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Mein Hass ist feministisch

Leben

Mein Hass ist feministisch

  • Text: Gülsha Adilji; Foto: Keystone

Der neu gewonnene Feminismus meiner Bubble ist anstrengend. Ich weiss irgendwie nicht, was für eine Feministin ich sein möchte und wie genau ich den leben muss. Was ist tatsächlich sexistisch und wo bin ich übersensibel? Darf ich mich noch nerven über Influencerinnen? Oder muss ich sie grundsätzlich unterstützen, wenn sie wieder mal ihre Stories mit Mayonnaise oder Kaffee-Drinks drapieren? Weil, wir Frauen sollen uns ja gegenseitig unterstützen. Aber in allem? Es ist kompliziert! Mir wurde vor dem Frauenstreik liebevoll, aber deutlich nahegelegt, dass Männer an diesem Tag bitte im Hintergrund bleiben müssten. Say whaaat? Das passierte, nachdem ich ein Foto von einem Freund mit einer Schnecke auf der Zunge auf Instagram postete mit der Bildunterschrift #IchZeigeMeinenSchnäggUndDu? Eine Anlehnung an mein feministisch gefärbtes Bühnenprogramm und eine Aufforderung, dass sich auch Penisträger solidarisieren sollten. Daraufhin erhielt ich ein sehr langes Mail mit der Botschaft, dass «Männer nichts an der Front zu suchen haben», samt Anleitung, was sie an diesem Tag dürfen und was nicht.

Ich habe nicht durchgeblickt und tue es immer noch nicht. Frauen sollten Männern genauso wenig einen Platz auf der hintersten Reihe zuweisen wie umgekehrt. Wegen «umgekehrt» gehen wir ja auf die Strasse. Ich fühle mich von manchen feministischen Forderungen vor den Kopf gestossen, finde sie übertrieben oder falsch gedacht. Aber: Alle grossartigen Dinge sind verzwickt. Frauen mit einem, wenn man denn so will, radikalen Feminismus sind das Fundament für alles, was danach folgen kann. Damit meine ich zum Beispiel Frauen, die lautstark verlangen, dass Männer die Schnauze halten sollen. Egal, wie sehr ich teilweise anderer Meinung bin: Ich weiss um die Wichtigkeit ihres Schaffens und respektiere das. Es ist ein Mischgefühl, wie ich es auch für meine Ex-Freunde empfinde. Ich wäre ohne sie nicht die Frau geworden, die ich heute bin, aber ich muss nicht unbedingt mit ihnen das Wochenende am Comersee verbringen. Wenn man etwas verändern und wahrhaft Systemkritik üben will, muss man vermutlich erstmal in Marie-Kondo-Manier alles auf einen Haufen werfen, damit man danach Schritt für Schritt entscheiden kann, was «Joy sparkelt» und was weg muss.

Für einige Feministinnen landen Männer kurzfristig auf dem Aufräum-Berg neben dem verzerrten Frauenbild in der Werbung, Lohnungleichheit und schlechten Marie-Kondo-Vergleichen. Man kann nicht mitten im Aufräum-Prozess hereinplatzen und sich brüskiert fühlen, dass es nicht gemütlich und einladend aussieht. Die Aufräum-Equipe ist eventuell auch überfordert und bereut, überhaupt jemals angefangen zu haben, da es verdammt viel Arbeit ist und man keine Ahnung hat, was genau man entsorgen und was unbedingt behalten will. Es ist kompliziert und anstrengend für alle. Ich bin nicht so die «Alles auf einen Haufen»- Werferin, aber Jesses, bin ich froh, dass es die Haufenschmeisser-Menschen gibt. Sexismus ist so feinfädig in praktisch jeden Aspekt unseres Lebens geflochten, dass es durchaus seine Berechtigung hat, wenn radikal aussortiert und umgeordnet wird. Ausserdem habe ich für mich entschieden, dass mein Feminismus nicht vorsieht, dass ich alle Influencerinnen supporte, nur weil sie Frauen sind. Mein Feminismus steht für Gleichberechtigung auf allen Ebenen. Ich hasse Influencerinnen genauso wie Influencer, da mache ich keinen Unterschied.