Meine Meinung: Charity-Aktionen in den sozialen Medien
- Text: Christina Duss, Illustration: Grafilu
Christina Duss über Charity-Aktionen in den sozialen Medien und die Möglichkeit, sein #Instant#Karma auf Vordermann zu bringen.
Diese Erleichterung, wenn sich die Abneigung einem Phänomen gegenüber einfach nicht einordnen lässt, und auf einmal gibts dazu einen Wikipedia-Eintrag! «Slacktivist», heisst es da, sei eine Wortschöpfung aus «Slacker» (englisch für Faulenzer) und «Aktivist» – und genau darüber dachte ich in den vergangenen Monaten immer wieder nach. Darüber, dass es gerade total einfach ist, ein guter Mensch zu sein. Dass sich mit einem kleinen #Hashtag in Sekundenschnelle das Karma in Ordnung bringen lässt. Dass Eiswasser über den Kopf leeren Charity ist – egal, ob tatsächlich eine Spende damit verbunden ist.
Als sich vor einigen Wochen der virale Sommerhit Ice Bucket Challenge, die Spendenaktion für den Kampf gegen die Nervenkrankheit ALS, auf seinem Höhepunkt befand, war ich am Tiefpunkt angelangt. Die Omnipräsenz der Eiswürfel begann meinen Geist zu vernebeln. «Polare Eiskappe gefährlich abgetragen, abgetraaaagen!», schrie ich durchs Büro – das hatte ich im Internet gelesen. Und dann, erschöpft: «Ice Bucket Challenge. Eiswürfelproduktion. Vertausendfacht.» Ein wenig später prüfte ich mit zittrigen Fingern noch mal meine Quelle. Eine Satiresite. Peinlich. Aber ehrlich, ich war fix und fertig. Denn kurz zuvor hatte sich sogar Kate Moss, die bewundernswert medienscheue Model-Ikone ohne Facebook- und Twitteraccount, in ihren Ibizaferien nass machen lassen.
Jetzt, da die globale Eisdusche langsam verdunstet ist, fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Die Ice Bucket Challenge schlich sich ins tägliche Leben – auf Lieblingssites und in Diskussionen mit Freunden. Um das klarzustellen: Es ist nicht blöd, dass (bei Redaktionsschluss) mehr als hundert Millionen Dollar für die Stiftung zusammengekommen sind. Gut so. Aber das hätte Bill Gates doch auch einfach schnell überweisen können. Muss man so ein Theater darum machen? Und uns – im dümmsten Fall – Charity-überdrüssig, weil man es einfach nur noch doof findet, dass man sich nun offenbar vorher öffentlich an die Nüsse greifen muss, um gegen Hodenkrebs spenden zu dürfen (#feelingnuts)?
Zudem bleibt der fade Nachgeschmack, dass sich einfach zu viele Promis durch die Ice Bucket Challenge profilierten. Schau, wie toll unsere Beachbodys, wie cool und normal wir sind. Und wie sozial engagiert.
Die im Schrei verzogenen Gesichter bei der Eiswasserdusche waren vielleicht so spontan menschlich, wie wir es bei Promis sonst selten sehen. Jene Hollywoodstars aber, Stars wie Leonardo Di Caprio, Brad Pitt, Angelina Jolie oder Andrew Garfield, die sich öffentlich regelmässig für soziale und ökologische Stiftungen einsetzen, hielten sich aus der Aktion raus und spritzten nicht wie Lemminge mit Eiswasser um sich. Irgendwie bezeichnend. Die bringen ihr Karma längerfristig auf Vordermann.