Leben
«Meine Fitnessvideos waren ein politischer Akt»
- Interview: Jacqueline Krause-Blouin; Foto: Getty Images
Ob Feminismus oder Mindestlöhne, sexueller Missbrauch oder der Tod: Die US-Schauspielerin Jane Fonda nimmt kein Blatt vor den Mund. Auch nicht in unserem Interview.
Jane Fonda (80) ist eine Erscheinung in ihrem babyblauen Seiden-Powersuit. Sie empfängt uns in Cannes, am Rand der Filmfestspiele, wo sie als Testimonial von L’Oréal in einer Talkshow auftreten und ihren neuen Film «Book Club» promoten wird, der in der Schweiz im September anläuft. Ausserdem sorgt die Dokumentation über ihr Leben «Jane Fonda in five Acts», die am Sundance Film Festival Premiere feierte, gerade für Gesprächsstoff.
Ihr Händedruck ist stark, ihre Präsenz fast schon beängstigend. Wenn das 80 ist, dann fragt man sich wirklich, warum alle Angst vor dem Älterwerden haben. Die Oscargewinnerin hat immer gern provoziert, als «Hanoi Jane», die sich öffentlich gegen den Vietnamkrieg aussprach, als Ehefrau des umstrittenen CNN-Gründers Ted Turner, ja sogar als Aerobic-Guru. Und trotzdem wollte sie immer allen gefallen. Ein Konflikt? Wer nun denkt, die dreifache Mutter und zweifache Grossmutter sei langsam altersmild geworden: weit gefehlt! Fonda, die laut eigener Aussage ihre feministische Seite erst spät entdeckt hat, ist heute engagierter denn je. Und ja, das geht auch mit perfekt geföhnter Frisur und Glamour-Make-up.
annabelle: Jane Fonda, kann das Aussehen einer Frau politisch sein?
Jane Fonda: Glauben Sie das denn?
Absolut. Sie waren immerhin eine der ersten Aktivistinnen, die sich politisch engagierten und sich gleichzeitig für ihr Aussehen interessierten.
Das Aussehen einer Frau kann definitiv ein Statement sein. Nehmen wir Frauen, die gar nichts an sich verändern: keine Schönheitsoperationen, keine Injektionen, kein Make-up – das ist ein politisches Statement, jedenfalls in Hollywood. Kein Make-up zu tragen in einem Kontext, in dem es erwartet wird, ist politisch. Und früher war es eben politisch, Glamour-Make-up und Highheels zu tragen und trotzdem eine Feministin zu sein.
In Werbung und Medien geht es immer mehr um Diversity, es gibt nicht mehr nur das eine Schönheitsideal. Trotzdem fokussieren wir in Zeiten von Instagram noch mehr auf das Aussehen der Frau. Wie passt das zusammen?
Tut es nicht! Doch das Leben besteht aus Widersprüchen, auch mein eigenes. Wir müssen das akzeptieren, aber gleichzeitig immer versuchen, die Widersprüche zu minimieren, damit wir nicht durchdrehen.
Ihre Fitnessvideos, die sich millionenfach verkauft haben, waren die auch politisch?
Ja, sie waren ein feministischer Akt, ohne dass es mir bewusst war. Zu jener Zeit gehörte es sich für Frauen nicht, sichtbare Muskeln zu haben. Meine Videos haben haben den weiblichen Körper wirklich verändert, die Frau stärker gemacht. Thomas Jefferson hat einmal gesagt, dass die Revolution im Muskel beginnt. Insofern war das meine Art der Revolution.
Kürzlich erschien ein komplett unretuschiertes Bild von Ihnen auf dem Cover von «Town & Country», das kannte man von Ihnen so nicht.
Auch ich entwickle mich weiter! (lacht) Mir ist es ein Anliegen, dass Frauen auf der ganzen Welt sehen, dass wir in Hollywood nicht perfekt sind. Es ist immer nur das perfekte Licht! Deswegen habe ich kürzlich auf Instagram dieses Bild gepostet, auf dem man sah, dass ich nicht mehr aus meiner Abendrobe herauskam, weil ich nun mal keinen Mann zuhause habe, der den verdammten Reissverschluss hätte aufmachen können!
Junge Schauspielerinnen sprechen heute sehr offen über ihr neu gefundenes Selbstbewusstsein, etwa wenn es um Ungerechtigkeit in der Filmbranche geht. Ist das auch ein dankbares Marketinginstrument?
