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Meinung: Warum ich als Mutter umso mehr für Abtreibungen bin

Politik

Meinung: Warum ich als Mutter umso mehr für Abtreibungen bin

Vor zehn Monaten kam das Baby von Redaktorin Marie Hettich zur Welt. Seit sie selbst Mutter ist, befürwortet sie das Abtreibungsrecht umso mehr – denn diesen Wahnsinn muss man wollen.

Unser Baby war etwa drei Monate alt, als ich mein Handy hervorkramte und in meine Notizen tippte: Text über Abtreibungen schreiben!

Vergangenen Freitag hat der Supreme Court in den USA das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gekippt. Mittlerweile sind Abtreibungen in sieben US-Bundestaaten verboten, etliche weitere werden folgen. In der Schweiz laufen aktuell gleich mehrere Initiativen, die das Abtreibungsgesetz verschärfen wollen. Mein Text, der mir vergangenen Herbst in den Sinn kam, hat nun also einen aktuellen und niederschmetternden Anlass.

Grenzerfahrungen

Was mich damals so umtrieb, war die Vorstellung, all das mitmachen zu müssen, ohne es zu wollen. Oder ohne es zu können, aus welchen Gründen auch immer. Mit «all das» meine ich: eine Schwangerschaft. Eine Geburt. Mutterschaft. Das sind Grenzerfahrungen, auch wenn das Kind ein absolutes Wunschkind ist. Auch wenn man, wie ich, dankbar für einen gleichermassen involvierten Partner und ein gesundes Baby sein kann.

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«Wie heftig wird die Geburt? Was, wenn mein Kind zu früh oder krank auf die Welt kommt?»

Ich kenne Frauen, die es gehasst haben, schwanger zu sein – obwohl sie schwanger werden wollten. Die erzählten, sie fänden es gruselig, dass ein alienartiges Wesen von ihrem Körper Besitz ergreift. Oder Frauen, die monatelang so heftige Beschwerden hatten, dass sie am Leben kaum mehr teilnehmen konnten.

Ich war gern schwanger. Und trotzdem kam auch ich immer wieder an Tiefpunkte: Als ich aufgrund meines schmerzenden Iliosakralgelenks nur noch humpeln konnte, zum Beispiel. Als Schwangerschaftsdiabetes bei mir diagnostiziert wurde und ich trotz strengem Ernährungsplan ein paar Wochen später Insulin spritzen musste. Oder als es plötzlich hiess: Beckenendlage, Kaiserschnitt.

Eine schier endlose To-do-Liste

Ausserdem habe ich den Aufwand, schwanger zu sein, unterschätzt: All diese Gynäkolog:innen-Besuche, die neuen Klamotten, die man braucht, dieses ewige Gut-auf-sich-aufpassen. Und zwischendurch immer wieder die aufpoppenden Sorgen: Wie heftig wird die Geburt? Was, wenn mein Kind zu früh oder krank auf die Welt kommt? Wie soll das finanziell alles gehen? Was wird aus unserer Beziehung, aus meinen Freundschaften, aus meinem Job? Werde ich jemals wieder Zeit für mich haben? Unvorstellbar, wie viel grösser die Sorgen von Frauen sein müssen, die ungewollt schwanger sind.

Nachts lag ich oft wach und bin im Kopf die Liste mit allen nötigen Anschaffungen durchgegangen – auch wenn ich von anderen Eltern mehrmals gehört habe: Mach dir keinen Stress, es braucht gar nicht so viel. Ich finde: Es braucht sehr wohl sehr viel. Ohne Baby-Fieberthermometer oder Nasensauger, ohne Wippe oder Trage, ohne Babybadewanne oder -decke, ohne das optimale Stillkissen oder gutsitzende Still-BHs wäre der sowieso schon sehr fordernde Alltag als First-Time-Parents noch deutlich fordernder gewesen.

Weiter: eine Hebamme finden, ein Spital aussuchen, sich in Kitas auf Wartelisten setzen lassen, einen Geburtsvorbereitungskurs buchen, eine Krankenkasse fürs Kind auswählen, Kinderzulagen beantragen – die To-do-Liste ist schier endlos. Und gleichzeitig wird in der Schweiz erwartet, dass bis zur Geburt erstmal alles weiterläuft wie gehabt. Dabei ist mit dem Moment des positiven Tests nichts mehr, wie es einmal war.

