«Hat die Schweizer Musikszene ein Frauenproblem?», fragten die Swiss Music Awards. Wohl eher ein Männerproblem, meint unsere Autorin Kerstin Hasse.
Plötzlich wird es still im Saal. Sängerin Eliane hat gerade gesagt, dass sie sich nicht sicher ist, ob das Rollenbild «Mann gehört auf die Bühne, Frau eben nicht» veraltet sei. Wie bitte, natürlich ist das veraltet, darum nimmst du doch an diesem Talk teil, denke ich. «Hat die Schweizer Popmusik ein Frauenproblem?» heisst die Veranstaltung der Swiss Music Awards (SMA), an der gestern Abend im Zürcher Kosmos Künstlerinnen, Entscheidungsträgerinnen und -träger über die Untervertretung von Frauen in der Schweizer Musikszene diskutierten. Zum Glück sitzt mit Brandy Butler eine weitere Künstlerin auf dem Podium, die klar macht, dass die mangelnde Anzahl von Frauen auf Schweizer Bühnen nichts damit zu tun hat, dass die Künstlerinnen nicht auftreten wollen. Diese Frage stellte sich Oliver Rosa, Direktor der Swiss Music Awards, im Vorfeld gegenüber annabelle. Und Butler stellt auch klar, dass es eine Quote an den SMA braucht. «Vielleicht muss man Künstlerinnen im Moment noch ein kleines Podest geben, damit alle die gleichen Chancen haben – und dann ist in ein paar Jahren eine Quote nicht mehr nötig.»
Frauenproblem? Die Swiss Music Awards haben diese wichtige Diskussion angestossen, obwohl sie am Ende eines Systems stehen, das auf fast allen Ebenen daran scheitert, Frauen zu fördern. Die Organisatoren bekommen nun von vielen Seiten ihr Fett weg. Das ist nicht ganz fair, immerhin wollen sie darüber reden, immerhin sehen sie ein, dass es nicht richtig war, letztes Jahr keinen einzigen weiblichen Act gebucht zu haben.
Doch reden reicht halt nicht. Taten müssen folgen. Oliver Rosa wünscht sich, dass mehr Frauen auf den Bühnen stehen, dass mehr Frauen im Radio gespielt und dass mehr Frauen bei den SMA nominiert und ausgezeichnet werden. Doch dafür brauche es eben Plattformen, die diese Frauen nutzen können. Was mit diesen Plattformen genau gemeint ist, wird mir nicht klar. Ich verstehe nicht, warum die Swiss Music Awards nicht diese Plattform sein können, nach der alle suchen. Das sei eben nicht so einfach, sagt Oliver Rosa: Kosten, Einschaltquote, Finanzierung, Primetime, Aufmerksamkeit … Ich komme mir vor wie ein kleines Mädchen, dem gesagt wird: «Kleine, sei doch nicht naiv. Das ist die grosse Popwelt, natürlich wäre es schön, wenn es mehr Frauen gäbe, aber das liegt halt nicht drin.»
Wenn es Oliver Rosa wichtig wäre, mehr Frauen auf der Bühne zu sehen, könnte er sie auf die Bühne bringen. Nicht aus Geschäftssinn, nicht aus finanziellem Interesse, sondern aus Engagement für eine grössere Sache. Und weil es verdammt noch mal genauso gute Künstlerinnen in der Schweiz gibt wie Künstler. Wenn die SMA das nicht wollen – okay! Müssen tun sie nicht. Scheitern würden sie nicht an den Regeln, wie Rosa sagt, denn die machen sie selber. Scheitern würden sie am eigenen Willen.
Die Swiss Music Awards sind nicht dafür verantwortlich, dass bei grossen Labels mehr Männer als Frauen unter Vertrag genommen werden. Laut Julie Born, Managing Director bei Sony Schweiz, sind es vor allem Männer, die sich bei ihrem Label überhaupt erst um einen Plattenvertrag bemühen. Dass Frauen sich nicht nur in Lohnverhandlungen schwertun, sondern auch beim Vorantreiben ihrer eigenen Karriere, ist nichts Neues. Branchenübergreifend müssen Frauen daran arbeiten, sich selbst stärker in den Fokus zu stellen.
Eine Frau im Publikum fragt, warum im Publikum zu drei viertel Frauen sitzen. Warum nicht mehr Männer, mehr Entscheidungsträger und vor allem mehr Künstler vor Ort sind. Das interessiert mich auch.
Ja, der Lo von Lo & Leduc sitzt im Publikum und auch Nemo schwirrt durch den Saal, und am Schluss lehnt sich auch noch Dabu von Dabu Fantastic an die Bar. Doch keiner der drei und auch sonst keine Männer der Musikszene haben in den letzten Tagen Stellung bezogen, sich am Diskurs beteiligt oder Fragen gestellt. Es scheint, als wären den Künstlern in diesem Land die Karrieremöglichkeiten ihrer Kolleginnen egal. Das ist schade. Und feige. Es wäre schön, wenn Künstler wie Stress oder Seven sich an diesem Diskurs beteiligen würden und einer der gestern anwesenden Künstler vielleicht seine Instastory mal diesem Anlass anstatt dem eigenen Album oder dem nächsten Konzert gewidmet hätte. Vielleicht zeigt ja morgen auf der grossen Showbühne irgendjemand einen Hauch von Engagement und spricht über das Frauenproblem, das gar keines ist. So würde der Diskurs noch mal auf einer ganz anderen Ebene vorangetrieben. Nur Mut, Männer!