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Mobbingfall bei Tamedia: Warum das Schweigen so weh tut
- Text: Helene Aecherli
- Bild: Shutterstock
Redaktorin Helene Aecherli schreibt in ihrem Kommentar: Die Schweigekultur ist für Mobbing-Opfer oft traumatischer als das Mobbing selbst. Was könnte helfen?
Zu Beginn ein kurzer Rückblick: Eine ehemalige Redaktorin des «Tages-Anzeiger»-Magazins erhebt im «Spiegel» schwere Vorwürfe gegen ihren damaligen Chefredaktor. Sie schreibt von Sexismus und jahrelangem Mobbing, vom System eines inneren oder äusseren Circle, dem die Mitarbeitenden je nach Gunst angehörte; ein System, notabene, dem sich auch totalitäre Regime bedienen. Und sie prangert das Verlagshaus an, viel zu spät reagiert zu haben.
Der beschuldigte Chefredaktor bestreitet die Vorwürfe, die TX Group, vormals Tamedia AG, verweist auf einen externen Untersuchungsbericht, der zum Schluss kommt, dass etliche Anschuldigungen ungeklärt bleiben. Doch belegen Recherchen der Sendung SRF-Medientalk, dass auf der Redaktion mindestens seit 2014 eine toxische Betriebskultur geherrscht haben soll, in der sexistisches Verhalten, Willkür und Ausgrenzung an der Tagesordnung gewesen seien.
Traumatischer als das Mobbing selbst
Dieser Mobbing-Skandal hat weit über die Medienwelt hinaus Bestürzung ausgelöst. Und er wirft, unabhängig von Branche und Grösse eines Unternehmens, ganz grundsätzliche Fragen auf: Welche Rolle spielen HR-Abteilungen bei der Klärung von Mobbing-Fällen? Weshalb geschieht es immer wieder, dass Firmen inakzeptables Verhalten von Führungskräften tolerieren und gar decken, wohlwissentlich, dass dadurch die psychologische Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Teams geschwächt werden?
Und vor allem: Warum wird um das Fehlverhalten von Vorgesetzten häufig eine Mauer des Schweigens errichtet, auch in den unmittelbar involvierten Teams? Es ist eine besonders perfide Reaktion: das Schweigen der Kolleg:innen ist für Mobbing-Opfer oft traumatischer als das Mobbing selbst. Eine Betroffene, die bei einer NGO tätig war, bringt es so auf den Punkt: «Am schlimmsten ist es, wenn der Rest des Teams zuschaut und sich nicht gemeinsam zur Wehr setzt.»
«Um Intrigen und Machtmissbrauch durch Vorgesetzte rechtzeitig zu unterbinden, wird es mehr Whistleblower:innen brauchen»
Fachleute gehen davon aus, dass eine Kultur des Schweigens das Versagen von Führungspersonen geradezu legitimiert. «Ein toxisches Betriebsklima wird nicht nur durch Vorgesetzte verursacht, die ihre Macht missbrauchen, sondern auch durch alle Mitarbeitenden, die schweigen oder wegsehen, statt zu intervenieren», sagt Sunita Sehmi, die als Executive Leadership Coach internationale Firmen berät.
Die Gründe für das Schweigen sind vielschichtig. Manche Mitarbeitende sichern sich dadurch ihre Nähe zur Macht. Die allermeisten aber schweigen aus Angst. Aus Angst, selbst in die Schusslinie zu geraten, wenn sie sich für jemanden stark machen. Aus Angst, aus dem Team verstossen zu werden. Aus Angst, ihren Job zu verlieren.
Die Angst ist verständlich – und berechtigt. Dennoch: Um Intrigen und Machtmissbrauch durch Vorgesetzte rechtzeitig zu unterbinden, wird es mehr Whistleblower:innen brauchen, die es wagen, ihr Schweigen zu brechen und die von unten her Druck generieren. Letztlich aber braucht es vor allem eines: bessere Führungskräfte. Und zwar auf allen Ebenen. Menschen, die für ihre Aufgabe geschult werden, denen bewusst ist, dass sie in ihrer Position Verantwortung tragen.