«Man muss die goldene Mitte finden»
- Text: Kerstin Hasse; Foto: Getty Images
Der häufigste Vorsatz im neuen Jahr: Mehr Sport machen! Top motiviert wird ein Fitnessabo gelöst – nur um dann doch nie hinzugehen. Woran liegt das? Welche Fehler begehen Anfängerinnen und Anfänger, und wie kann man sich längerfristig für ein Training begeistern? Darüber haben wir mit Veronika Leidescher, Club Manager des Fitnessstudios Holmes Place in Zürich, geredet.
annabelle: Veronika Leidescher, merken Sie in Ihrem Studio, dass ein neues Jahr angefangen hat?
Veronika Leidescher: Das merken wir schon, im Januar melden sich extrem viele Leute an. Ich würde sagen, doppelt so viele wie sonst pro Monat.
Und wie lange geht es, bis die ersten wieder aufhören mit dem regelmässigen Gym-Besuch?
Wer sich bei uns anmeldet, kauft eigentlich eine Mitgliedschaft von 12 oder von 24 Monaten. Meist kommen die Leute im Januar sehr oft ins Training, dann lässt das nach den ersten Monaten ein wenig nach, und Ende Februar, Anfang März werden die Besuche oft immer weniger. Das kann viele Gründe haben.
Zum Beispiel?
Manche haben vielleicht schon ihr gewünschtes Etappenziel erreicht, andere finden, das Wetter ist schön und sie wollen lieber draussen sein. Und dann gibt es auch die, die sagen: Das ist mir zu anstrengend, ich habe keine Lust mehr. Die Leute, die sich im Januar anmelden, haben ja meist eine Vorgeschichte, wenn es um ihre Fitness geht. Entweder man hatte keine Club-Mitgliedschaft, oder man war mit der alten nicht zufrieden, oder – der Klassiker – man hat irgendeinen Leidensdruck. Man möchte fitter werden oder ein paar Kilo abnehmen. Und wenn sich dann nicht sofort Erfolg zeigt, geben viele Leute auf. Aber es ist halt so: Wenn man kurzfristig ein paar mal trainiert, dann lösen sich nicht alle Probleme. Wenn man fitter werden oder abnehmen will, muss schon ein langfristiges Umdenken stattfinden.
Ein Umdenken, das nicht nur den Sport betrifft.
Ich sage immer: Den Beachbody macht man zwischen Silvester und Weihnachten. Da spielt aber nicht nur Sport eine Rolle, sondern auch andere Faktoren wie die Ernährung oder der gesamte Lebenswandel. Und das muss man nachhaltig angehen. Grad am Anfang des Jahres gibt es viele Leute, die stellen alles von einem auf den anderen Tag um, die gehen fünfmal pro Woche ins Training, essen nur noch Salat, trinken nur noch Wasser und verzichten auf Alkohol. Nach vier, fünf Wochen sind sie am Ende, weil es einfach zu viel Umstellung in kurzer Zeit war. Man muss die goldene Mitte finden, und darin versuchen wir die Leute zu beraten.
Was wäre denn ein optimales Einsteigertraining?
Es ist wichtig zu wissen, was man will. Wenn man abnehmen will, ist es sicher vorteilhaft, das Training breit aufzustellen. Denn der Körper neigt dazu, in einer Komfortzone zu bleiben. Alles, was er an Bewegungsabläufen kennt, spult er ab. Was er allerdings nicht kennt, fordert ihn heraus. Man kombiniert als zum Beispiel Ausdauertraining mit Muskelaufbau. Für Anfänger sind sicher auch Gruppenkurse ideal, weil man immer einen Instruktor hat, der die Bewegungen korrigieren kann.
Wie sollte man auf ersten Erfolgen aufbauen?
Das sollte bei jedem Training passieren. Nehmen wir das Laufband: Jeder Mensch sollte es schaffen, 30 oder 40 Minuten durchzulaufen – sei das joggend oder walkend. Wenn man das anstrengend findet beim ersten Mal, gehts beim zweiten Mal vielleicht schon einfacher, dann kann man noch ein bisschen zügiger laufen, dann wird vielleicht die Distanz grösser und der Zeitraum des Trainings länger. Das Gleiche gilt beim Muskelaufbau. Wenn man bei der Beinpresse drei Wiederholungssätze macht und mit 15 Kilo einsteigt, kann man vielleicht beim nächsten Mal das Gewicht erhöhen. Wenn man regelmässig seine Übungen macht, sollte man eigentlich fast jedes Mal das Gewicht ein wenig erhöhen können. So sieht man den Erfolg. Grundsätzlich gilt es, in den Körper hineinzuhören und – je nach Tagesform – Gewicht, Wiederholungen oder Geschwindigkeit anzupassen.
