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Mentalhygiene

Leben

Mentalhygiene

  • Text: Frank Heer; Illustration: Ping Zhu

annabelle-Reporter Frank Heer lässt bei der Dentalhygienikerin die Gedanken fliegen.

Da war doch was. Ach ja, Sommerferien! Als sie vorbei waren, fragte mich die Dentalhygienikerin: «Machen Sie Mindfulness?»
«Mndflws?»
«Eine Form der Meditation. Man lässt die Gedanken fliegen. Es gibt da eine App …»

Ich schüttelte den Kopf und zeigte ihr mein Mobiltelefon. Ein Nokia 230 DS Mobile Phone Dark Silver. «Verstehe», nickte die Frau und zückte den Zahnsteinentferner. Ich sperrte den Mund auf und liess die Gedanken fliegen. Sie trugen mich auf den Platz vor dem Suzanne Dellal Center for Dance and Theater in Tel Aviv, wo ich mein Handy auf einem Mäuerchen vergass, weil ich versucht hatte, meinen 3-Jährigen, der sich einer israelischen Compoeira-Jugend-Kampfsportgruppe angeschlossen hatte, nicht aus den Augen zu verlieren. Meine Frau und ich nennen ihn Bruce. Wie Walter Bruce Willis, den US-Action-Schauspieler. Sie lachen? Das ist nur halbwegs lustig gemeint: Gestern brachte er das Elektromobil einer gehbehinderten Frau unter seine Kontrolle. Die Androgene, ich weiss. Sind für die Entwicklung männlicher Eigenschaften zuständig. Das lasse nach, habe ich mir sagen lassen. Die Frage ist nur: wann?

«Schalom», rief ich einem Strassenwischer zu, der im Schatten döste. «Ich suche mein Telefon.» Ich deutete auf das Mäuerchen. «Vor einer Stunde lag es noch da.»
Der Mann runzelte die Stirn. «Marke?»
«Bitte?»
«Um was für ein Telefon handelt es sich?»
Ich tupfte mir den Schweiss von der Stirn. «Um ein Nokia 230 DS Mobile Phone Dark Silver. Leichte Gebrauchsspuren, iCrap-Kleber auf der Rückseite.»
«Dann muss es noch hier sein.»
«Warum?»
«Was kann es schon, Ihr Telefon?»
«Es hat 46 Klingeltöne!»
Der Strassenwischer zuckte die Achseln. «Fragen Sie bei der Theaterkasse.»
Die Frau hinterm Schalter lächelte: «Jemand hat es vor einer halben Stunde vorbeigebracht.» Ich steckte das Handy in meine Brusttasche.
«Woher kommen Sie?», fragte die Frau.
«Zürich.»
«Zürich? Da gibts den höchsten Sellerie der Welt.»
«Den höchsten Sellerie? Der Welt? In Zürich?»
«Yes», insistierte die Frau. «Das habe ich gelesen: Workers in Zurich earn the world’s highest salaries.»

Schon möglich, dachte ich, wenn die Mieten nicht so hoch und die Kinderbetreuung nicht so teuer wären. Ich setzte mich unter eine Palme. Ein Windstoss trug mir die Melodie von «I Let My Mind Wander» zu. Der Song von Willie Nelson war schon gestern Abend in einer kleinen Bar gelaufen, wo ich ein Gold Star trank und die Gedanken fliegen liess. Ich las in einem Taschenbuch, das ich in einem Antiquariat gekauft hatte: «Jaws» von Peter Benchley – die ideale Strandlektüre. Heute Morgen, beim Schwimmen, hatte mich eine Qualle gebissen … Die Brusttasche vibrierte. «Eine Textnachricht!», rief ich dem Strassenwischer zu, der mich nicht hörte, weil er wieder eingenickt war. «Ihr nächster Termin zur Dentalhygiene …», stand auf dem Display. Ich machte mich auf den Weg ins Café Mersand. «I Let My Mind Wander», pfiff ich leise durch die frisch polierten Zähne. «Zahlen Sie bar oder mit Kreditkarte?», fragte die Dentalhygienikerin.