Vor lauter Streiten das Kämpfen vergessen: Ein Meinungsstück von Helene Aecherli.
Er kommt so gnadenlos regelmässig wie das Gerangel am Wühltisch im Ausverkauf: Der Ringkampf zwischen berufstätigen Müttern und ihren kinderlosen Geschlechtsgenossinnen. Und er verläuft stets nach demselben Muster: Erst verlautbaren die berufstätigen Mütter pointiert-indigniert, wie sie von Gesellschaft und Arbeitswelt an ihrem Fortkommen gehindert werden, und lassen danach fast reflexartig ihre Seitenhiebe auf Frauen niederprasseln, die zu egoistisch, zu hedonistisch oder zu feige seien, um Kinder zu gebären. Die «Hedonistinnen» schlagen kühl zurück, beweihräuchern sich selbst als die einzig wahren Galionsfiguren der Emanzipation, der Freiheit und Selbstbestimmung, während die ungewollt Kinderlosen die Fäuste ballen und den Müttern zubrüllen: «Und was ist mit uns, die gern Kinder gehabt hätten, aber keine bekommen konnten? Da habt ihr alles, was ihr euch wünschen könnt, Mann, Kinder, Haus, Hund und Familienferien und dazu noch einen Job, der euch interessiert. Und was tut ihr? Ihr jammert immer noch!»
In diesem Ringkampf gibt es keine Siegerinnen oder Verliererinnen, denn die Kontrahentinnen sind alle im Recht: die berufstätigen Mütter mit ihrer Gesellschaftskritik, die bewusst Kinderlosen mit ihrem Entscheid, kinderlos zu sein, die ungewollt Kinderlosen mit ihrem Schmerz, keine Kinder zu haben.
Doch wer sich aus solchen Debatten ausklinkt und sie aus der Warte der stillen Beobachterin verfolgt, erkennt: Frauen sind geradezu Meisterinnen darin, einander an die Gurgel zu gehen. Und die Kampfzone ist ausgerechnet die, die ihnen selbst am nächsten liegt: die eigene Lebensweise beziehungsweise die der anderen. Befeuert wird das Ganze vom Gefühl des eigenen Mankos und von der Angst, zu kurz zu kommen: Sie hat keine Kinder, die andere hat drei, sie hat ihre Kinder natürlich geboren, die andere per Kaiserschnitt, sie stillt, die andere nicht, sie arbeitet Vollzeit, die andere Teilzeit, sie gibt die Kinder in die Krippe, die andere bleibt beim Nachwuchs zuhause, sie kocht Filet, die andere ist Vegetarierin, sie hat einen Liebhaber, die andere keinen, sie hat abgenommen, die andere ist fett geworden … Und irgendwann stellt man bange fest, dass Frauen so sehr miteinander beschäftigt sind, dass sie in ihrer Überfokussierung auf sich selbst grundlegende Themen gefährlich brachliegen lassen. Themen nämlich, die letztendlich viel stärkeren Einfluss haben auf die Lebensweise der Frauen, und zwar insbesondere auch auf die individuelle.
Denn bis jetzt haben sich Frauen kaum ähnlich leidenschaftlich bissig darüber geäussert, dass sie noch immer gut 18 Prozent weniger verdienen als Männer. Dass hierzulande sieben von zehn Vollzeitbeschäftigten, die mit weniger als 4000 Franken im Monat auskommen müssen, Frauen sind. Dass noch immer meist von «Beziehungsdelikten» oder «Familiendramen» statt von Mord geredet wird, wenn Frauen von ihrem Partner getötet werden. Dass in Deutschschweizer Medien in der Regel 83 Prozent der befragten Experten Männer sind. Dass in Diskussionen um Frauenquoten reflexartig das Argument zu hören ist: «Ja, aber mit einer Quote riskieren wir doch, dass die Stelle mit einer inkompetenten Frau besetzt wird.» Wohingegen vom inkompetenten Mann nie die Rede ist.
Kann sein, dass die Debatten darüber weniger attraktiv sind. Aber während sich die Frauen leidenschaftlich ineinander verbeissen, sieht das (männliche) Establishment genüsslich zu – und macht weiter wie bisher.