Max Emanuel Cencic: Einer der besten Countertenöre
- Interview: Frank Heer, Fotos: Julian Laidig
Max Emanuel Cencic gehört zu den besten Countertenören der Gegenwart. Wir haben den Mann mit der hohen Stimme in Wien getroffen und ein paar Missverständnisse geklärt.
Er ist kein gewöhnlicher Opernsänger; seine turbulente Biografie passt nicht zur glatten Karriere-Blaupause anderer Klassikstars. Zwar ist die Stimme von Max Emanuel Cencic längst nicht mehr «unerhört», aussergewöhnlich aber ist sie alleweil. Seine Platten sind preisgekrönt, kein Wunder, denn statt sich einem geläufigen Repertoire zu verpflichten (Verkaufsargument!), wühlt der 1976 in Zagreb geborene Countertenor in den Archiven nach Werken längst vergessener Komponisten. Sein Aufstieg vom Wiener Sängerknaben zum gefeierten «Heldensopran» («Musik & Theater») war steil, doch steinig, mit 19 hatte er zum ersten Mal «die Schnauze voll». Glücklicherweise nur vorübergehend, denn heute gehört er zu den Besten seines Fachs. Zum Interview im Wiener Hotel Royal trägt Max Emanuel Cencic rote Jeans, kariertes Hemd und Chucks. Er könnte auch als Popsänger durchgehen. Wen wunderts, dass er auch mit diesem Image spielt.
ANNABELLE: Max Emanuel Cencic, Sie haben Ihre Stimme auch schon mal eine «gesellschaftliche Unerhörtheit» genannt.
MAX EMANUEL CENCIC: (lacht) Nun ja, für viele Menschen ist es noch immer irritierend, einen Mann im Falsett singen zu hören. Ein Kollege wurde in Spanien nach einem Konzert von einer Kritikerin beschimpft. Sie schrieb, er möge sich schämen und in der Hölle schmoren.
Weil er singt wie eine Frau?
Ja. Sie fand das offenbar unerhört. Demselben Kollegen passierte es auch, dass das Publikum bei einem Konzert in Kasachstan zu lachen anfing, während er die erste Arie sang – die hatten so was noch nie gehört. Mit derlei Erfahrungen müssen wir Countertenöre leben.
Aber es ist doch interessant, dass im Zeitalter von Lady Gaga ein Mann, der hoch singt, mehr vor den Kopf stösst als eine Popsängerin, die ein Kostüm aus rohen Steaks trägt.
Das hängt damit zusammen, dass eine hohe Männerstimme noch immer mit Homosexualität assoziiert wird – auch wenn lange nicht alle Countertenöre schwul sind (lacht). Trotz Liberalisierung und Homo-Ehe bleibt unsere Gesellschaft gespalten, was dieses Thema betrifft. Der Blick auf die Geschlechterrollen ist nicht zivilrechtlich gefärbt, sondern moralisch und religiös. Da hat es der Countertenor halt schwerer als der Bassist oder die Sopranistin. Das macht mich traurig, denn diese Diskussion hat nichts mit meiner Leistung als Sänger zu tun.
So wenig wie Thomas Hitzlspergers Coming-out etwas mit seiner Leistung als Fussballer zu tun hat.
Richtig. Ein Teil unserer Gesellschaft ist in dieser Hinsicht noch immer sehr konservativ. Trotzdem glaube ich, dass sich mit Musik und Kunst Grenzen überwinden lassen.
Auf dem Cover Ihres neuen Albums «Rokoko» posieren Sie als Rockabilly-Sänger mit Tolle. Auf einem anderen sind Sie als Jüngling im durchsichtigen Hemdchen zu sehen. Sie spielen gern mit Image und Klischees, richtig?
