Michael Douglas als schwuler Klaviergott Liberace
- Text: Olaf Tarmas
Als schwuler Klaviergott Liberace erfindet sich Michael Douglas im Herbst seiner Karriere noch einmal völlig neu. Unser Autor Olaf Tarmas hat den Film gesehen – und den Schauspieler in Berlin getroffen.
Zart. Zerbrechlich. Kokett. Glamourös. Wer hätte gedacht, dass die Beschreibung einer von Michael Douglas gespielten Filmfigur einmal so beginnen könnte? Michael Douglas – das war immer der Haudegen, der Macho und Macher, der Geschäftsmann, der sich mit kehliger Stimme und einem immer silberner werdenden Haarschopf durch alle Widrigkeiten seiner Filmhandlungen schlug. Sei es als Finanzhai Gordon Gekko in «Wall Street», als testosterongesteuerter Detective in «Basic Instinct» oder als Antidrogenpolitiker in «Traffic»: Stets gab er den emotional eher klassisch gestrickten, kantigen Typ. Sein Rollenspektrum jenseits dieser Filme war schmal – und nie wollten einem seine Figuren ungeteilt sympathisch sein. Versuchte er sich mal als liebenswerter, kiffender Professor, wie 2000 in «Wonder Boys», mochten das vielleicht die Kritiker. Das Publikum wollte lieber den kernigen Fiesling. Und nun das: Michael Douglas spielt Liberace, den hemmungslos kitschigen, sentimentalen Klaviergott, das Urbild aller Kostümshowfreaks von Elvis Presley über Elton John bis Lady Gaga.
Den Schwulsten aller Rampensäue zwischen London und Las Vegas in den Fünfziger- bis Achtzigerjahren – einer Zeit, in der Homophobie noch zum guten Ton gehörte. Wie konnte das passieren? Douglas selber dachte, der Regisseur Steven Soderbergh würde ihn aufziehen – und lachte anfangs nur über dessen verwegene Idee. Doch Soderbergh, der mit Michael Douglas schon bei seinem Drogenfilm «Traffic» zusammengearbeitet hatte, gilt als Genie, wenn es um die richtige Besetzung für eine Rolle geht. Er meinte es ernst – und wartete sogar mit den Dreharbeiten, bis Douglas sich von seiner Kehlkopfkrebs-Erkrankung erholt hatte. Er hatte den richtigen Riecher: So strahlend, so hingebungsvoll, so vollständig verwandelt wie in «Liberace. Too Much of a Good Thing Is Wonderful» hat die Welt Michael Douglas noch nicht zu Gesicht bekommen. Ihm gelingt mit seiner Rolle, was nur wenigen Schauspielern vorbehalten ist: unverwechselbar zu bleiben – und sich doch mit einem Schlag von seinem alten Rollenbild zu lösen. Ja, es ist noch die gleiche, von Whiskey und Zigaretten gebeizte Stimme, die man hört. Und nein – sie gehört keinem fiesen Broker oder hartgesottenen Ermittler, sondern der ebenso durchgeknallten wie liebenswerten Liberace-Figur.
Eine vertraute Geste
In den besten Momenten des Films vergisst man ganz und gar, dass es Michael Douglas ist, der dort spielt – er verschmilzt mit seiner Rolle und entwirft so im Spätstadium seiner Karriere noch einmal ein ganz neues Bild von sich. Wer hätte ihm diesen Charme zugetraut, diesen spitzbübischen Schalk – und dieses Ausmass an Weiblichkeit! Was am meisten beeindruckt: Douglas liefert, allen wallenden Gewändern und Hermelinmänteln, allem Kajal und Glitzerpailletten zum Trotz, keine schräge Tuntenshow ab. Sondern das nuancierte Porträt eines Künstlers, der versucht, larger than life zu leben und dabei Mensch zu bleiben. Und er zeichnet, zusammen mit seinem Filmpartner Matt Damon, eine zu Herzen gehende Liebesgeschichte und Beziehungsstudie. «Ich wollte diese Rolle unbedingt – und ich wollte so sicher sein wie Gordon Gekko, dass ich ihr auch gerecht werde», sagt Michael Douglas an einem Spätsommernachmittag in Berlin, an dem wir uns zum Interview im «Soho House» treffen. Die Mischung aus Hotel und Club im Vintage-Stil strahlt mit ihrer ausgesucht lässigen Secondhand-Optik eine Kulissenhaftigkeit aus, die zum Filmthema passt.
Ich hatte mich gefragt, wie Douglas wohl aussehen würde: Larger than life? Älter als auf der Leinwand? Angeschlagen von seiner überstandenen Krebserkrankung? Mürrisch wegen seiner Eheprobleme mit Catherine Zeta-Jones? Oder vielleicht ein kleines bisschen Liberace-haft? Nichts von alledem. In einer riesigen Suite im sechsten Stock steht mir genau der Michael Douglas gegenüber, wie man ihn seit vierzig Jahren kennt: drahtig, das rosafarbene Hemd über der gebräunten Brust aufgeknöpft, die Silbertolle lässig zurückgeworfen. Ein Mann, dem man seine 69 Jahre höchstens an den feinen Linien ansieht, die sein Gesicht durchziehen, der aber die Körpersprache eines Menschen hat, der 25 Jahre jünger ist. Ein Handschlag, dann fläzt Douglas sich in seinen Sessel – und da ist sie, diese Geste, die einem seit «The Streets of San Francisco» so vertraut ist: Mit beiden Händen fährt er sich durch die Haare, streicht sie zurück. Vielleicht ist dieses Bemühen um Jugendlichkeit, ja, die Suche nach der ewigen Jugend eines der wenigen Dinge, die Douglas mit Liberace verbinden.
