ausgangspunkt für einen Bundesrats-Wahlkampf. Dass auch Gmür verzichten wird, hat sich darum ebenfalls abgezeichnet. Blieb unter den offensichtlichen Favoritinnen nur Isabelle Chassot. Warum die Freiburger Ständerätin keine Lust hat, Bundesrätin zu werden, bleibt ihr Geheimnis.
Und aus Frauenperspektive bleibt das Fazit: Die Ausgangslage war schlicht nicht gut genug für das mediale Powerplay, wie es die Mitte-Frauen aufgezogen haben. Wer lafert, muss auch liefern können.
Die Blamage ist umso ärgerlicher, als die Mitte-Frauen bei der letzten Mitte-Vakanz selbst vorgemacht haben, wie Frauenförderung geht: Bereits Ende 2017, noch Monate vor der Rücktrittsankündigung von Doris Leuthard, setzten sie eine Findungskommission ein, die im ganzen Land nach möglichen Nachfolgerinnen suchte. Das Resultat dieser Vorarbeit liess sich sehen: Eine Frauenmehrheit unter den offiziellen Kandidaten, ein reines Frauen-Ticket für den Bundesrat! Es war der perfekte Auftakt für die Frauenwahl 2019. Daran lässt sich für die Zukunft anknüpfen.