Das Leben ist doch schon humorlos genug. Ich mach so was einfach gern. Aber natürlich ist der Titel «Rokoko» auch eine Anspielung auf den Rock’n’Roll. Einerseits als Wortspiel, andrerseits weil der Rokoko eine exaltierte, glamouröse Zeit war, modisch wie musikalisch. Da sind Parallelen zum Pop angebracht.
Die NZZ beschrieb Ihre Stimme als «fleischig saftiger Festbraten». Und weiter: «So mögen die berühmten Kastraten im 18. Jahrhundert geklungen haben.»Beleidigt oder ehrt Sie der Vergleich mit den Kastraten?
Eine Ehre, keine Frage. Das waren überragende Sänger, auch wenn wir das heute bloss erahnen können.
Ist es richtig, dass es Countertenöre erst seit dem Ende der Kastratenschulen gibt, also seit dem frühen 20. Jahrhundert?
Nein, in der englischen Chormusik gab es schon immer Falsettisten, also das, was man heute unter Countertenören versteht. Nur genossen diese Sänger nie eine so immense Popularität wie die Kastraten. Erst in den Zwanzigerjahren, als alles Exotische in Mode kam, wurde auch ein spielerischer Umgang mit den Geschlechtern möglich. Marlene Dietrich trug Frack und Zylinder, Travestie wurde salonfähig, und auch der Countertenor war plötzlich wieder en vogue.
War er auch gesellschaftsfähig?
Wohl eher in aufgeschlossenen Künstlerkreisen. Erst in den Fünfzigern, mit einem erwachenden Interesse an der Barockmusik, entdeckte man das vergessene Kastratenfach neu. Da wurden diese Rollen aber vor allem von Frauen gesungen oder für männliche Stimmen in tiefere Lagen transponiert. In den letzten zwei Jahrzehnten setzte sich dann die Überzeugung durch, dass die Kastratenpartien von Countertenören gesungen werden sollten, um möglichst nahe an die Originalmusik heranzukommen.
In welcher Stimmlage singen Sie?
In meiner Kindheit sang ich Sopran, weil meine Mutter Sopranistin beigebracht hatte. Das kontinuierliche Sopransingen hat dazu geführt, dass sich meine Stimme während der Pubertät kaum veränderte. Sie ist nur kräftiger geworden. Heute singe ich Mezzo und Altus.
Man liest, mit 16 hätten Sie schon 800 Konzerte gegeben. Das ist unglaublich!
Ich trat als 6-Jähriger ja schon im Fernsehen auf, mit 7 hatte ich meine erste Tournee als Solist in Bachs Johannespassion. Wenn ich mit meiner Arie «Zerfliesse mein Herze» an der Reihe war, war es bereits Mitternacht.
Was hat Sie als 7-Jährigen sonst noch interessiert?
Ballett, Theater, Malerei …
… was die meisten 7-jährigen Jungs nicht interessiert.
Stimmt, aber ich bin ja auch im Theater aufgewachsen. Mein Vater war Dirigent, meine Mutter Opernsängerin. Die Werkstätten, die Schneiderei, die Künstlergarderoben – das war mein Kindergarten. Ein normales Familienleben kannte ich nicht.
Mit 10 traten Sie den Wiener Sängerknaben bei. Ein Kulturschock?
Mir gefiels. Ich bekam zum ersten Mal eine Ahnung davon, was ein Zuhause ist. Es gab einen geregelten Tagesablauf, man stand früh auf, ging früh ins Bett, bekam drei Mahlzeiten pro Tag, dazwischen Unterricht, Probe, Hausaufgaben. Die Strukturen taten mir gut.
Auch die Disziplin, die harte Schule?
Ich wünsche jedem, der etwas im Leben erreichen möchte, eine harte Schule. Die Welt ist kein Wunschkonzert. Ohne Disziplin geht es nun mal nicht. Das weiss jeder, der ins Gym geht. Es tut weh, wenn man seinen Körper fit halten und Resultate sehen möchte. Bei den Sängerknaben habe ich gelernt, wie man an sich arbeitet, mit Kritik umgeht. Ohne diese Jahre hätte ich vieles nicht geschafft.