Wie in so vielem war Liberace einst auch in Sachen plastischer Chirurgie ein Vorreiter der heutigen Stargeneration – der Film widmet sich diesem Thema mit wohligem Schauder und einigen krassen Szenen. Ganz ohne Facelift wird auch ein Michael Douglas seine formidable Erscheinung nicht hinbekommen haben. Doch Douglas hatte in den vergangenen Jahren mit schwereren Problemen zu kämpfen als mit hängenden Gesichtslinien – und das ist auch unser erstes Gesprächsthema. «Als man bei mir Kehlkopfkrebs diagnostiziert hatte und ich eine Chemotherapie machen musste, war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt noch einmal zur Schauspielerei zurückkehren würde», sagt er. «In dieser Situation so eine Rolle angeboten zu bekommen, ist ein unglaubliches Geschenk.» Wenn Douglas von der schwierigen Zeit seiner Krebserkrankung ab 2010 spricht, dann meist in handfesten, praktischen Begriffen – es geht um Diagnosen und Tests, um sein körperliches Befinden. «Ich bin darüber nicht zum Philosophen geworden, der über die grossen Fragen von Leben und Tod nachgrübelt», sagt er.
Dennoch habe die Krankheit ihn verändert. «Ich fühle mich seitdem freier und mutiger in der Wahl meiner Rollen. Es ist, als ob meine Schauspielkarriere jetzt noch einmal neu beginnt – sozusagen der dritte Akt, nach der Pause, in dem sich noch einmal viel verändert.» Ich frage, was ihm denn den meisten Mut abverlangt hat bei «Liberace»: sich schwul zu geben, Matt Damon zu küssen, die Bettszenen mit ihm? Douglas wiegelt ab: «Nein, nein: Was die physischen Szenen betrifft, hatten Matt und ich einfach unseren Spass. Ich habe Matt immer gefragt, welche Geschmacksrichtung mein Lipgloss haben soll, damit er mich lieber küsst. Und das war Aprikose, ganz eindeutig.» Die eigentliche Herausforderung sei es gewesen, einer realen, historischen Person aus dem Showbusiness gerecht zu werden. Auch hier kehrt Douglas den Pragmatiker heraus. «Ich habe mich sozusagen von aussen nach innen vorgearbeitet», sagt er.
Die Begegnung mit Liberace
Erst nahm er Klavierunterricht (in einigen Filmsequenzen spielt er tatsächlich selbst), dann schaute er sich immer und immer wieder Bühnenauftritte von Liberace an, studierte, wie er sich in seinen pompösen Kostümen bewegte. «Doch das Wichtigste war, zu begreifen, wie sehr Liberace es liebte, dass sich andere Leute durch ihn gut fühlten – sowohl in seinen Shows als auch privat. Seine grösste Freude war es, Menschen glücklich zu machen», sagt Douglas. Und da schimmert sie dann doch noch durch, seine Rolle: So empathisch spricht Douglas diese Sätze, so anmutig untermalt er sie gestisch, dass man nicht umhinkann, an den Film-Liberace zu denken. Ein bisschen scheint die Rolle also doch abgefärbt zu haben – und damit mehr zu sein als handwerklich perfekte Imitationsarbeit. Vielleicht liegt der Schlüssel zu Douglas’ Zugang zu der Figur ja auch an der einzigen, über fünfzig Jahre zurückliegenden persönlichen Begegnung mit dem grossen Showman, die sich dem damals 14-jährigen Michael tief eingeprägt hat.
Er erzählt die Szene wie in Zeitlupe: «Es war in Palm Springs in Kalifornien, wo mein Vater damals lebte. Liberace fuhr hupend mit seinem weissen Rolls-Royce-Cabrio an uns vorbei, mit heruntergelassenem Verdeck, ganz langsam. Er hatte dieses breite Lächeln, eine riesige Sonnenbrille und diese immensen Klunker an seinen Händen und an seiner Kleidung, die in der Sonne funkelten. Und dazu eine üppige Frisur, an der sich im Fahrtwind kein Haar bewegt hat! Ich dachte nur: Wow, was für ein Typ ist das denn!» Wow, was für ein Typ – das ist auch das Gefühl, das sich unweigerlich nach den ersten Sequenzen des Films einstellt. Doch noch erstaunlicher ist das, was man unter der glitzernden Oberfläche aus Achtzigerjahre-Retro-Glamour findet: einen Schauspieler, der seine Spielfreude wiederentdeckt hat – und der zum unwahrscheinlichsten Zeitpunkt die Rolle seines Lebens spielt. Liberace hätte davor seine Perücke gezogen. —
— «Liberace. Too Much of a Good Thing Is Wonderful» (Originaltitel «Behind the Candelabra») feiert seine Schweizer Premiere am 9. Zurich Film Festival (vom 26. September bis 6. Oktober). Und startet regulär in den Kinos am 10. Oktober
1.
«Das Wichtigste war, zu begreifen, wie sehr Liberace es liebte, dass sich andere Leute durch ihn gut fühlten – sowohl in seinen Shows als auch privat»: Michael Douglas mit Filmlover Matt Damon
2.
Für die Rolle nahm Douglas Klavierunterricht und spielt in einigen Szenen selbst