Die Autorin Michèle Roten fragt sich, was sie sich als Schauspielerin alles zumuten würde.
Wussten Sie, dass in Filmen Vulva-Prothesen verwendet werden? Zum Beispiel in «La vie d’Adèle». Der Plot besteht hauptsächlich daraus, dass zwei Frauen Sex miteinander haben, und man sieht das alles recht genau. Beziehungsweise, eben, was man sieht, sind Plastikvulvas. Sie wurden den Hauptdarstellerinnen in rund zweistündigen Sessions aufgeklebt.
«Fifty Shades of Grey» ist noch so ein Film, in dem es entscheidend darum geht, dass die Hauptfiguren Sex haben. Es gibt eine kurze Szene, wo Schamhaare aufblitzen – es stellte sich allerdings heraus, dass sie in der Postproduction reinretuschiert wurden, Dakota Johnson ist natürlich glatt rasiert (2015: das Jahr, in dem Schamhaare reinretuschiert wurden).
In der ersten Folge der neuen Staffel von «Girls» ist das Erste, was wir von Marnie (Allison Williams) sehen, wie sie einen Anilingus von ihrem Lover bekommt, sie lehnt dabei an der Küchentheke, er kniet hinter ihr und steckt mit dem Gesicht zwischen ihren Pobacken. In einem Interview erzählte Williams, dass die Vorrichtung, die ihre Intimsphäre schützte, ein Gipfel der Ingenieurskunst war: «Sie bestand aus Spanx, die aufgeschnitten und geleimt wurden, und aus Binden und zwei Tangas.» Und trotz all dem steckte der Schauspieler letztlich ziemlich real mit seinem Gesicht in ihrem Arsch.
Ich finde es schon ziemlich krass, was in Film und Fernsehen derzeit von Schauspielerinnen verlangt wird. Brüste gehören ja längst zum Standard – 1963 war übrigens Jayne Mansfield die erste Mainstream-Schauspielerin, die sich auf der grossen Leinwand blankzog («Promises! Promises!»). Jetzt kommt eben die nächste Bastion, die Vulva. Und so kommt es, dass sich eine Schauspielerin heute sehr explizite Überlegungen machen muss bezüglich ihrer Schamgrenze. Ich habe hier ein paar Fragen zusammengestellt, die man sich als Actrice heute wohl so stellen muss. Und ich versuche auch gleich, ein paar davon für mich zu beantworten. Probieren Sie es auch! Man erfährt viel darüber, wo die eigene Schamgrenze anfängt – und wo der Spass aufhört.
Bin ich bereit, einem Millionenpublikum meine Brüste zu zeigen? (Ungern, aber okay. Sonst könnt ich den Schauspielerberuf gleich an den Nagel hängen.) Meinen Po? (Easy.) Meine Scheide? (Verdammte Hölle, nein.) Will ich ein Körperdouble für Sexszenen? (Ein bisschen unter einem Mann liegen, und dann schwenkt die Kamera zur Zimmerdecke, liegt drin.) Ab welcher Art von Sexszene will ich ein Körperdouble? (Alles, was über Unter-dem-Mann-Liegen hinausgeht?) Wäre ich bereit, einen Blowjob zu simulieren? (Tut man beim simulierten nur so, als ob man einen Penis im Mund hätte? Wie soll denn das gehen? Ach so, Sie meinen, man sieht nur den Kopf rauf- und runtergehen? Das ist okay.) Wäre ich bereit, Cunnilingus zu simulieren? (Also analog zum simulierten Blowjob nur den Kopf zwischen die Beine einer Frau stecken? Okay.) Würde es einen Unterschied machen, wenn die Vulva der Frau unter einer Plastikvulva stecken würde? (Kommt drauf an, wie nah die Kamera rangeht! Sonst kann sie auch einfach ihre Unterhose anlassen, nicht? Ach so, ich müsste an der Plastikvulva herumlecken? Nein.) Bin ich bereit, meine Scheide zu zeigen, wenn sie mit einer meiner eigenen Scheide nachempfundenen Plastikscheide überzogen ist? (Muss das denn wirklich sein? Ist es wirklich wichtig für den Film, dass man etwas Scheidiges sieht?) Und wenn die Plastikscheide nicht meiner eigenen nachempfunden ist? (Sondern der von Barbie?) Bin ich bereit, jemanden bei mir einen Cunni-/Anilingus simulieren zu lassen? (Ich muss jetzt zum nächsten Casting.)