War das Singen für Sie jemals unbeschwert? Zum Beispiel als Kind?
Singen stand für mich immer im Zusammenhang mit Leistung. Nach Ausbruch des Kriegs in Jugoslawien flüchtete ich mit meiner Familie von Zagreb nach Wien. Wir wurden über Nacht mittellos. Als Solist bei den Sängerknaben brachte ich das Geld nachhause. Später finanzierte ich mit meinen Auftritten mein Studium, den Lebensunterhalt meiner Mutter und die Ausbildung meiner Schwester. Da wundert es nicht, dass ich mit 19 die Schnauze voll hatte und mich entschied, nicht mehr Sänger zu sein. Das Singen, die Musik, die Auftritte – das alles verband ich nicht mit Freude, sondern damit, überleben zu müssen.
Was taten Sie dann?
Ich studierte ein paar Semester Wirtschaft, arbeitete als Popmusikpromoter, versuchte alle möglichen Jobs. Nach drei Jahren wollte ich es noch einmal wissen. Ich ging nach Amerika, begann wieder zu singen, doch weil mir das Geld fehlte, um Unterricht zu nehmen, beschloss ich, meine erste Platte auf eigene Faust einzuspielen. Das war auch die Zeit, in der ich meine Produktionsfirma gegründet habe. Nach wenigen Monaten waren die ersten 5000 Stück verkauft.
Wozu eine eigene Produktionsfirma? Um sich künstlerische Freiheit zu sichern?
Ich bin kein passiver Künstler. In der klassischen Musik ist das noch ein Novum, doch im Film ist es normal, dass sich Schauspieler und Regisseure mit eigenen Firmen an den Produktionen beteiligen. Als junger Sänger hatte ich einfach meine Gage kassiert, als Unternehmer weiss ich heute, wie sich diese Gage zusammensetzt, woher das Geld kommt, was so ein Konzertabend überhaupt kostet. Man kann sich als Künstler da nicht mehr einfach so raushalten.
In der Popmusik werden immer neue Stars auf den Markt geworfen, in der Klassik hat man in den letzten Jahren den Eindruck bekommen, es laufe ähnlich.
Aus einem Musiker mit mässigem Talent lässt sich kein Klassikstar machen. Und auch in der Popmusik überdauern am Ende nur die wirklich Guten den schnellen Ruhm.
Aber die Plattenfirma hat doch Einfluss darauf, wie sie ihre Künstler verkauft. Wenn ein junger Tenor die bekanntesten Verdi-Arien schmettern muss, weil die sich gut verkaufen, kann das seine Stimme ruinieren.
Ja klar, aber da ist der Sänger selber schuld. Nein sagen kann man immer.
Barockmusik ist populärer denn je. Warum eigentlich?
Die Werke sind alt, und ihre Inhalte haben wenig mit unserem Leben zu tun. Natürlich finde ich, dass eine Gesellschaft vor allem dann agil ist, wenn sie Neues schafft. Barockmusik ist zwar alt, aber viele Werke sind noch neu für unsere Ohren. Vielleicht muss man ab und zu zurückblicken, um nach vorn sehen zu können. Nehmen wir Rossini. Er hat sich der barocken Opera buffa angenommen, sich kompositorisch aber der Gegenwart verpflichtet, der Klassik und der frühen Romantik. So entstand eine neue Kunstform. Man kann die Musik durchaus neu erfinden, indem man in die Vergangenheit blickt. Doch ohne Mut zum Statement bleibt eben alles beim Alten.
— CD: Max Emanuel Cencic: Rokoko (Decca). Mit Arien des deutschen Barockkomponisten Johann Adolph Hasse, begleitet vom Barockorchester Armonia Atenea
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Max Emanuel Cencic spielt gern mit Klischees: «Das Leben ist doch schon humorlos genug»