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Mein lieber Lehrer Ribel

Mein lieber Lehrer Ribel

  • Text: Frank Heer: Foto: iStock

annabelle-Reporter Frank Heer über sein mangelndes Ballgefühl und die Erziehungstechniken seines Lieblingslehrers, Herrn Ribel.

Mein Sohn ist zwei und spielt besser Fussball als ich. Das habe ich meinem Primarlehrer aus den Siebzigern zu verdanken, einem Rheintaler mit Paul-Breitner-Afro und muskulösen Waden. Nennen wir ihn Ribel. Im Turnunterricht wurde oft gekickt. Leider. Mangels Ballgefühl war mir der Posten des Goalie zugeteilt. Herr Ribel kämpfte wie Hägar der Schreckliche. Schnaubend trampelte er sich seinen Weg in den feindlichen Strafraum, wo er zum vernichtenden Kick ausholte, während ich mich im Goal verrenkte und Grimassen der Angst schnitt. Fast immer knallte das harte Leder gegen meine dünnen Beinchen. Bis heute meide ich alles, was mit Fussball zu tun hat.

Auch im Klassenzimmer schreckte Ribel vor grimmiger Erziehungstechnik nicht zurück. Kein Schädel war sicher vor seinen Kopfnüssen, kein Ohr vor dem Schraubzangengriff seiner Fingernägel. Seltsamerweise blieb Herr Ribel mit Abstand mein Lieblingsprimarlehrer. Um herauszufinden, warum das so war, schrieb ich ihm vor ein paar Monaten folgendes Mail: Lieber Herr Ribel, Sie werden sich eventuell schwach an mich erinnern: Ich bin in den Siebzigerjahren bei Ihnen in die 5. und 6. Klasse gegangen. Dank Ihnen weiss ich, wer Frank Zappa ist (so haben Sie mich gelegentlich genannt). Ich habe Sie als coolen Zoccoliträger mit Afrofrisur in Erinnerung, der Boogie-Woogie auf dem Klavier spielte, sehr witzig sein konnte und für den Realienunterricht diese tollen Aquarien und Terrarien baute. Einmal durfte ich für Sie sogar während der Stunde ein Päckchen Flint am Kiosk kaufen gehen. Ich bin gern zu Ihnen in die Schule gegangen, auch wenn ich mich später oft fragte, warum. Dabei denke ich an Strafen, die aus heutiger Sicht etwas brachial erscheinen: mit dem Schlüsselbund nach uns Schülern zu werfen oder heftig an den Haaren oder Ohren zu zerren. In schmerzhafter Erinnerung ist mir ausserdem, wie Sie mir den Klavierdeckel über die Hände schlugen, als ich mich in wildem Boogie-Woogie übte und nicht merkte, dass die Pause vorbei war. Einmal zerrissen Sie eine Zeichnung, bei der ich mir besonders Mühe gegeben hatte, weil ich sie vorn (wie das Künstler machen!) statt hinten unterschrieben hatte. Und doch, wie gesagt, bin ich sehr gern zu Ihnen in die Schule gekommen.
Heute arbeite ich als Journalist bei der Frauenzeitschrift annabelle. Aus dieser Perspektive würde mich interessieren, wie Sie zu Ihrem damaligen Lehrstil stehen. Sind die heutigen Lehrer zu wenig streng? Gehört zu Disziplin und Ordnung auch, dass man hie und da zuschlägt? Betrachten Sie rückblickend gewisse Strafmassnahmen als übertrieben oder falsch? Haben Sie Lust, mich auf ein Interview zu diesem Thema zu treffen? Natürlich unverbindlich, auch mit der Möglichkeit, anonym zu bleiben. Herzlich aus Zürich, Frank Heer

Herrn Ribels Antwort kam postwendend und mit überraschender Pointe:
Hoi Frank, Natürlich habe ich auch meine Erinnerungen, was dich betrifft. Hochaufgeschossener Junge, wahnsinnig verträumt, aber immer wieder mit guten Ideen (um nicht zu sagen Ausreden), dem Heuschnupfen total ausgeliefert und auf der Schulreise ständig über die eigenen Füsse stolpernd. Kürzlich traf ich meinen ehemaligen Vikariatslehrer nach einem Vortrag. Auf seinen damaligen Schulstil angesprochen, meinte er kurz und bündig, heute sässe er schon lang in der Strafanstalt Saxerriet … Grüess, W.

Zwei weitere Mails mit der Bitte um ein Interview blieben leider unbeantwortet. Herr Ribel ist seit kurzem pensioniert.

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