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Na, ihr Süssmäuse? Eine Erklärung zur Vermausung unserer Zeit

Zeitgeist

Na, ihr Süssmäuse? Eine Erklärung zur Vermausung unserer Zeit

  • Text: Linda Leitner
  • Bild: Launchmetrics Spotlight; Collage: annabelle

Hört man die Gen Z reden, fragt man sich: Warum nennen sich plötzlich alle Maus? Schreibmaus Linda Leitner ergründet die Mausifizierung der Gesellschaft.

«Maus, soll ich dir nen Kaffee mitbringen?», fragte mich vor geraumer Zeit eine Praktikantin. Ich war irritiert. Emotional desorientiert. Leicht überfordert von der plötzlichen Intimität. Womit hatte ich es verdient, ihre Maus zu sein? Ich schwankte zwischen Geschmeicheltsein (OMG, für wie jung hält sie mich bitte? Oder hat sie mich einfach schon so gern?) und dezentem Brüskiertsein (Haben die jungen Leute keinen Respekt mehr?).

Inzwischen weiss ich: Nichts davon war gerechtfertigt. Heute nennt jede:r jede:n Maus. Wenn man Glück hat und keine banale Standardmaus wie ich ist, wird man sogar mit der Steigerungsform geadelt: Süssmaus. Ja, die Vermausung wütet.

Der Berliner Comedian Felix Lobrecht, der vermeintlich harte Junge von der Strasse, diskutierte längst mit Podcast-Partner Tommi Schmitt in «Gemischtes Hack» über Dekomäuse. Letzterer ist selbst eine absolut zuckrige Kuchenmaus. Die Kaulitz-Zwillinge begrüssen sich in ihrem Podcast «Kaulitz Hills» seit 2021 mit «Hey, Maus!». Und das, obwohl sie über 30 sind. Wer hip (wenn auch alt) ist, wurde also längst von der Gen Z mit ins linguistische Mauseloch gerissen.

Bisher eher despektierlich

Doch warum wird ein Kosename wie Maus neuerdings so inflationär benutzt? Eine weiblich gelesene Person als Mäuschen oder Partymaus zu bezeichnen, galt bisher eher als als despektierlich und sexistisch statt als cute. Beispielsweise heiratete der kürzlich verstorbene Wiener Baulöwe Richard Lugner Anfang der Neunziger offiziell seine «Mausi». Mausi Lugner hiess eigentlich Christina – und wurde später von Spatzi, Bambi, Katzi und Kolibri abgelöst. Lugner möge in Frieden ruhen, aber auch rückblickend sein Liebesleben noch mal überdenken: Ernst genommen hat diese Frauen dank der verharmlosenden, sie kleinhaltenden Tiernamen kein Mensch.

Kosenamen in der Öffentlichkeit sind auch peinlich. Oder? Die gehören doch ins Schlafzimmer oder auf eine Couch mit zu vielen Plüschtieren. «Kosenamen sind etwas Privates, Nähesprachliches», bestätigt Prof. Dr. Christa Dürscheid, Sprachwissenschaftlerin der Universität Zürich. «Wenn jemand über seine Freundin sagt, sie sei eine Schoggimaus, dann ist das zwar auch nähesprachlich – das Wort wird aber in der Regel nicht verwendet, um die Freundin direkt so anzusprechen.»

Schoggimaus, wie war dein Tag? – das hätte bisher wohl kaum jemand gesagt. «Zusammensetzungen mit Maus, wie beispielsweise Krimimaus oder Sci-Fi-Maus, hört man nun immer öfter, wenn über eine Person gesprochen wird. Ebenso das Adjektiv mausig. Damit einher gehen Assoziationen wie sympathisch, lieb, süss. Und die sind positiv besetzt», so Dürscheid. Ein Kosename schaffe also Bindung: Wer jemanden Maus nennt, signalisiert, dass sie oder er sich kümmert. Wer Maus genannt wird, spürt Geborgenheit.

Verbundenheit in einer krisengebeutelten Welt

Auf dem Bildschirm sind süsse Nager wie in der «Sendung mit der Maus» oder dem Trickfilm «Feivel der Mauswanderer» hilfsbereit und clever unterwegs, in der deutschen Literatur sind sie metaphorische Symbole für Kleinheit, Bescheidenheit, Niedlichkeit und Klugheit. Die Welt mag so grau sein wie ihr Fell, aber dank ihrer dürfen wir mit schönen Maussichten rechnen: Wird man Maus genannt, handelt es sich längst nicht mehr um eine abwertende Verniedlichung, sondern um eine empathische Geste und das Verlangen nach Verbundenheit in einer krisengebeutelten Welt. Und letztere kracht mit voller Gewalt vor allem auf die jüngere Generation, die Gen Z, nieder.

