Unser Reportagen-Chef Sven Broder fragt sich, wie die Welt, ein Land (die Schweiz?) aussehen würde, sässen für ein paar Jahrzehnte ausschliesslich Frauen an den Schalthebeln der Macht. Ein Anlass, dieses Experiment zu wagen, wäre der kommende 18. Oktober.
Das Erstaunen war gross im Althing, dem altehrwürdigen Parlament Islands, als Ragnheidur Rikhardsdottir, 66 Jahre alt und Fraktionsvorsitzende ausgerechnet der rechtsliberalen Unabhängigkeitspartei, ans Rednerpult trat und forderte, das Althing ab 2017 doch für zwei Jahre einfach mal den Frauen zu überlassen. Das war im Juni und Rikhardsdottir frustriert über die Innenpolitik der letzten Jahre. Ein «Women only»-Parlament, was für eine «krasse Idee», fanden sogar Islands Feministinnen. «Hvers vegna ekki?», fragte die konservative Rikhardsdottir zurück, warum nicht? – schliesslich hätte das Volk dann endlich mal die Gelegenheit, herauszufinden, ob Frauen die Dinge tatsächlich anders angehen als die Männer.
Ja, warum eigentlich nicht? Diese Frage darf man sich durchaus mal stellen. Bis zur Wahl der ersten Parlamentarierin war das Regieren (auch) in Island eine reine Männerveranstaltung, also konkret 993 (!) Jahre lang. Im Vergleich dazu wäre das auf 2 Jahre angelegte All-Women-Kontrastprogramm ein genderpolitisches Fürzchen. Und Island ist mit einem Frauenanteil im Parlament von aktuell 41 Prozent und Rang 10 im weltweiten Vergleich (Quelle: www.ipu.org) ja sogar noch ein feministischer Musterknabe. Die Schweiz liegt mit 31 Prozent auf Platz 34. Raten Sie mal, in wie vielen Ländern dieser Welt die Parlamentsmehrheit in Frauenhand ist? Es sind gerade mal zwei: in Ruanda (63.8 Prozent) und in Bolivien (53.1 Prozent). In allen 191 anderen Staaten sind Frauen in der Minderheit oder haben gar nichts zu melden. Wie es so läuft, wenn Männer die Welt beherrschen: Man kennts. Der umgekehrte Fall: Utopia.
Ungeachtet der Erwartung also, obs besser käme oder nicht, schon allein die Inexistenz einer entsprechenden realpolitischen Versuchsanordnung reizt doch – zumindest mal – zum Gedankenspiel: Wie würde die Welt, ein Land (die Schweiz?) aussehen, sässen für ein paar Jahrzehnte ausschliesslich Frauen an den Schalthebeln der Macht. Klar, man kann es sich vorstellen, und nicht jede dieser Vorstellungen lässt ein Männerherz höherschlagen. Nur: Sooo unglaublich toll präsentiert sich die Welt nun ja auch wieder nicht nach all den Jahrtausenden, in denen Mann die Geschichte geschrieben hat. Man(n) muss jedenfalls kein Ultrafeminist sein, um einzugestehen, dass die Welt zumindest keine schlechtere geworden ist, seit Frauen ein Wörtchen mitreden können – und wir reden geopolitisch immer noch von Wörtchen. Und wenn ich so ein wenig naiv an die Zukunft der Menschheit denke, stimmt mich, um nur mal ganz an der Oberfläche der Geschlechterklischees zu kratzen, ein bisschen mehr Weiblich-Launisches, Selbstzweiflerisches und Pastoral-Esoterisches immer noch positiver als der Gedanke an dieses unaufhörliche, nie gestillte Macht-, Geld- und Prestige-Gegeifere von uns Männern.
In der Schweiz hatten die Frauen – meines Wissens – übrigens ein einziges Mal die Mehrheit gleichzeitig sowohl im Parlament wie auch in der Exekutive, und zwar in der wohlhabenden Berner Vorortsgemeinde Muri vor gut zehn Jahren. Das Schweizer Fernsehen berichtete exklusiv – und fragte unter anderem den SVP-Gemeinderat Christian Staub nach seinem Befinden, so als Minderheit. Er meinte: «I ha kei Problem mit Froue i dr Politik. Me cha villicht höchschtens säge, d Sitzige gö echli lenger …» Naja, wenns sonst nichts ist, darf man das Experiment am 18. Oktober ja durchaus mal wagen. Also ich wähle dann mal Frauen – und nur Frauen.