Die Holländerin Wies Bratby berät Frauen bei Lohnverhandlungen. Ihre Erkenntnis: Wer mehr Geld will, muss erst am eigenen Mindset arbeiten.
annabelle: Wies Bratby, Frauen finden immer wieder Gründe, um nicht nach mehr Lohn zu fragen. Welche Ausreden hören Sie in Ihren Beratungen?
Wies Bratby: «Ich wusste nicht, dass ich kann», zum Beispiel, oder: «Ich dachte, mein Chef mag mich nicht, wenn ich danach frage.» Aber die schlimmste Ausrede ist: «Ich war dankbar, dass ich überhaupt die Möglichkeit bekam, dort zu arbeiten.» Man kann dankbar sein für seinen Job, gleichzeitig aber auch dafür sorgen, dass man anständig bezahlt wird.
Was aber, wenn man mehr Lohn einfordert und ein Nein erhält?
Es gilt, das Nein regelrecht zu erwarten, denn sagt Ihr Vorgesetzter sofort Ja, haben Sie zu wenig gefordert. Doch aus Angst fragen viele Frauen nur vorsichtig: «Könnte ich bitte …?», anstatt zu sagen: «Ich will …!» Kommt ein Nein, ziehen sie sich zurück. Dabei muss man nach dem Nein weiter verhandeln. Bleibt es beim Nein, kann eine Neuausrichtung eine Chance sein.
Klingt das nicht einfacher, als es ist?
Klar, das kann sehr schwierig sein. Aber durch dieses Nein kann man sich fragen: Will ich meine Energie in dieses Unternehmen investieren? Oder will ich woanders hin, wo man mich vielleicht mehr schätzt?
Muss man nicht auch mal über den schlechten Lohn hinwegsehen, wenn Leidenschaft für die Sache da ist?
Das ist ein Mythos! Sie können eine Arbeit finden, die Ihnen und der Gesellschaft wichtig ist, und dennoch angemessen dafür bezahlt werden. Vielleicht müssen Sie besonders kreative Ideen liefern, wie man ein Bonussystem einrichten könnte, um Mitarbeitende zu motivieren, oder etwas genauer erklären, wie Ihre Arbeit zum Erfolgsergebnis des Unternehmens beiträgt. Ich bin überzeugt, dass dieser Prozess in jedem Unternehmen in Gang gesetzt werden kann.
Wie denn?
Ich gebe ungern einfache Tipps. Das ist, als würde eine Ärztin einer Patientin ein Pflaster geben, wenn sie eine Operation bräuchte. Denn hier geht es um die Arbeit am eigenen Mindset, und dafür bedarf es Training. Das ist viel schwieriger, als Verhandeln zu üben.
Verhandeln an sich ist also gar nicht so schwierig?
Genau. Das Problem ist nicht, dass wir Frauen nicht verhandeln könnten. Das können wir sehr wohl, nur nicht für uns selbst. Wir müssen an unseren Mindset- Blocks arbeiten. Das heisst zum Beispiel, zu verinnerlichen, dass man nicht gierig ist, wenn man mehr Geld verlangt. Der Lohn ist schlicht Ausdruck für den Wert, den ein Unternehmen unserer Arbeit zuschreibt.
Sie sagen, Geld kann vieles in uns auslösen. Was meinen Sie damit?
Es macht unzufrieden, wenn Kollegen mehr Lohn oder mehr Verantwortung bekommen, also etwas, das man selber gern gehabt hätte, aber nicht den Mut hatte, es einzufordern. Das kann so weit gehen, dass man eine Lohnerhöhung oder Beförderung gar nicht mehr verdient, weil man aufgrund der fehlenden Anerkennung nicht mehr sein Bestes gibt. Bringt man aber den Mut auf, über Karriere und Lohn zu reden, und hat Erfolg, generiert das eine Motivation, die auch andere ansteckt. Das ist für die Firma viel mehr wert als die Einsparung von zwanzig bis dreissig Prozent Lohnerhöhung.
Wies Bratby (37) ist Gründerin von Women in Negotiation, ein Coaching- Unternehmen, das darauf spezialisiert ist, Frauen beizubringen, ihre Karriere und ihren Lohn zu verhandeln. In einer fünfteiligen Serie deckt sie für uns Karrieremythen auf.