Leben
Meine Meinung: Die Schweiz, ein wohlig-warmes Vollbad
- Text: Sibylle Berg, Illustration: Grafilu
Wir können schlecht mit Komplimenten umgehen, findet die deutsch-schweizerische Autorin Sibylle Berg. Aber eigentlich möchte sie nicht nörgeln, sondern loben.
Die Schweiz ist dieses Jahr Glücksweltmeister geworden. Nach zwei dritten Plätzen in den letzten Jahren haben wir es dieses Jahr an die Spitze geschafft im «World Happiness Report 2015», für den Wissenschafter 158 Länder verglichen haben. Ich hätte jede Wette abgeschlossen, dass die realen und medialen Reaktionen auf diese kleine Untersuchung sehr negativ ausfallen. Und tatsächlich, der Tenor war eindeutig: Ja, uns geht es so gut, aber, auf wessen Kosten? Uns geht es gut, aber wir nörgeln, und wie sehen denn die Gesichter aus, wie schlecht gelaunt sind wir denn, und die Pendler, und überhaupt, warum lächeln wir nicht?
Nun gut, ich bekomme offen gestanden auch nicht gern Komplimente. Ich weiss leider nie, wie ich mich dann korrekt verhalten soll. Lächeln, danke sagen, schon klar. Aber es fühlt sich nicht natürlich an, sondern als wäre ich ein untalentierter Transvestit, der eine italienische Frau nachahmt. Am besten kann ich darum mit geschriebenen Komplimenten umgehen, dann kann ich ein wenig tanzen, und keiner sieht es, oder ein blödes Gesicht machen. Zurück zum Problem. Also, Komplimente sind wie unerwartete Geschenke, die ich übrigens auch nicht gern bekomme, aus denselben Gründen: Wie schaut man da, was ist die angemessene Reaktion?
Auf jeden Fall nicht diejenige der Medien. Ein Lob mit einer Selbstkritik zu beantworten, das ist ein bisschen albern, oder? Die Schweizerinnen und Schweizer wissen doch eigentlich, dass sie bis auf ein paar seltsame Exemplare ein cooles Volk sind. Selbst die Tatsache, dass der untere Mittelstand noch immer eine Partei wählt, die nur die Interessen von Multimillionären und Kapitalisten übelster Gesinnung vertritt, sei ihnen verziehen, das tun ja fast alle Bürger Europas. Ich verstehe nur nie, warum. Wollt ihr höhere Steuern, während Unternehmen gar keine zahlen, wollt ihr wirklich nicht günstiger wohnen, lieber noch mehr Luxusimmobilien für ausländische Anleger, wollt ihr Frieden für russische Oligarchen statt vernünftiger Erleichterungen für Kleinunternehmen? Na dann halt. Jetzt meckere ich auch schon wieder. Zurück zum Glück. Ja, es stimmt. Es gibt in Europa nicht sehr viele ausgeglichener wirkende Völker. Die Italiener vielleicht, aber sonst?
Nein, die Entspanntheit im öffentlichen Raum (aggressiv sind eigentlich erstaunlicherweise nur zwei Bevölkerungsgruppen: Frauen mit grauen Haaren auf Trottinetts, und junge Männer in glänzenden Anzügen und mahlenden Kieferknochen), lässt selbst ohne statistische Erhebungen nur einen Schluss zu: Die Schweizer Bevölkerung ist relativ glücklich. Nicht auf so eine verkitschte Art – wie die lachenden Kinderaugen in Slums, oder die vehemente Lebenslust der Südamerikaner, die immer auf Tischen tanzen (man sollte den Einfluss von Alkohol nie unterschätzen) –, sondern auf eine ausgeglichene, angenehme Art, die sich dadurch zeigt, dass man sich wenig anrempelt, wenig streitet (ausser beim Autofahren) und dass es unglaublich angenehm ist, mit den Menschen hier zu leben. Mir ist es immer, als schwämme ich in einer warmen Badewanne durch die Schweiz, in der mir nichts passieren kann. Die Menschen hier sind der Grund, warum mir wohl ist. Wohler als an den meisten anderen Orten der Welt.