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«Wie sehr mein Leben nun ein anderes ist, zeichnet sich erst allmählich ab»

Etwa vier Wochen nach der Geburt war ich mit zwei Freundinnen im Kino. Ich weiss noch, wie ich grossspurig erzählte, dass ich nicht verstehen könne, was alle haben – es sei ziemlich easy mit Baby! Wie sehr mein Leben nun ein anderes ist, zeichnet sich erst allmählich ab.

Seit mein Freund und ich nach unserer gemeinsamen Elternzeit wieder zurück im Job sind, ist unser Alltag komplett durchgetaktet. Ständig müssen wir uns absprechen: Wer bringt das Kind in die Kita, wer holt es ab, wer bleibt zu Hause, wenn es krank ist, wer geht Windeln kaufen? Wenn ich allein etwas unternehmen will, brauche ich jedes Mal sein Okay, und andersrum. Bei jeder Verabredung, der mein Freund und ich zusagen, schicken wir Stossgebete in den Himmel: Hoffentlich sind alle gesund und es klappt!

Paarzeit muss mühsam geplant werden – oftmals fehlt uns die Energie, überhaupt etwas zu organisieren. Auch an den Abenden sind wir selten für uns, da unser Baby meist erst um 21 Uhr müde wird und kurze Zeit später uns selbst die Augen zufallen. Mit Kind sind plötzlich weder die Nächte noch Ferien wirklich erholsam – das muss man erstmal verdauen.

«Manchmal bin ich schon nach zwei Stunden mit Baby so erschöpft, dass ich nicht weiss, wie ich den Rest des Tages schaffen soll»

Manchmal, wenn ich mit unserem Baby allein bin, bin ich schon nach zwei Stunden so erschöpft, dass ich nicht weiss, wie ich den Rest des Tages schaffen soll. Diese Verantwortung, diese ständige Verfügbarkeit, dieses viele Rumtragen. Oft fühlt sich mein Körper am Abend an, als hätte man mich verprügelt. Ich denke nicht mal daran, nach dem Abendessen nochmal das Haus zu verlassen. Und andersrum zieht es mich nach den Tagen im Büro meistens nach Hause, weil ich unser Kind so vermisse. Meine Freundschaften leiden, und das macht mich traurig.

Richtig und verantwortungsvoll

Laut Bundesamt für Statistik haben in der Schweiz fast die Hälfte der Frauen, die abtreiben, schon ein oder mehrere Kinder. In Deutschland sind es sogar 60%. All diese Frauen wissen, was es heisst, schwanger zu sein, zu gebären, Mutter zu werden. Und auch sie wissen, dass es richtig sein kann, sich gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Richtig und verantwortungsvoll.

In den USA müssen nun etliche Frauen für diese Entscheidung ihr Leben aufs Spiel setzen. Oder sie bleiben ungewollt schwanger – und werden dazu gezwungen, diesen ganzen Wahnsinn mitzumachen. Den Wahnsinn, den man doch nur durchstehen kann, wenn man sich für diese grosse Aufgabe selbst entschieden hat. US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez formulierte es so: «Eine erzwungene Schwangerschaft ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.»

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Brigitta Schmidt

Herzlichen Dank für den berührenden Artikel – ich bin zwar älter und habe meine Töchter vor mehr als 30 Jahren geboren. Ich möchte diese Lebenserfahrung nicht missen und fühle mich als Neogrossmutter privilegiert, dass ich nochmals ein Kind beim Aufwachsen begleiten kann – aber es kann in verschiedenen Situationen zuviel sein, auch noch für ein Kind sorgen zu müssen. Lassen wir den Frauen und den betroffenen Partnern die Wahl!

Caroline

Ich wurde vor 6 Monaten Mama und fühl dich so, so sehr! Gut zu wissen, dass man damit nicht alleine ist. Danke für diesen Text!

Anita

Ich bin ein ungewolltes Kind. Meine Mutter hatte zum Glück Unterstützung von ihrer Familie. Aber mal so ganz hart gesagt, wäre es für sie als Mensch damals besser gewesen sie hätte die Möglichkeit zur Abtreibung gehabt. Mir bricht das Herz für all diese ungewollten Kinder.