Oh nein, das ist sehr real. Ich wurde früher auch immer schlechter bezahlt als meine männlichen Co-Stars. Ich habe dreimal mit Robert Redford gearbeitet, und er hat jedes Mal mehr verdient als ich. Aber ich hätte früher nie etwas gesagt. Ich dachte, das habe schon seine Richtigkeit, weil er halt Robert Redford ist. Heute ändert sich dieses Klima endlich. Ich habe letztes Jahr wieder mit ihm gearbeitet, und unsere Gagen waren gleich hoch – glaube ich zumindest! Doch noch immer verdienen Frauen meist weniger. Neu ist, dass es eine direkte Verbindung zwischen dieser Tatsache und sexueller Belästigung gibt. Sexuelle Belästigung hat nur mit Macht zu tun. Mit Männern, die sich stärker fühlen und diese vermeintliche Stärke ausleben, wie es ihnen gefällt. Verdienen Frauen gleich viel wie Männer, wird diese Stimmung der Überlegenheit wegfallen.
Kann es so einfach sein?
Es ist ja nicht nur im Filmbusiness so. Ich arbeite mit einer Organisation zusammen, die sich für die Rechte von Kellnerinnen in den USA einsetzt. Hier liegt der Mindestlohn für Servicemitarbeitende gerade mal bei 2 Dollar und 13 Cent pro Stunde. Der Rest ist Trinkgeld. Das bedeutet, dass diese Frauen komplett abhängig von Trinkgeld sind und damit von der Willkür der Kunden. Also wird ihnen nahegelegt, figurbetonte Kleidung und tiefe Ausschnitte zu tragen, damit sie bei den männlichen Kunden besser ankommen. Wenn der Mindestlohn der Servicemitarbeiterinnen gleich hoch wäre wie der reguläre Mindestlohn, würde sich die sexuelle Belästigung halbieren, das haben Studien belegt.
Als Sie eine junge Schauspielerin in den 1960ern waren, hatten die grossen Studios noch viel mehr Macht. Allen voran Jack Warner, Chef von Warner Bros. Was hätten Sie an seiner Stelle anders gemacht?
Nehmen Sie das auf?
Klar.
Dann hören Sie gut zu! Ich wäre nie so chauvinistisch wie Jack Warner gewesen und hätte Frauen nur als Objekte betrachtet. Er hat viele Frauen traumatisiert, auch mich. An seiner Stelle hätte ich der jungen Jane Fonda nicht gesagt, dass sie falsche Brüste tragen soll. Und ich hätte den Regisseur gefeuert, der mir nahelegte, mir meinen Kiefer brechen zu lassen, damit ich markantere Wangenknochen bekomme.
Sie haben sich dagegen gewehrt …
Nicht komplett, nein.
Warum nicht?
Ich hatte kein besonders grosses Selbstbewusstsein, wollte ja eigentlich nicht einmal Schauspielerin werden. Ich war zu schüchtern, dachte, dass ich nicht das Zeug dazu hätte. Als ich mich eines Tages in eine Unterrichtsstunde mit Lee Strasberg setzte, bescheinigte er mir allerdings Talent. Also fing ich an, Schauspielerei zu studieren. Mein Vater (Schauspieler Henry Fonda, Anm. d. R.) unterstützte dieses Vorhaben überhaupt nicht, er hatte wohl Angst, dass ich als Moderatorin in irgendeiner Autosendung ende.
Sie sprechen oft von der «Disease to please», der Krankheit, gefallen zu wollen. Kann man jemals darüber hinwegkommen?
Nein, ich glaube, man kann das nie ganz schaffen. Aber wenn der Drang, allen gefallen zu wollen, wieder auftaucht, kann man ihn bemerken und dann bewusst Nein dazu sagen. Es ist nicht einfach, und die Angst, dass man vielleicht nicht gefallen könnte, verschwindet nie ganz. Übrigens auch nicht im hohen Alter. Dieses Gefühl ist auch schuld daran, dass ich mich lang selbst nicht als Feministin betrachtet habe. Ich wuchs mit der Überzeugung auf, dass es meine Rolle sei, den Männern zu gefallen. Und früher dachte ich, dass man als Feministin gegen Männer sein muss. In dieser Hinsicht bin ich eine Spätzünderin. Aber es ist okay, eine Spätzünderin zu sein, solang man das Feuerwerk nicht verpasst.