Maus-Sein ist purer Luxus

Kriege, Klimakrise, Existenz – was können wir schon ausrichten? Im Vergleich zum gesamten Universum sind wir eben doch alle superklein. Wenn die schlechten Nachrichten auf uns einprasseln und uns die digitale Welt überfordert – vielleicht wären wir dann zwischendurch lieber ab und zu eine kleine, graue Maus, anstatt sich Herausforderungen als leuchtendes Beispiel zu stellen. Wünschen wir uns weniger Seriosität in einer Welt voller bierernster Probleme? Da ist diese klebrige Sehnsucht danach, in pastellfarbene Zuckerwatte gebettet zu werden und sich in das mollig-weiche Gefühl niedlicher Albernheit zu kuscheln.

Den entsprechend blödelnden Lifestyle mit possierlichen Tierchen kultiviert seit 2021 der Instagram-Account Gustaverderliebe anhand von grellen Collagen im trashy Nineties-Look. 231’000 Anhängerin:innen preist er seine mausigen Weisheiten an. Kernkompetenz: Drinks und Spaghetti-Eis unterm Sonnenschirm, ein Wochenende samt Party mit den anderen Tanzmäusen und eine Mega-Dosis Dösen – sprich: Mausgang und gut mausruhen.

Der Maus-Lifestyle ist pure Gönnung mit einer frechen Prise Brat, also Görenhaftigkeit – aber in erster Linie ist er: lieb. Ja, eine Maus macht vielleicht nicht alles richtig. Süffelt einen bunten Cocktail zu viel, prokrastiniert mit der Decke bis über die frechen Öhrchen gezogen. Macht aber nix! Lieb, verständnisvoll und süss zueinander sein ist jetzt cool.  

Eine Abkehr vom traditionellen Männerbild

Das bestätigt auch das deutsche Musikduo Die Mausis. Auf ihrem ersten, gerade veröffentlichten Album «In einem blauen Mond» singen Stella Sommer und Max Gruber aka Drangsal unter anderem darüber, ihr Geld in Käse anzulegen. Im Interview mit dem Radiosender Bayern 2 erklärt Gruber das Trendtier Maus folgendermassen: «Eine Maus ist klein, flauschig, niedlich – und braucht Liebe, Zuneigung und Schutz. Vielleicht sind das Bedürfnisse, die wir alle haben.» Wussten wirs doch. Sommer fügt an: «Es ist auch eine Abkehr vom traditionellen Männerbild. Ein Cowboy aus den 50ern hätte sich wohl kaum selbst als Maus betitelt.»

Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Christa Dürscheid bestätigt diese Theorie: «Das finde ich sehr treffend. Eventuell ist auch das ein Grund dafür, warum solche Verniedlichungen beliebt sind und in der Öffentlichkeit so oft genutzt werden: Sie entsprechen den alten Rollenklischees nicht mehr – nicht nur Frauen, sondern auch Männer können süsse Mäuse sein. Wenn Menschen unabhängig ihres Geschlechts als Maus bezeichnet werden oder sich selbst so bezeichnen, dann wird damit ein Zeichen gesetzt.»

So hat die Maus genau genommen ein feminines Pronomen, meint uns aber mit einer weiblichen Sanftheit alle mit. Dürscheid weist, was die Genderdebatte betrifft, auf die App Genderator hin, ein umfangreiches Genderwörterbuch der deutschen Sprache, das ein Werkzeug zum schnellen Erzeugen genderneutraler Texte sein will. Hier wird gar vorgeschlagen, «jemand» durch «jemaus» zu ersetzen.

Da eine Maus weder Alter noch Hierarchien kennt – also auch Chefin oder Professor total süsse Mäuse sein können – entlässt sie auch das spiessige Siezen aus unserem Sprachgebrauch. Als Maus sind wir eben alle gleich. Eine Maus kennt keine Distanz, der Mäuseclub ist ein inklusives Kaffeekränzchen mit Sekt und viel Sahne auf dem Kuchen. Das allumfassende Mausifizieren ist eine warme, duftende Dusche für geschundene Seelen, ein sprachliches Streicheln brummender Schädel. Ja, ein Mausflug in eine gemütlichere Welt. Aus die Maus? Ungern.

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