«Mascotte», «Rimini», «Talacker»: Der 42-Jährige sitzt an den Schalthebeln des Zürcher Nachtlebens – und tagsüber in einer Anwaltskanzlei.
Der Interviewtermin ist auf 10 Uhr angesetzt. Eine Stunde vorher klingelt das Telefon: «Können wirs auf 11 Uhr schieben?» Wenig später: «Auf 11.15 Uhr schaffe ich es bestimmt!» Schliesslich kommt er mit fünf Minuten Verspätung auf dem Skateboard angebraust. Auf dem Tramgleis. Telefonierend. Marc Blickenstorfer setzt sich an das Tischchen draussen vor dem Helvti Diner in Zürich, steht sogleich wieder auf, rennt ins Lokal, bestellt einen Tee crème, rennt wieder heraus, setzt sich hin, zündet eine Zigarette an, rückt den Stuhl zurecht. Ihn als Gispel zu bezeichnen, wäre eine masslose Untertreibung.
Marc Blickenstorfer ist 42 Jahre alt. Und eigentlich Anwalt. Doch man kennt ihn nur als jenen Mann, der die Zürcher Bar- und Clubszene aufgemischt hat. Er gilt als eine der Schaltzentralen des Zürcher Nachtlebens. Und dort, im Hintergrund, möchte er auch bleiben.
Auf die Anfrage für dieses Porträt antwortete er: «Kann/Soll das ich sein, oder kommt auch ein Partner von mir infrage?» Nein, wir wollen ihn! Der Zürcher «Tages-Anzeiger» bezeichnete ihn kürzlich als einen der Trendlokal-Könige von Zürich. Darauf angesprochen, entfährt Marc Blickenstorfer nur ein Wort: «Mumpitz!» Er mache das alles ja nicht allein. Wohl wahr – und er beweist ein gutes Händchen in der Wahl seiner Partner. Jedenfalls hat er geschafft, woran viele gescheitert sind: in der Zürcher Gastroszene zu bestehen.
Es heisst, er sei eine undurchsichtige Figur. «Was?», ruft er, «ich bin völlig transparent!», und zählt seine Beteiligungen auf. Alles habe vor 15 Jahren angefangen mit der Flussbar Rimini. Damals ein Novum für Zürich, zog das lauschige Lokal bald eine hippe Szene an. Es folgten die Bar Talacker («Alte Sofas, günstige Drinks – wie in Berlin») und das «Mascotte», einer der ältesten Clubs der Schweiz, der 2004, als Marc Blickenstorfer übernahm, mit Rock-Konzerten und «Karaoke from Hell» glorreich auferstand. Ferner ist er beteiligt an: «Plaza», «Gartenhof», «Le Calvados», «Mohrenkopf», «Kinski» und dem neuen Fine-Dining-Lokal Maison Manesse.
Sein Smartphone – Markenzeichen: zersplittertes Display – klingelt. Er klemmt den Anrufer ab und fährt fort mit seinem Herzensprojekt: «Frau Gerolds Garten», eine Openair-Beiz im Industriequartier. Marc Blickenstorfer war täglich auf der Baustelle, um aus dem Brachland einen kulinarischen Garten zu machen. Er habe sich total ausleben können, sagt er, er habe gelernt zu baggern, zu betonieren, Gabelstapler zu fahren. Sein jüngstes Baby heisst «Quai 61», ein riesiges Lokal direkt am Zürichsee, das früher «Acqua» hiess und noch früher «Sixty One» und schon lange niemandem mehr Freude machte. Ob es ihm gelingt, den Ort zu reanimieren? Beim Testbesuch machten wir noch ein paar Kinderkrankheiten aus, zum Beispiel sehr lange Wartezeiten. Doch der Stil überzeugt, die Menükarte passt.
Marc Blickenstorfer ist in der Stadt Zürich aufgewachsen. Leute, die ihn kennen, sagen, er habe ein grosses Netzwerk und dank seiner Kanzlei bei den Behörden eine hohe Glaubwürdigkeit. Aber was ist sein Erfolgsrezept? Er sagt: «Das richtige Konzept am richtigen Ort mit den richtigen Leuten.» Was bedeutet das genau? Er ringt um Worte – vergeblich. Es ist wohl vor allem auch eine intuitive Sache.
Wenn er keine Ideen für das nächste Lokal entwirft, sitzt er in seiner Kanzlei. Neun Anwälte arbeiten dort, alles Gleichgesinnte, wie er sagt. Was er damit meint: «Arbeiten ist schon gut, aber nur arbeiten nicht.» Dass er Jus studiert hat, ist ein Zufall: Ihm sei nichts anderes in den Sinn gekommen, und das Einzige, was ihn interessiert habe, sei Kriminologie gewesen. Erst viel zu spät habe er gemerkt, dass Jus gar nichts damit zu tun habe. Und sonst? «Surfen», sagt er. «Ganz gross.» Er kratzt sich am Kopf und entblösst eine grosse Narbe am Arm. Auf dem Weg zu einem Surfspot in Neuseeland habe er einen Autounfall gehabt, erzählt er. «Ich dachte, ich könne Rallye fahren. Aber ich konnte es nicht.» Marc Blickenstorfer war schon als Kind en wilde Siech, wie er sagt. Und so kann er sogar dem Unfall etwas Positives abgewinnen: «Ich durfte endlich Helikopter fliegen!»