Mein rotes Tuch
- Text: Helene Aecherli; Foto: iStock
Die Debatte um den Hijab könnte vorankommen – wenn jene, die sich für dasselbe einsetzen, sich nicht mehr länger in spitzfindigen Debatten verheddern, schreibt unsere Autorin Helene Aecherli.
Die Debatte um das Kopftuch ist mittlerweile so aufgeladen, dass bereits ein einziger Satz eine zähe Kontroverse auslösen kann. So geschehen, als sich der marokkanische Schriftsteller Kacem El Ghazzali in einem Interview auf den Satz «Wer freiwillig einen Hijab anzieht, hat keine liberale Entscheidung gefällt» hinauswagte. Worauf Genderforscherin Franziska Schutzbach in einem offenen Brief konterte, dass weibliches Handeln nicht am Massstab eines abstrakten Liberalismusbegriffs, sondern an den Lebensrealitäten von Frauen bemessen werden solle. Alles andere sei männerzentrierte Logik.
Diese Aussage ist erst mal verwirrend. Noch verwirrender aber wird sie beim näheren Hinsehen, da El Ghazzalis Aussage im Prinzip gar keine Zielscheibe für den Konter bietet. Nüchtern betrachtet sind beide Aussagen sich ergänzende Argumentationsstränge in der Auseinandersetzung um den Hijab.
Aber lassen Sie uns diese aufrollen: Wenn die Genderforscherin sagt, dass sich Frauen innerhalb ihrer Lebensrealitäten in islamischen Gesellschaften aus verschiedenen Gründen verschleiern, trifft sie einen Punkt. Sie tun es, weil sie sich dem Hijab als Ausdruck ihrer religiösen Identität verpflichtet fühlen. Andere verschleiern sich, weil sie fürchten, sonst keinen Ehemann zu finden oder als schlechte Muslimin zu gelten. Wiederum andere tragen den Hijab, weil es das Gesetz vorschreibt. Sie haben sehr oft schlicht keine andere Wahl.
Doch der Hijab ist trotz allem nicht bloss ein simples Tuch und noch viel weniger ein modisches Accessoire. Um es mit den Worten der jemenitisch-schweize- rischen Politologin Elham Manea zu sagen: «Die Kleidervorschriften für Musliminnen, seien es nun Burka, Niqab oder Hijab, dienen der Kontrolle von Frauen und ihres sozialen Verhaltens und sind insofern Teile eines totalitären, fundamentalistischen Weltbilds, das gegen die universellen Menschenrechte verstösst.» Hier setzt Kacem El Ghazzali an: Da der Schleier per se nicht Ausdruck einer liberalen Weltanschauung ist, fällt eine Frau, die sich aus freien Stücken verhüllt, auch keinen Entscheid zugunsten liberaler Werte. Die Ideologie, für die das Textil Symbol ist, und besonders auch der individuelle Entscheid dafür, müssen kritisiert werden dürfen. Denn Kritisieren bedeutet nicht, die betreffende Frau zu verunglimpfen, sondern ihr Handeln ernst zu nehmen. Dies ist auch ein Credo feministischen Denkens.
Es würde die Debatte um den Hijab voranbringen, wenn eine Bündelung der Kräfte geschieht, das heisst, wenn jene, die für dasselbe einstehen, sich zusammenschliessen statt sich in spitzfindige Debatten zu verheddern. So würde endlich auch der Blick frei auf die unzähligen Frauen, die gegen den Schleier kämpfen; die für ihre Freiheit, sich nicht zu verhüllen, in Kauf nehmen, verstossen, ins Gefängnis geworfen oder gar erschossen zu werden. Denn paradoxerweise haben ausgerechnet diese Frauen kaum eine Lobby. Im Gegenteil: Sie werden angefeindet oder schlicht ignoriert. Das ist – gerade aus feministischer Sicht – unverständlich. Sich für das Recht der Frau auf Verhüllung einzusetzen, mag ehrenvoll sein. Sehr viel dringlicher aber ist der Kampf für das Recht der Frau auf Nichtverhüllung.