Meine Meinung: Politik ist für mich wie Mundhygiene
- Text: Hazel Brugger, Illustration: Grafilu
Slampoetin Hazel Brugger über feige und faule Nichtwähler, die sich statt in den sozialen Netzwerken besser an der Urne aufhalten sollten.
Als ich in der Schule dazu verdonnert wurde, das politische System hierzulande genauer zu begreifen, beschloss ich, dass ich Politik und vor allem die meisten Politiker langweilig finde. Politik ist für mich wie Mundhygiene. Die Nation muss sich damit befassen, klar, sonst fällt sie innerlich auseinander, stinkt nach Fäule und will nicht mehr in der Öffentlichkeit lächeln – mehr aber auch nicht.
So zu tun, als wäre das Ausfüllen des Stimmzettels ein Highlight meines Daseins, wäre genauso gelogen, wie zu behaupten, dass ich jedes Mal vor Freude jauchze, wenn ich mit der Zahnseide gerade im Jackson-Pollock-Stil Essensreste an den Badezimmerspiegel schleudere. Heute bin ich zwar immer noch nicht aus tiefstem Inneren interessiert, fleissige Wählerin bin ich aber trotzdem – und mein Zahnfleisch sei von hellrosafarbener Sonderklasse, sagt meine Dentalhygienikerin.
Es ist wieder Wahljahr in der Schweiz – das erste Wahljahr übrigens, in dem ich volljährig und somit ein richtiger Teil der Demokratie bin –, und während in anderen Teilen der Welt nur vom Mitspracherecht geträumt wird, liegt die Wahlbeteiligung hierzulande wohl wieder auf peinlich niedrigem Niveau. Dabei war es noch nie einfacher, sich über aktuelle Geschehnisse zu informieren, und noch nie bequemer, auf seine eigene Stimme aufmerksam zu machen. Immer öfter werde ich per Mail gebeten, für irgendwelche albernen Petitionen meine Unterschrift herzugeben oder mit meinem Daumen nach oben gegen das vermeintlich bezwingbare Leid in der Welt anzukämpfen. Noch nie wusste ich dank Facebook von so vielen Bekannten gleichzeitig, was ihnen am Herzen liegt. Doch leider gaukelt das ständige Mitmischen und Dabeisein in Foren, auf Nachrichtenseiten und in freundschaftlich gemeinten Vernetzungssälen den Leserinnen, Zuschauern und Zuhörerinnen eine echte Meinungsfreiheit hauptsächlich nur vor. Insbesondere die anonymen Kommentarfunktionen im Internet sind das Schlimmste von dem, was die konstante Vernetzung und die fortschreitende Technologie bis anhin mit sich gebracht haben.
Denn Politik hat mit sozialen Netzwerken wenig zu tun. Mit Klicks und anonymen Kommentaren kommt man hier nicht weit. Politik ist harte, komplizierte Arbeit mit konkreten Zielen, mit dicken Fäusten auf noch dickeren Tischplatten. Abstimmen gehen ist nicht cool, und der Gang an die Urne muss keinen Spass machen. Aber gegangen werden muss trotzdem, und zwar ohne Ausreden. Wer in der Schweiz nicht wählen geht, ist feige und faul. Wer nicht wählen geht, hat kein Recht darauf, sich über irgendetwas vollumfänglich aufzuregen. Wer nicht wählen geht und trotzdem online Dinge kommentiert, dem gehört der Strom abgestellt und die Zahnpasta durch Lehm ersetzt. Denn Politik ist Zukunft, und in Sachen Zukunft ist mir eine fremde Meinung immer noch lieber als gar keine. Ich hoffe deshalb, dass sich die Schweizer aus den unvernünftigen Kommentarspalten raus- und mit geputzten Zähnen an die Urne begeben. Denn eine ungenutzte Stimme ist genauso stumm wie keine.