Politik
Meinung: Warum bezeichnen sich so wenige Frauen als Feministin?
- Text: Helene Aecherli
- Bild: Unsplash
Die «annajetzt»-Studie zeigt: Über die Hälfte der Frauen in der Deutschschweiz scheuen vor dem Begriff Feministin zurück. Dabei dürfen gerade heute die Stimmen von Feministinnen nicht leiser werden, findet Redaktorin Helene Aecherli.
Schaut man in die Welt hinaus, um zu erkunden, wie es den Frauen geht, zeigt sich ein ambivalentes Bild. Einerseits haben Frauen heute so viele Chancen wie nie zuvor: Sie sind Staatschefinnen, CEOs, Unternehmerinnen, machen in vielen Ländern die Mehrheit der Studienabgänger aus, besetzen politische Ämter, leben Mutterschaft, Karriere und sexuelle Selbstbestimmung und haben gute Aussichten, hundert Jahre alt zu werden. Andererseits hat sich die Gewalt an Frauen nicht verringert, im Gegenteil: das Ausmass an häuslicher und sexualisierter Gewalt hat weltweit zugenommen. Frauen werden verprügelt, vergewaltigt oder verstümmelt, im Namen von Tradition und Religion diskriminiert oder, wenn sie gegen vorherrschende gesellschaftliche Normen verstossen, einfach getötet.
Blicken wir auf unsere unmittelbare Umgebung, die Schweiz, verwischen sich die Kanten der Ambivalenz, doch wird das Bild nicht weniger komplex. Zwar können sich die Errungenschaften unserer jungen Gleichstellungspolitik durchaus sehen lassen, doch täuschen sie nicht darüber hinweg, dass die Schweiz noch immer zu den konservativsten Ländern Europas gehört, und wir Frauen in vielen Bereichen, wenn auch nicht am Anfang, dann doch irgendwo am unteren Drittel des Weges stehen: Von Lohngleichheit sind wir hartnäckig weit entfernt, noch klammert sich ein Grossteil der bürgerlichen Politiker an ein Steuersystem aus der Nachkriegszeit, das Frauen benachteiligt, in knapp der Hälfte der Geschäftsleitungen der grössten Schweizer Unternehmen sitzen noch immer nur Männer, wer Beruf und Familie vereinbaren will, begibt sich oft in ein Hamsterrad, dessen Drehtempo unerbittlich zunimmt, trotzdem droht vielen Frauen nach der Pensionierung die Altersarmut.
Bloss 15 Prozent antworten mit einem klaren Ja
«Feministinnen vereint euch! Lasst uns unser Momentum nicht verlieren. Wir haben viel erreicht, aber es gibt noch viel zu tun!», würde man angesichts dieser Auslegeordnung am liebsten in die Welt hinausschreien – und dabei ganz besonders auch die Feministinnen in der Schweiz anpeilen. Doch was, wenn dieser Ruf seine Adressatinnen hierzulande gar nicht erreicht? Und zwar weniger, weil er nicht gehört würde, sondern weil sich die meisten Frauen gar nicht als Feministinnen bezeichnen und sich folglich auch nicht angesprochen fühlen?
Dass diese Sorge nicht gänzlich unberechtigt ist, zeigt die annajetzt»-Studie zur Befindlichkeit von Frauen in der Deutschschweiz, die von annabelle und Sotomo durchgeführt worden ist. Auf die Frage «Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?» antworten nämlich bloss 15 Prozent aller Studienteilnehmerinnen mit einem klaren Ja, ein knappes Drittel sagt: eher ja. Bei genauerem Hinsehen lässt sich zwar ein Generationenunterschied erkennen.
Der «Emma-Watson-Effekt»
Frauen unter 35 scheinen mit dem Begriff Feministin sehr viel weniger Berührungsängste zu haben, geben doch fast zwei Drittel jener Befragten an, dass sie sich als Feministin bezeichnen. Erklärt wird dies mit dem sogenannten «Emma-Watson-Effekt», inspiriert durch die gleichnamige britische Schauspielerin, die sich unter jungen Frauen einen Namen gemacht hat, weil sie nicht davor zurückscheut, Sexismus, Gewalt an Frauen und Diskriminierung offen anzuprangern. Darüber hinaus haben wohl auch die #MeToo-Bewegung und die so unverfroren offenbarte Misogynie von Ex-US-Präsident Donald Trump viele junge Frauen für den Feminismus sensibilisiert. Trotzdem: Das feministische Selbstverständnis der Deutschschweizerinnen ist ernüchternd. Knapp 60 Prozent lehnen den Begriff Feministin für sich ab. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die Stimmen der Feministinnen nicht leiser werden dürfen. Wie ist das zu erklären?
Nun, dass sich ein Grossteil der Frauen in der Schweiz nicht als Feministin bezeichnen mag, ist keineswegs neu und hat folglich wohl auch kaum damit zu tun, dass aktuelle feministische Diskussionen wie etwa zu Themen wie dem Gendern zusehends ideologisch geführt werden. Ich habe in den vergangenen Jahren oft darüber diskutiert, mich heiser geredet, bin auf Unwillen gestossen, auf Misstrauen oder Gleichgültigkeit, allem voran aber auf einen tiefsitzenden Zweispalt: «Sag mal, bist du Feministin?» hatte mich mal eine Freundin gefragt, und in ihrer Stimme schwang ein Unterton mit, der neugierig und gleichzeitig auch abwehrend war, so, als suggeriere diese Frage die Zugehörigkeit zu einer ominösen Gruppierung, von der man sich ebenso angezogen fühlt wie abgestossen.
