Bisher hatte annabelle-Autorin Sibylle Berg damit nicht rechnen müssen, aber jetzt steht sie vor ihm: Dem Generationengraben.
Herbst! Welch originelle Jahreszeit, um die Alterung willkommen zu heissen. Aussen findet die ja nicht mehr statt, das wissen wir zu verhindern. Hundert ist das neue dreissig. Aber dürfen wir uns, total medien-unüblich, mal mit den Innereien beschäftigen? Mit dem Hirn? Das irgendwann nicht mehr mitmachen will. Oder kann?
Niemals, dachte ich, würde sich zwischen mir und den jungen Menschen, den 20-jährigen und darunter, ein Generationengraben öffnen. Bis vor kurzem ahnte ich zumindest, was den jungen Menschen interessiert. Ich wusste um seine Musik, seine Stars, ich verstand die modischen Ideen, also teilweise. Es war mir auch immer möglich, mit einem jungen Menschen ins Gespräch zu kommen, falls es sich ergeben hätte. Okay, es hat sich selten ergeben, selbst das ultrajunge, ökologisch-geile E-Moped, das ich mir zugelegt habe, half nicht, mit einem Jugendlichen an der Ampel ins Plaudern zu kommen. Hey you, auch E-Moped fahren, was. Daumen nach oben – Jugendlicher fährt entsetzt weiter.
Lange Einleitung, kurze Aussage – irgendwann kommt wohl bei jedem der Punkt, an dem er leise raunt, ich verstehe die jungen Menschen nicht mehr. Ich hatte gerade mühsam akzeptiert, dass es kaum mehr Schamgrenzen gibt, dass es nicht mehr peinlich ist oder eben egal, einer Jury falsch vorzusingen und sich vor ein paar Millionen erniedrigen zu lassen. Ich versuchte die Überbevölkerung der Welt zur Erklärung heranzuziehen, die Sucht nach einer Bedeutung – ich wollte verstehen, dranbleiben, wach bleiben, «Big Brother», «Germany’s Next Topmodel», all den Müll zog ich mir rein, um nur nichts zu verpassen. Das war die Zeit, als ich auch noch versuchte, den Anschluss an die aktuelle Musik zu halten, die süssen Nuttenoutfits zu begreifen (klar, Rolemodels aus dem Popbusiness, Ironie und so weiter), alles kapiert, alles klar, aber beim Betrachten von Youtube-Stars flogen mir die Synapsen weg.
Da ist Bibi, das freundliche Durchschnittsgirl von nebenan, das Schminktipps gibt unter dem Blick von drei Millionen Zuschauern und ohne zu zucken ein Productplacement nach dem anderen abfeiert. Sami Slimani, der Starbucks-Sommerdrinktipps gibt, Le Floid, der angeblich kritische Politkommentator, der beim Interview mit Kanzlerin Merkel abschmierte und trotzdem keine Beliebtheitsverluste einfuhr. Macht das heute nichts mehr? Ist es wirklich egal, Rotten junger Menschen mit Kaufempfehlungen zu versorgen, die nur dem eigenen Konto helfen? Unter all den Klickmillionären versteh ich am ehesten Die Aussenseiter, ein deutsch-russisches Komikerduo, selbstironisch, das auch mal gegen Nazis singt.
Die 13- bis 20-Jährigen entscheiden heute selber, wen und wann sie sehen. Sie wählen sich die eigenen Stars, machen sich unabhängig vom Geschmack ihrer Eltern. Das Genörgle, die Jugend sei so unpolitisch, ist albern. Sie sagen klar Ja zum Kapitalismus, zum Konsum, zu den Endgeräten, die sie auspacken, zu all dem Scheiss, den wir vergeblich hinterfragen. Okay. Es ist gelaufen. Ich kann nicht mehr mitreden. Hallo Herbst. Ich werde ALT.