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Die Menopause: Interview mit der Sexologin Ann-Marlene Henning

Die Menopause: Interview mit der Sexologin Ann-Marlene Henning

  • Interview: Helene Aecherli; Foto: Gunnar Meyer

Für Sexologin Ann-Marlene Henning ist die Menopause keineswegs das Ende, sondern ein Neustart.

Frauen in der Menopause werden mit Dörrobst gleichgesetzt. «Falsch», sagt die dänische Paar- und Sexualtherapeutin Ann-Marlene Henning, «die Frauen in der Menopause sind oft so scharf auf Sex wie nie zuvor.»

annabelle: Ann-Marlene Henning, lassen Sie uns erst mal die Begriffe klären: Wechseljahre, Menopause – worüber reden wir nun genau?
Ann-Marlene Henning: Die Begriffe werden falsch benutzt oder miteinander verwechselt. Ich muss zugeben, dass sie auch mir immer wieder falsch herausrutschen. Also, wenn wir von der Zeit reden, in der alles auf- und abgeht und problematisch wird, dann meinen wir die Übergangszeit, die Wechseljahre. Den Begriff Menopause hingegen benutzt man erst, wenn wieder Ruhe ist.

Das heisst, wenn alles vorbei ist?
Wenn die Unruhe vorbei ist. Dass dann alles vorbei sein soll, ist ein viel beschworenes Klischee. Denn vorbei ist gar nichts. Im Gegenteil: Das Leben fängt in der Menopause wieder neu an.

Dann müsste man die Menopause also etwa in Menostart umbenennen?
Gute Idee! Ich nenne den Übergang von den Wechseljahren zur Menopause ohnehin schon längst die zweite Pubertät. Darunter kann man sich zumindest etwas vorstellen. Denn Pubertät sagt ja aus, dass alles verwirrend und neu ist, man weiss nicht, wo es hingeht. Aber Pubertät bringt auch Spass, da kommen neue Gefühle auf. Ich sehe die Wechseljahre deshalb am liebsten als eine Vorstufe zu einem neuen Lebensabschnitt, in dem Frauen oft kompromissloser, spiritueller und selbstbewusster werden. Plötzlich geht alles viel leichter.

Das ist ja erfreulich. Warum wird denn alles viel leichter?
Jede Frau kennt die Kraft der Hormone. Das Östrogen beeinflusst mitunter auch die Art und Weise, wie wir die Welt sehen: Wir kümmern uns um andere, wollen immer ins Gespräch kommen und ausgleichend wirken. Das Testosteron hingegen steht eher für Kraft, Kampf, Sexualität und Lust. Beide Geschlechter haben beide Hormone, nur haben Frauen eben mehr Östrogen als Testosteron, und Männer mehr Testosteron als Östrogen. In den Wechseljahren sinkt der Östrogenspiegel, aber das Testosteron wird in den Eierstöcken und der Nebenniere weiterproduziert. Es gibt Frauen, die das Testosteron jetzt mehr wahrnehmen. Sie spüren dies oft daran, dass sie nun endlich mehr an sich denken und nicht mehr so sehr an andere.

Egoistischer zu werden, ist wunderbar, wären da nicht auch die Barthaare, die doch gerade wegen des schwindenden Östrogens zu wachsen beginnen.
Ja, tatsächlich! So einzelne schwarze Stoppel, die einen piksen, wenn man mit der Hand übers Kinn fährt. Als ich die entdeckte, dachte ich: Was ist das denn? Seither rupfe ich mir immer wieder mal so ein Hexenhaar mit der Pinzette aus. Man sagt, dass in den Wechseljahren eine Androgynisierung stattfindet, dass sich die Geschlechter einander annähern. Als ich dies einem Paar erzählte, das bei mir in der Praxis war, sagte die Frau zu ihrem Mann: «Ach, alles klar: Du kriegst jetzt Brüste, und ich werde zur haarigen Frau.» Sie grinste, er aber nicht.