«Ja, klar», antwortete ich. «Und du? Bist du Feministin?» Sie blickte verlegen. «Eigentlich eher nicht», entgegnete sie. «Weisst du, ich liebe es, weiblich zu sein. Ich liebe schöne Kleider, die meinen Körper betonen, ich liebe es, mich zu schminken, und ich mag Männer. Ich bin halt einfach gern ganz Frau.»
Diese Argumente höre ich immer wieder, von älteren Frauen, von gleichaltrigen, aber überraschenderweise auch von sehr viel jüngeren – obwohl gerade die Pionierinnen unter den jungen Feministinnen Sex, Glam & Feminism längst mühelos miteinander zu vereinen scheinen und diese Dreieinigkeit auch selbstbewusst auf Social-Media-Kanälen vermarkten. Doch ist die Grundhaltung, die mir im Vertrauen zugeraunt wird, stets dieselbe: «Feministische Anliegen sind für mich wichtig. Aber da ich gern Frau bin, will ich lieber keine Feministin sein.» Und dieser Satz betrübt mich immer wieder von Neuem. Es ist, als würde das «-ismus» im Feminismus das Feminine sabotieren.
Die Annahme, dass Feminismus und Weiblichkeit einander ausschliessende, sich ohne Schnittmenge gegenüberstehende Einheiten sind, ist eines der hartnäckigsten Missverständnisse der Frauenbewegung – und es wird dadurch befeuert, dass Frauen, die sich allzu freizügig exponieren, schnell unterstellt wird, feministische Ideale zu verraten. Zwar hat das Anprangern von zur Schau gestellten weiblichen Attributen wie Lippen, Brüsten, Haaren oder Po oder von körperbetonter Kleidung im feministischen Diskurs durchaus seinen Grund.
Gleichstellung bedeutet nicht, gleich auszusehen
Frauen wurden und werden aufgrund ihrer äusseren Erscheinung schubladisiert, verniedlicht oder im Falle von sexualisierter Gewalt zu Mittäterinnen gemacht. Gleichzeitig sind sexualisierte Bilder von Weiblichkeit hochpotente Treiber der Fashion-, Film- und Pornoindustrie, die aller emanzipatorischer Anstrengungen und allem Hashtag-Aktivismus zum Trotz, auf ihren patriarchalen Geschäftsstrukturen beharren. Das lässt sich mit bestem Willen nicht schönreden. Gleichzeitig kann dies nicht der alleinige Grund sein für das fast schon reflexartige Abwehren der Feministinnen-Frage. Diese Reaktion muss tiefere Ursachen haben.
Kann sein, dass sich die frühen feministischen Bewegungen dieses Missverständnis selbst eingebrockt haben. Dass sich in ihren Kämpfen um Gleichstellung in der Politik, am Arbeitsplatz und in der Familie auch ein Streben nach äusserer Angleichung eingeschlichen hat. Will sagen, ein Streben nach dem «Dresscode» der noch immer wirtschaftlich und politisch dominanten Kultur von Maskulinität. Warum sonst hat der uniforme Business-Style für Frauen noch immer Hochkonjunktur? Warum sonst wird Frauen noch immer nahegelegt, ihre Stimmen zu senken, damit sie an Sitzungen überhaupt gehört werden? Das Bewusstsein, dass Gleichstellung nicht bedeutet, gleich auszusehen wie die dominierende Kultur, beginnt sich erst langsam durchzusetzen.
Höchste Zeit, also, Feminismus und Weiblichkeit endlich miteinander zu versöhnen. Und zwar so, dass der Fokus nicht mehr darauf gerichtet ist, wie man aussieht, sondern darauf, wer man ist und ob man das Leben führen kann, das zu einem passt. Denn gerade in Zeiten wie diesen, in denen Errungenschaften wie die allgemeinen Menschenrechte – und damit ganz besonders auch die Rechte der Frauen – in vielen Länder geschmälert werden, ist es so wichtig wie kaum je zuvor, darauf zu beharren, dass feministische Forderungen unverhandelbar bleiben – hierzulande wie weltweit. Dafür braucht es die Entschlossenheit aller Generationen. Und beim nächsten «Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?» kein «eher nein», sondern einfach ein Ja.
Das ist doch so offensichtlich! Weil es den klugen Selbstbewussten erfahrenen Frauen die wissen was sie wollen, denen ist es unendlich peinlich das es solch dämliche und unreflektierte Frauen gibt und distanzieren sich deshalb Best möglich von diesen.
Ganz einfach nur ja: Ja ich bin Feministin und stolz darauf.
Wir Frauen haben zwar schon einiges erreicht, aber von Gleichstellung sind wir leider immer noch weit entfernt ob Mann das jetzt wahrhaben möchte oder nicht.