annabelle-Autorin Carolina Müller-Möhl fordert mehr Nächstenliebe und engagiertere Politiker.
Ob an einem Abendessen, an einer Veranstaltung oder im Kreis von Freunden, früher oder später dreht sich in diesen Tagen die Diskussion immer um die Flüchtlingskrise. Wenn dann die Emotionen hochgehen, höre ich oft ideologisch gefärbte Aussagen, die ein äusserst bedrohliches Szenario für die Schweiz zeichnen.
Diejenigen, die sich nicht damit abfinden wollen, dass aus den Krisengebieten im Nahen Osten und in Afrika auch künftig Flüchtlinge nach Europa kommen werden, diffamieren die Engagierten der zahlreichen Bürgerinitiativen gern als Gutmenschen. Was für ein Paradox! Denn was ist bitte schön falsch daran, einen ganz persönlichen Beitrag für Menschen in Not zu leisten?
Hinter dem Begriff Gutmensch steht das Konzept der Philanthropie. Das aus dem Altgriechischen stammende Wort bedeutet Menschenliebe. Es ist dieses Verständnis von Philanthropie, das mich dazu motiviert hat, eine Stiftung zu gründen. Viele bekannte und wohlhabende Menschen wie Roger Federer oder die US-Geschäftsfrau Melinda Gates, Ehefrau von Bill Gates, engagieren sich philanthropisch. Dazu muss man aber weder bekannt noch reich sein. Jede und jeder kann aus Menschenliebe tätig werden – auch ohne Geld.
Es braucht auch innovative Geister wie zum Beispiel die Gründer der Online-Universität Kiron in Berlin, die akademische Ausbildungen für Flüchtlinge anbietet. Kostenlos. Wer zwei Jahre erfolgreich die Prüfungen im Netz absolviert hat, kann anschliessend an einer Partneruniversität weiterstudieren und einen Abschluss machen. Auch in der Schweiz gibt es zahlreiche Bürgerinitiativen. Auf www.wegeleben.ch kann man sich beispielsweise melden, wenn in einer Wohngemeinschaft ein Platz frei ist. «Gemeinsam Znacht» gibt uns allen die Möglichkeit einen Flüchtling zum Abendessen einzuladen. Sitzt man gemeinsam am Tisch, wird aus einem anonymen Vertriebenen, dessen Schicksal uns vielleicht kaltlässt, ein Mensch mit Namen und Geschichte.
Zur DNA unseres Landes gehört Bürgersinn. Wir wissen, dass eine Gemeinschaft nur dann funktioniert, wenn sich Menschen aktiv daran beteiligen. Egal, ob sich jemand für die Schonung der Umwelt, die Förderung des Standorts Schweiz oder die Nachbarschaftshilfe starkmacht, die Anliegen sind stets individuell. Genauso wie die Mittel, mit denen wir uns für ein Thema einsetzen, das uns am Herzen liegt. Wo wenig Geld vorhanden ist, können auch Zeit, das eigene Wissen und Netzwerk den Unterschied ausmachen.
Gerade in der Vorweihnachtszeit, wo wir an allen Ecken zum Konsum verführt werden, dürfen Appelle für ein Miteinander und die Nächstenliebe nicht fehlen.
Was die Flüchtlingsströme und das Ringen um Lösungen in den letzten Monaten hingegen auch deutlich machen, ist eines: Die tollen Bürgerinitiativen allein vermögen die grossen Herausforderungen der europäischen Migrationspolitik nicht zu meistern. Die Staaten mit ihren Volksvertretern sind gefragt. Und somit auch wir, als verantwortungsbewusste Bürger der direkten Demokratie.
Mischen Sie sich ein, wählen Sie Volksvertreter, die Lösungen zu bieten haben, und diskutieren Sie diese Themen während der Festtage nicht nur bei Gänsebraten und einem Glas Wein im Kreis des vertrauten Umfelds, sondern auch über die Parteigrenzen hinweg.