Frauen dazu zu bringen, öffentlich von ihren menopausalen Erfahrungen zu sprechen, scheint fast unmöglich. Warum?
Weil es ein gesellschaftliches Tabu ist. Davon gibt es zwar noch einige, die Menopause ist allerdings ein gewaltiges. Denn sie ist unmittelbar mit diesem Du-bist-jetzt-Dörrobst verlinkt. Das ist ganz fest in den Köpfen der Frauen drin. Lassen Sie mich eine Anekdote erzählen: Ich habe ein hochintelligente Freundin, die Ärztin ist. Sie ist 54. Eines Tages sagte sie zu mir: «Ich muss dich was fragen: Ich habe gerade so geilen Sex. Ich habe einen Liebhaber und mache es mir oft auch selber, und ich warte immer drauf, wann es denn aufhört, wann diese Zeit anfängt, wo ich nicht mehr kann.» Und ich sagte: «Wie bitte?» «Doch», sagte sie, «dann wird man doch trocken!» Dieses Trockenwerden, das ist das Problem.

Denn trocken bedeutet nicht feucht vor Erregung, ausgedörrt, sexuell nicht mehr attraktiv.
Genau, damit werden Frauen in der Menopause assoziiert. Und da kommt noch etwas hinzu: Diese Frauen gelten erst noch als zickig und ungleichgewichtig.

Ungleichgewichtig?
Sagen wir besser: hysterisch. Das sind die beiden Worte: hysterisch und trocken.

Was ist denn nun dran an der Trockenheit in der Menopause? Viele Frauen empfinden Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, auch ihre Klitoris soll weniger empfindsam sein. Sie brauchen länger, bis sie zum Orgasmus kommen. Hängt das tatsächlich mit Wechseljahren und Menopause zusammen?
Ja und nein. Es fällt nun einfach endlich auf, wenn eine Frau beim Sex nicht oder nicht genügend erregt ist. Natürlich, die Grundfeuchtigkeit der Scheide wird durch den Rückgang des Östrogens geringer, die Schleimhäute werden poröser. Wenn nun etwas hin- und herscheuert, kann das wehtun. Da hilft es, wenn eine schöne Lubrikation da ist, also Feuchtigkeit, die durch Erregung entsteht. Und diese Feuchtigkeit kommt bei 80- wie bei 20-Jährigen immer, wenn sie denn erregt sind. Diese Feuchtigkeit, auch schwitzende Scheidenwände genannt, ist die Folge einer guten Durchblutung. Sie ist aber nicht einfach sofort da, sondern fängt eher weiter hinten, Richtung Gebärmutter an. Stellen Sie sich vor, die Vagina ist ein Schlauch, der sich bis zur Gebärmutter hinaufzieht. Dort hinten oben setzt die Feuchtigkeit zuerst ein. Wenn man zu früh Geschlechtsverkehr hat, etwa weil man dem Mann einen Gefallen tun will oder man denkt, man sei erregt, oder weil man nicht zugeben will, dass man nicht erregt ist, kann es sein, dass die Feuchtigkeit noch nicht ausreichend ist – und dann tut es weh. Und beim nächsten Mal spannt man sich an, und es tut wieder weh.

Die viel beschworene Trockenheit hat also weniger mit hormonellen Veränderungen zu tun als mit der Durchblutung, sprich mit dem Grad der sexuellen Erregung. Es gilt demzufolge, die eigene Sexualität neu zu überdenken?
Genau darum geht es. Denn Tatsache ist, dass eine Frau in der Regel unheimlich schnell erregt ist. Sie ist viel schneller erregt als der Mann. Laboruntersuchungen haben zum Beispiel gezeigt, dass sie zum Teil schon erregt ist, wenn sie in einem Film Affen kopulieren sieht.

Welchen Einfluss hat die Menopause aber auf die sexuelle Lust per se?
Darüber wird viel diskutiert. Es ist sehr schwierig, die weibliche Lust überhaupt zu messen. Es gibt viele Frauen, die ihre Lust verstärkt spüren. Andererseits gibt es welche, die gar nichts spüren. Wenn ich Frauen in der Praxis habe, die sagen, dass sie keine Lust haben, dann geht es erst mal darum herauszufinden, ob das stimmt. Ich sortiere dann die aus, die sagen: «Na ja, ich habe Lust, aber nicht auf den Sex, den ich habe, oder nicht auf den Mann.» Bei der Gruppe von Frauen, die nichts empfinden, muss man loslegen und nachforschen. Und siehe da: Wenn diese Frauen nachhause gehen mit der Aufgabe «Spür mal nach unten», dann kommen sie wieder und sagen: «Oh, da habe ich was gespürt!» Der entscheidende Faktor ist: Die, die schon immer Sex gehabt und schon immer hingespürt haben, haben auch Sex im Alter. Aber auch die, die erst nichts spüren, können hinspüren lernen. Daraus folgt, dass sexuelle Lustlosigkeit in den allermeisten Fällen etwas Anerzogenes ist. So frei nach dem Credo: « Wir sollen da nicht hingucken, hinspüren und hinschmecken.»

