Das deutsche Model Marie Nasemann ist jüngstes Opfer gemeiner Mom-Shaming-Attacken. Väter hingegen bleiben davon im Normalfall verschont. Warum eigentlich, fragt sich Praktikantin Alica Wenger.
Ein Glas Tomatensauce, eine Metallgabel und ein schlafendes Kind allein im Hotelzimmer: Ex-«GNTM»-Kandidatin und «Fairknallt»-Autorin Marie Nasemann erntete für den Umgang mit ihrem Kind in den letzten Tagen viel Kritik auf Social Media. Oder anders gesagt: Sie erntete Mom-Shaming vom Feinsten.
Bereits vergangenen Montag teilte Nasemann auf Instagram im Rahmen eines Paid Posts eine Dokumentation des Ernährungsalltags ihres Einjährigen – und schuf damit unfreiwillig den idealen Nährboden für erhobene Mahnfinger sogenannter Übermütter. So vermuteten User:innen einen zu hohen Zuckeranteil in der Fertig-Tomatensauce und fanden, das Füttern mit einer Metallgabel sei nicht kindgerecht.
Später gewährte die 32-Jährige Einblicke in den Italienurlaub mit ihrer kleinen Familie. Während ihr Sohn abends alleine im Hotelzimmer schlief, entschieden die Eltern, mit Babyfon im Restaurant um die Ecke essen zu gehen, und verkündeten die Zweisamkeit freudig in einer Instagram-Story. Was folgte, waren Hassnachrichten, Bemerkungen zum Fall Maddie McCann, dem britischen Kleinkind, das im portugiesischen Praia da Luz aus einer Hotelanlage entführt wurde, sowie Vorwürfe einer Vernachlässigung der Aufsichtspflicht.
Respektlose Insta-Follower:innen geblockt
Dass sie mit dem Kurzausflug ins Resti nebenan auf so viel Unmut stossen würde, hätte sich die gebürtige Münchnerin vermutlich nicht gedacht. Schon bald meldete sich die junge Mutter zu Wort, offenbarte ihre Erschütterung über die unzähligen Beleidigungen und Vorwürfe, blockierte einige der besonders respektlosen Nutzer:innen und bat andere Kritiker:innen darum, ihr doch einfach zu entfolgen.
Klar ist: Wer Privates öffentlich im Netz teilt, muss mit Kommentaren rechnen. Nicht nur mit positiven. Zu gross ist die Reichweite, zu einfach die Möglichkeit, Hetzen anonym zu verbreiten und persönliche Unsicherheiten auf andere zu projizieren. Eine traurige Tatsache – die unangemessene und verletzende Anfeindungen aber trotzdem nicht rechtfertigt.
Überall Angriffspunkte
Das Phänomen des Mom-Shamings ist längst bekannt. Auch Celebrities wie Meghan Markle und Emily Ratajkowski mussten sich bereits – weil sie zum Beispiel ihre Kinder «falsch» in den Armen hielten – der breiten Empörung und dem öffentlichen Aufschrei unterziehen. Und auch im Alltag, fernab von Social Media, müssen sich Mütter immer wieder mit spitzen Kommentaren und Bewertungen anderer herumschlagen.
Ob beim Thema Stillen, Ernährung, Bekleidung, Fremdbetreuung oder der «richtigen» Tragetechnik – die Liste an möglichen Kritikpunkten ist endlos. Angriffspunkte finden die, die danach suchen, überall und in jedem Erziehungsstil – abgesehen vom eigenen, versteht sich. Gemobbt wird dann wahlweise durch sogenannte «nett gemeinte» Ratschläge oder gleich mit dem verbalen Sturmgewehr. Da frage ich mich: Und wo bleiben eigentlich die Väter?
Kids wie Bälle herumwirbeln erlaubt
Auf Tiktok und Instagram wirbeln diese ihre Kinder derweilen wie Bälle durch die Luft, binden ihnen mit dem Staubsauger die Haare zusammen oder – Vorsicht, festhalten – füttern die Kleinen heimlich mit Süssigkeiten. Umso erstaunlicher also, dass in solchen Fällen der Diskurs über ein mögliches Schleudertrauma, gebrochene Haarwurzeln oder fahrlässige Ernährungsweisen nur selten bis nie zustande kommt. Aber wieso auch – Männer haben ja sowieso keine Ahnung von Kindern, also verzeihen wir ihnen doch die paar Fehlerchen, oder? Ist ja irgendwie auch cute.
Nicht nur Dad-Shaming, auch der Begriff «Bad Dad» ist weitaus weniger geläufig als die bekannte, weibliche Variante. Wenn, dann nur bei totaler Abwesenheit des Erzeugers. Solange Papa irgendwie präsent ist, ist im Grunde alles gut. Job erledigt.
Auf verurteilenden Tonfall verzichten
Doch anstatt nun auch noch die überkritische Betrachtung von Vätern einzufordern, sollte es doch darum gehen, Eltern ganz generell mehr Vertrauen und Respekt entgegenzubringen und ihre Erziehungsmethoden nicht ungefragt mit «nett gemeinten» Kommentaren blosszustellen. Sowie auf den verurteilenden Tonfall zu verzichten.
Kein Kind ist wie das andere, kein Erziehungsmodell ist wie das andere. Während manche ihren Nachwuchs bis zur sechsten Klasse zum Schulhof begleiten, vertrauen andere darauf, dass es ihr Fünfjähriges schafft, den Weg in den Kindergarten alleine zu bewältigen. Eltern kennen ihre Kinder, wissen, was den Kleinen zuzutrauen ist und was nicht. Wieso der sonst so oft zitierte Grundsatz «Leben und leben lassen» bei Müttern und Kindern derart wenig Anwendung findet, ist mir schleierhaft.
Auch wenn Marie Nasemann und ihr Partner Sebastian Tigges ihr Kleinkind alleine im Hotelzimmer schlafen liessen und manch andere Eltern das offenbar nicht so handhaben würden – als aussenstehende Person ist es schlicht unmöglich, eine Situation vollumfänglich einzuschätzen. Und das muss man auch gar nicht. Denn wenn es nicht gerade um Leben und Tod geht, wenn keine akute Gefahr droht, geht uns das Ganze schlicht und ergreifend auch nichts an.