Als Berühmtheit muss es noch schwerer sein, sich von diesem Drang, gefallen zu wollen, zu lösen. Immerhin sind Sie ja darauf angewiesen, dass die Menschen Sie mögen, damit sie Tickets für Ihre Filme kaufen, oder die Kosmetikprodukte, die Sie bewerben …
Sie sprechen von der Öffentlichkeit. Was ich der Öffentlichkeit schulde, das ist Respekt, Anerkennung, Dankbarkeit und Ehrlichkeit. Ich versuche ehrlich mit meinen Fans zu sein, Filme zu machen, die niemanden beleidigen. Mir ist bewusst, dass ich ein sehr privilegiertes Leben führe. Meinen Fans gefallen zu wollen, ist aber etwas anderes, als einem Mann gefallen zu wollen. Oder einem Produzenten, wenn er mit mir schlafen will, nur weil er gerade Lust darauf hat, ich aber nicht.
«Manchmal glaube ich, dass ich zu dem werde, was Menschen in mir sehen»: Das ist ein Satz aus einem Ihrer erfolgreichsten Filme, «Coming Home». Erkennen Sie sich darin wieder?
Nun ja, ich glaube, ich habe mir diese Zeile selbst ausgedacht! (lacht) Sehr viel in diesem Skript war improvisiert. Aber hören Sie, es ist nicht nur schlecht, anderen gefallen zu wollen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die französische Schauspielerin Simone Signoret nahm mich unter ihre Fittiche, als ich das erste Mal in Frankreich lebte. Sie fand, dass ich sehr intelligent sei. Viel mehr, als ich das selbst von mir dachte. Also versuchte ich, so viel wie nur möglich zu lernen, um ihren Erwartungen gerecht zu werden. Es kann also durchaus etwas Gutes haben, wenn man sich Leuten anpassen möchte. Bei Ehemännern ist das natürlich etwas anderes, so viel habe ich gelernt. (lacht)
Sie sagten kürzlich, dass Sie jungen Frauen helfen möchten, weniger Angst vor dem Tod zu haben. Wie ist das gemeint?
In den USA ist die Angst, älter zu werden, gleichgesetzt mit der Angst zu sterben. Es ist aber wichtig zu akzeptieren, dass der Tod Teil des Lebens ist. Der Tod ist es, der unserem Leben einen Sinn gibt. So wie das Licht dem Dunkeln einen Sinn gibt. Ich möchte zeigen, dass Älterwerden, vorausgesetzt man ist gesund, auch Spass machen kann. Man kann noch immer viel Energie haben und neugierig bleiben, man kann immer noch viel lernen. Freundschaften sind wichtig, vor allem unter Frauen. Wir Frauen sprechen sofort über das Eingemachte, Männer haben untereinander eher Angst, um Hilfe zu bitten oder zuzugeben, dass sie in Schwierigkeiten sind. Das ist ungesund, und ich bin überzeugt, dass unsere Freundschaften der Grund sind, warum wir Frauen länger leben. Auch wenn die Medien es lieben, über angebliche Feindschaften zwischen Frauen zu berichten.
Von älteren Menschen wird gern erwartet, dass sie milder werden. Sie hingegen gehen weiter auf die Strasse und kämpfen für die Rechte der Frauen. Was macht Sie richtig wütend?
Zynismus. Ich bin jemand, der sehr gut vergeben kann. Aber es gibt zwei Menschen, die mich noch immer fuchsteufelswild machen. Henry Kissinger und Dick Cheney – und ihr Zynismus, den sie dem menschlichen Leben und unserer Umwelt entgegengebracht haben.
Sie sind eine der Frauen, die den berühmten Satz «Weil ich es mir wert bin» immer wieder für L’Oréal in die Kamera gesagt haben. Denkt man da auch privat über sein Selbstwertgefühl nach?
Machen Sie Witze? Ich habe mein Leben damit verbracht, darüber nachzudenken! Zu viele Jahre, in denen ich dachte, ich bin es nicht wert. Als ich das erste Mal «Weil ich es mir wert bin» in die Kamera gesagt habe, war ich 69. Da fing ich langsam an zu denken, dass ich es vielleicht doch wert sein könnte. Ich habe also noch spontan einen zusätzlichen Satz in die Kamera gesagt: «Ich bin 69, nicht schlecht, was?» Andererseits, wenn man niemals Selbstzweifel hat, stimmt etwas mit einem nicht. Das bedeutet, dass man arrogant ist oder einfach nur dumm. Wir müssen immer wieder an uns selbst zweifeln, um uns weiterzuentwickeln. Ich jedenfalls bin auch mit 80 noch immer eine Baustelle. •