Betrifft dies nicht eher Frauen aus älteren Generationen?
Ja. Die Frauen, die bis heute in die Wechseljahre kamen, sind von jenen Frauen erzogen worden, die glaubten, dass Selbstbefriedigung grünen Star oder andere Krankheiten verursacht. Es ist nur zwei Generationen her, dass Sex und Genuss für Frauen fast gesetzlich verboten war. Sie wurden erzogen im Sinn von: «Freu dich, wenn die Menopause kommt, denn dann ist es zu Ende. Dann musst du nicht mehr das eine machen, was Männer immer wollen.» Jetzt kommen die Babyboomer, die neue Generation Frauen, die nicht mehr tolerieren, dass man ihnen den Sex wegnimmt. Es gibt plötzlich neue Untersuchungen, neue Bücher und Filme zum Thema, und was ist denn jetzt Tatsache? Die Frauen sind geil drauf!

Viele Frauen entdecken gerade mit fünfzig ihre Sexualität neu. Woran liegt das?
Nach all den Jahren mit Mann, Kind und Hund haben viele wieder Zeit. Darüber hinaus sind wir heute gesünder, haben mehr Geld, treiben Sport. Wir sehen nicht nur jünger und gesünder aus, sondern fühlen uns scharf und sexy.

Die Wechseljahre geben aber noch mehr Rätsel auf: Die einen Frauen leiden an schweren Symptomen wie Schlafstörungen und Hitzewallungen, andere spüren die hormonellen Veränderungen gar nicht. Sind diese Auswirkungen genetisch bedingt?
Auch das wird wissenschaftlich diskutiert. Es gibt inzwischen Untersuchungen, die darauf hindeuten. Mehrere neuere Untersuchungen weisen aber darauf hin, dass jene Frauen während der Wechseljahre mehr Probleme haben, die jahrelang etwas in sich hineingefressen und dies nicht aufgearbeitet haben. Die psychischen Leichen im Keller drängen jetzt sozusagen an die Oberfläche. Das ist dann so, als ob der Deckel vom Dampfkochtopf weggedrückt wird. Wieder andere Untersuchungen zeigen, dass berufstätige Frauen weniger Probleme haben. Die haben so viel zu tun, dass sie die Wechseljahre kaum merken.

Ist die Psychologisierung der Symptome nicht gewagt? Die bedeutet doch, dass Frauen selber schuld sind, wenn sie Hitzewallungen haben.
Schöne Frage! Es sind nicht die Symptome, die psychologisiert werden, sondern der gefühlte Druck, der Leidensdruck. Solche Gefühle sind immer individuell. Und ja, wenn eine Frau zu sehr unter ihren Symptomen leidet, kann dies mehrere Gründe haben. Allerdings sehe ich in meiner Praxis die von Ihnen infrage gestellte These bestätigt, sodass ich immer erst versuche, über Gespräche den Deckel anzuheben, um ihn schliesslich abzunehmen. Oft führen besonders hart betroffene Frauen nämlich ein Leben, in dem sie kaum das Gefühl haben, so sein zu können, wie sie eigentlich sind; sie lassen sich von ihrem Partner dominieren oder haben ihre Wünsche und Träume nie gelebt. Hier bringt es mehr, entsprechende Dinge endlich zuzugeben und dann nachhaltig etwas zu verändern.

Trotzdem, was raten Sie einer Frau mit starken Symptomen?
Eventuell sollte sie eine Hormonsubstitution in Erwägung ziehen. Meiner Erfahrung nach brauchen die meisten Frauen jedoch gar keine Hormone. Wer wirklich Probleme hat, zum Beispiel stark an trockenen Schleimhäuten leidet, kann lokale Salben anbringen. Man erreicht auch viel mit pflanzlichen Mitteln – aber vor allem dadurch, dass man sich endlich um sich selbst kümmert.

