Corinne Parrat ist 36, Webdesignerin und Autorin. Sie erzählt, wie sie als Gehörlose Musik hört und wie daraus eine witzige Anekdote entstanden ist.
Ich höre die Musik nicht, aber ich fühle sie. Wenn sie richtig laut aufgedreht wird, spüre ich, wie der Bass vom Boden her durch meinen Körper strömt. Ich spüre das Vibrieren, den Rhythmus, die Kraft, die Energie – ein wunderschönes Gefühl. Die Art von Musik spielt dabei keine Rolle. Hauptsache, der Bass ist stark.
Seit meinem zweiten Lebensjahr ist die Welt um mich herum still. Durch eine Hirnhautentzündung habe ich damals mein Gehör verloren. Manchmal versuche ich mich noch an Geräusche zu erinnern, aber es ist einfach zu lange her.
Obwohl ich gehörlos bin, liebe ich Musik. Ich gehe auch sehr gern aus. Ich mag die Ausgelassenheit, die Party. Beim Tanzen schaue ich mich im Club um und beobachte, wie sich die anderen Leute zu einem Lied bewegen. Das schaue ich mir ab und mache es nach. Ich glaube, meist fällt es gar niemandem auf, dass ich nichts höre.
Einmal hat mich ein Mann auf der Tanzfläche angesprochen. Es muss recht laut gewesen sein, denn er kam dafür ganz nahe an mein Gesicht. Ich drückte ihn sanft von mir weg. Ich wollte, dass er mich anschaut, um von seinen Lippen lesen zu können. Doch er verstand nicht, kam nochmals näher. Also stiess ich ihn zurück und zeigte mit dem Finger energisch auf meine Lippen. Er interpretierte dies offensichtlich als Aufforderung, mich zu küssen – und drückte prompt seine Lippen auf meine. Ich war peinlich berührt, nahm es aber mit Humor. Er konnte es ja nicht wissen!
Im Nachhinein sind solche Begegnungen witzige Anekdoten. Dennoch erfordert es viel Kraft, Tag für Tag das Verständnis aufzubringen dafür, wie Mitmenschen auf einen reagieren. Klar gibt es immer wieder auch schöne Begegnungen wie jene mit Gilbert Gress, dem TV-Fussballexperten. Ich lernte ihn während meines Amtsjahrs als Miss Handicap kennen – und er löcherte mich gleich mit Fragen. Die meisten Menschen jedoch gehen schnell auf Distanz, wenn sie merken, dass ich gehörlos bin – zum Beispiel wenn ich auf der Strasse nach dem Weg gefragt werde. Die Leute geben dann sogleich auf und fragen jemand anderes. Ich wünschte mir, dass Hörende mehr Geduld aufbringen würden. Man muss ja nicht gleich die Gebärdensprache beherrschen, um sich mit uns unterhalten zu können. Mit Gestik und Mimik kommt man schon sehr weit. Die meisten Gehörlosen können zudem Lippenlesen.
Ein dickes Fell muss man auch in der Arbeitswelt haben. Gehörlos zu sein, ist bei viele Unternehmen ein Killerargument im Bewerbungsprozess. Ich arbeite als freischaffende Webdesignerin, hätte allerdings gern einen festen Job. Leider kriegt man deutlich häufiger Absagen, wenn man im Bewerbungsschreiben erwähnt, dass man gehörlos ist. Die Arbeitslosenquote ist bei den 10000 Gehörlosen in der Schweiz zwei- bis dreimal höher als bei Hörenden. Viele Leute meinen ja, wir Gehörlosen bekämen automatisch eine IV-Rente. Doch dem ist nicht so.
Doch trotz aller Widrigkeiten: Ich bin stolz darauf, eine gehörlose Frau zu sein. Ich vermisse das Hören nicht. Wir Gehörlosen pflegen eine eigene Kultur, wir haben eine eigene Kommunikation, eigene Sprachspiele, eigene Witze. Ich bin einfach glücklich so, wie ich bin.
Corinne Parrats Buch «Miss Handicap 2009» erscheint im Mai 2016. Das Interview mit der Zürcherin fand im Rahmen der Kampagne Hear My Story, des Schweizerischen Gehörlosenbund SGB-FSS statt. Das Projekt macht mit Hilfe filmischer Kurzportraits, auf das Leben Gehörloser Menschen in der Schweiz aufmerksam: www.hearmystory.ch