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Miriam Suter und Natalia Widla: «‹Ja heisst Ja› ist kein Wundermittel»

Politik

Miriam Suter und Natalia Widla: «‹Ja heisst Ja› ist kein Wundermittel»

Die Journalistinnen Miriam Suter und Natalia Widla haben mit «Hast du Nein gesagt?» ein Buch über den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Schweiz geschrieben. Sie sagen: Eine Revision des Sexualstrafrechts wird nicht alle Probleme lösen.

Das Schweizer Sexualstrafrecht soll revidiert werden. Aber mit welchem Grundsatz? Dieser Frage stellt sich der Ständerat am kommenden Dienstag, 7. März 2023. Mitten in diese heisse Phase hinein publizieren die Journalistinnen Natalia Widla und Miriam Suter ihr Buch «Hast du Nein gesagt?». Sie sprachen mit Betroffenen, Expert:innen und Politiker:innen. Im Zentrum stehen die ersten drei Berührungspunkte, denen Opfer sexualisierter Gewalt begegnen: die Polizei, die Opferhilfe und das Schweizer Recht.

annabelle: Sie beschäftigen sich beide bereits länger journalistisch mit dem Umgang von Betroffenen sexualisierter Gewalt. Förderte die Recherche zum Buch Neues für Sie zutage?
Miriam Suter: Mich überraschte es positiv, dass man sich seitens Polizei wirklich zugänglich zeigte. Das war bei meinen früheren Reportagen zum Thema nicht unbedingt der Fall.

Natalia Widla: Mich schockierte die krasse Rolle, die der Föderalismus spielt. Manche Kantone haben ausgebaute Opferhilfestrukturen mit Expert:innengruppen für sexualisierte Gewalt im Pikettdienst. Andere haben gar nichts. Simpel gesagt: Ob du besser oder schlechter davonkommst, wenn du Gewalt erlebst, ist «Glückssache». Dann hängt es auch stark von Einzelpersonen ab: Du kannst an eine gute Polizistin oder einen guten Polizisten geraten, die oder der in diesem Bereich ausgebildet ist und sensibel mit dir umgeht. Oder gerätst an ein – sorry – Arschloch, das den Prozess von Beginn an negativ beeinflusst und schlimmstenfalls dazu führt, dass du gar nicht erst Anzeige erstattest.

In der Einleitung schreiben Sie, dass Ihr Buch explizit kein Fazit einer politischen Diskussion sein soll. Welche Rolle soll das Buch bestenfalls einnehmen?
Natalia Widla: Bestenfalls werden wir dafür angegriffen, dass wir nicht mehr queere Menschen und auch Männer porträtieren. Und das sorgt dann hoffentlich dafür, dass andere gewisse Themen oder Aspekte weiterführen. Etwa: Wie ist die Situation von betroffenen Sexarbeiter:innen? Oder: Warum haben Geflüchtete keinen Anspruch auf Opferhilfe? Natürlich ist es immer schön, beklatscht zu werden, aber es wäre noch schöner, wenn sich Leute von unserem Buch motiviert fühlen, einen anderen Aspekt des grossen Ganzen auszuleuchten.

Miriam Suter: Für Betroffene kann es in zwei Richtungen gehen. Entweder, sie werden abgeschreckt, eine Anzeige zu machen, weil sie erfahren, was allenfalls auf sie zukommt. Oder – und das fände ich sehr schön – sie tun es erst recht, weil sie sich nicht alleine fühlen.

Nun kommt aber eine politische Komponente dazu, denn das Buch erscheint ausgerechnet in jenen Tagen, in denen sich der Ständerat mit «Nein heisst Nein» oder «Nur Ja heisst Ja» beschäftigt. Was kann eine Revision des Sexualstrafrechts bringen?
Miriam Suter: Letztlich geht es im Buch nicht nur um das Sexualstrafrecht. Es ist sogar ein vergleichsweise kleiner Teil, der davon handelt. Aber Tatsache ist: Die Reform würde viele Probleme nicht lösen. Sie würde zum Beispiel nichts am Föderalismus ändern. Aber sie ist ein wichtiger Baustein.
  
Inwiefern?
Miriam Suter: «Nur Ja heisst Ja» sendet ein anderes Signal – an Opfer und aber auch potenzielle Täter.

Natalia Widla: Im Buch nehmen wir persönlich keine Stellung dazu, ob «Nur Ja heisst Ja» die richtige Lösung ist. Wir fordern auch keine Reformen bei der Polizei, sondern lassen die jeweiligen Interviews für sich sprechen. Was wir aber gemerkt haben: «Nur Ja heisst Ja» ist aus der Opferperspektive extrem relevant. Alle befragten Frauen sagten uns, dass es für sie bei der Polizei und vor Gericht einen mega Unterschied gemacht hätte, ob sie gefragt worden wären: Hast du Ja gesagt? Statt: Hast du Nein gesagt? Wir wollten ein Stück weiterschauen als feministische Gruppierungen, die einfach finden «Nur Ja heisst Ja» – und dann ist gut.

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«Vor Gericht hört man teilweise hanebüchene Sachen. Und du denkst: Ich wüsste nicht, ob ich das emotional tragen könnte»

Natalia Widla

Was spräche gegen «Nur Ja heisst Ja»?
Natalia Widla: «Nur Ja heisst Ja» ist keine Beweislastumkehr. Wenn du vor Gericht sagst «Ich habe nicht Ja gesagt» und der Täter sagt «Doch, du hast Ja gesagt», musst du trotzdem beweisen, dass du nicht Ja gesagt hast. Das spricht in dem Sinne nicht gegen «Nur Ja heisst Ja», aber man muss sehen, dass es kein Wundermittel ist und man sich nicht alleine darauf verlassen darf.

Der Titel des Buchs ist «Hast du Nein gesagt?». Fragen wie diese werden oft angeprangert im Zusammenhang mit Einvernahmen zu sexualisierter Gewalt.
Miriam Suter: Hier wird das Recht eben relevant: Es ist die Basis für die Einvernahme bei der Polizei. Die Fragen danach, ob man sich gewehrt hat, ob man Nein gesagt hat, oder welche Kleider man anhatte – die muss man aus bestimmten Gründen stellen. Aber es kommt eben auch darauf an, wie sie gestellt werden. Und ob erklärt wird, warum.

Im Buch schreibt ihr: «Über polizeiliches Fehlverhalten journalistisch zu berichten, gleicht, gelinde gesagt, einer emotionalen Achterbahnfahrt.» Was machte das Ganze so emotional?
Natalia Widla: Vor Gericht hört man teilweise hanebüchene Sachen. Und du denkst: Wenn das meine Tochter, Kollegin, Schwester oder ich selbst wäre, die dort als Betroffene sitzt – ich wüsste nicht, ob ich emotional tragen könnte, was mir der Anwalt des Angeklagten an den Kopf wirft, oder was der Richter rauslässt.

Miriam Suter:
Die Recherche haben wir eben nicht nur als Journalistinnen gemacht, sondern auch als Frauen. Du recherchierst über etwas, das dich ganz direkt betrifft – oder jederzeit betreffen kann.

«Hast du Nein gesagt? Vom Umgang mit Sexualisierter Gewalt» von Natalia Widla und Miriam Suter mit dem Vorwort von Franziska Schutzbach ist am 2. März 2023 im Limmat Verlag erschienen. Anhand von Individualfällen wird nachgezeichnet, wo im Umgang mit Betroffenen von sexueller Gewalt in der Schweiz Hürden liegen und welche Fehler passieren. Hier könnt ihr das Buch für ca. 29 Fr. bestellen.

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