Sprechen wir noch über das vielleicht grösste aller gesellschaftlichen Tabus: die Menopause des Mannes, die Andropause. Sinkt bei den Männern das Testosteron wie bei den Frauen das Östrogen?
Ja, aber das sinkt schon nach dem Hochstand in der Pubertät. Mit 16 schiesst es rein und bleibt dann etwa ein oder zwei Jahre hoch, dann fällt es sogleich. Langsam zwar und über Jahre hinweg.

Sinkt das Testosteron konstant linear?
Ja, das Testosteron der Männer sinkt generell eher linear im Vergleich zu den Hormonen bei den Frauen, die sich erst monatlich konstant auf- und abbewegen und dann in den Wechseljahren drastischer fallen.

Welche Symptome quälen Männer in den Wechseljahren?
Hitzewallungen, unruhige Beine, schlaflose Nächte, Erektionsstörungen, Identitätskrisen, Stimmungen wie diese: Ich bin im luftleeren Loch. Ich weiss nicht, wie es weitergeht. Mein Leben ist vorbei. Diese Symptome beginnen Mitte vierzig, wie bei den Frauen; bei 10 bis 15 Prozent beginnen sie früher oder später, manchmal erst Mitte sechzig. Das Gros der Männer merkt eine Instabilität der Erektion so etwa um die fünfzig. Aber auch hier bedeutet es nicht, dass nun alles vorbei ist.

Wenn sich ein Mann also eine junge Geliebte nimmt und sich zudem noch ein Motorrad kauft, dann befindet er sich in der Andropause.
Ja, wahrscheinlich. Er kämpft quasi um seine Erektion. Er benimmt sich dann so, als wäre er vom Teufel geritten.

Älterer Mann, junge Geliebte – das geht dann aber eigentlich nicht auf, oder?
Am Anfang schon, weil sein Reptiliengehirn wach wird: Die Geliebte ist neu, jung, ihr Körper sieht knackig aus, er kann sich besser und schneller erregen. Wenn er nach ein oder zwei Jahren nicht mehr verliebt ist, hat er aber wieder dieselben Probleme. Er kommt nicht darum herum, sich um seinen Penis und die grundsätzliche Erregung zu kümmern. Erektionsstörungen liegen häufig – ähnlich wie Trockenheit bei Frauen – Verkrampfungen zugrunde: Bekommt ein Mann bei Erektionsproblemen Angst, dann spannt er den Beckenboden an, in dem der Penis ja zu einem Drittel drinhängt, und verhindert so, dass der Beckenboden ordentlich durchblutet wird, wodurch sich das Problem wiederum verstärkt. Er muss lernen, seinen Körper besser zu spüren, sich langsamer und nachhaltiger zu erregen und gut im Kontakt mit seiner Partnerin zu sein. Fachleute nennen dies Slow Sex oder Soul Sex. Das kann der Mann in diesem Alter auch besser, weil das Testosteron weniger wird und sein Östrogen mehr Wirkung bekommt.

Das bedingt aber, dass der Mann dies auch weiss.
Genau, dass er nicht an einer Depression leidet und Psychopharmaka bekommt, weil der Arzt auch nicht weiss, dass es eine Andropause gibt. Viele Ärzte verschreiben zu schnell Psychopharmaka, je nachdem, wie depressiv der Patient wirkt, und – Viagra.

Gilt auch bei Männern die Theorie der Leichen im Keller? Hierzu habe ich noch keine Forschung gesehen, aber ich würde meinen, dass ein solcher Zusammenhang besteht. Wer sich generell nicht um seine «Leichen» kümmert, staut etwas im Inneren auf, irgendwann steigt der Druck, und auf einmal hat der Mann ein Burnout, einen Herzinfarkt, Erektionsstörungen, oder er geht fremd. Die Zeit der Wechseljahre ist einfach eine fragile Phase für beide Geschlechter, und es wird dann allem Anschein nach fast unmöglich, den Deckel noch draufzuhalten.

Das Buch zum Thema
Ann-Marlene Henning & Anika von Keiser: Make More Love. Ein Aufklärungsbuch für Erwachsene. Verlag Rogner & Bernhard, 352 Seiten, 28.80 Franken, www.doch-noch.de