Sie sagten anfänglich, die Motivation nehme im März ab. Erinnern Sie Kundinnen und Kunden denn auch ans Training?
Ja, natürlich. Es gibt ja das Klischee, dass die besten Fitnesskunden die sind, die nicht kommen. Aber das stimmt natürlich nicht, weil das meist die Kunden sind, die ihr Abo früher oder später auflösen. Wir wollen aktive Kunden, die Spass am Training haben und uns weiterempfehlen. Wenn eine Kundin oder ein Kunde über vier Wochen nicht mehr im Training war, dann fühlen wir auch mal nach und fragen: Ist alles okay? Wie können wir Dir weiterhelfen dass es wieder mit dem Training klappt?
Wie kommt das an?
Sehr positiv. Wir schimpfen natürlich nicht mit ihnen, sondern fragen nach, was denn nicht stimmt. Einige Leute kommen nicht weiter in ihrem Ziel und das demotiviert sie. Dann kann man vielleicht das Training anpassen und ihnen helfen, wieder mehr Freude und Spass an der Sache zu haben.
Spass am Fitness – das klingt bestimmt für manchen noch immer befremdlich. Sie sind davon überzeugt, dass es für jeden Topf einen Deckel in der Fitnesswelt gibt?
Natürlich.Wenn man kommunikativ ist und den Austausch mit anderen wünscht, dann ist ein Gruppenkurs prima. Wenn man den ganzen Tag schon Leute hat, die auf einen einreden, dann will man vielleicht lieber einfach aufs Laufband und abschalten. Wenn jemand gern tanzt, wäre vielleicht Zumba eine gute Variante. Spass ist in Sachen Fitness aber auch ein dehnbarer Begriff. Wenn jemand 20 Kilo loswerden will und sehr unglücklich ist, dann macht es vielleicht nicht immer gleich viel Spass. Dafür macht es Freude, wenn man jeden Tag dann auf die Waage steht und ein Ziel erreicht hat. Wichtig ist auf jeden Fall – egal, welches Ziel man hat – die Kontinuität.
Also man hat nicht irgendwann austrainiert?
Nein, man muss sich auch darauf einstellen, dass das etwas ist, was man den Rest seines Lebens macht. Egal ob zur Gewichtsreduktion oder aus gesundheitlichen Gründen, Bewegung gehört zum Leben und deshalb muss man sich von der Idee verabschieden, dass man nach ein paar Monaten wieder aufhören kann. Das gilt übrigens auch für den Sommer. In unserer Branche gibt es das lustige Phänomen, dass die Leute genau dann weniger trainieren.
Wie kommt es dazu?
Das verstehe ich auch nicht! Denn im Sommer setzt man sich doch noch viel mehr mit seinem Körper auseinander, weil man einfach viel mehr davon sieht. Da ist nichts unter Winterjacken und Pullis versteckt. Und wie gesagt, Kontinuität ist entscheidend. Man kann im Sommer auch ein bisschen auf Stand-by gehen und weniger trainieren, aber ich würde das Training nie komplett einstellen. Man sagt: A beachbody is made in Winter. Stimmt! Aber man muss ihn auch im Sommer pflegen. Ich persönlich trainiere auf den Sommer hin. Da kann ich mich dann guten Gewissens auch am Strand mit wesentlich Jüngeren ohne Probleme messen!
Die Tipps der Expertin:
1. Ziel definieren: «Es ist zentral zu wissen, was man vom Training erwartet. Wenn man abnehmen oder fitter werden will, sollte man mindestens zwei- bis dreimal pro Woche trainieren. Da ist man wirklich vorne mit dabei und kann etwas bewirken.»
2. Nicht übertreiben: «Mit fünfmal in der Woche einsteigen, bringt nichts. Denn zum einen, hält man das untrainiert nicht lange durch und zum anderen kommt der Körper so zu sehr in Stress. Im Idealfall nach jedem Tag Training einen Tag Pause einlegen, damit sich der Körper regenerieren kann.»
3. Zeitmanagement: «Man neigt dazu, Ausreden zu finden, um nicht ins Gym zu gehen. Das Wetter ist schlecht, das Wetter ist gut, jetzt gehen meine Freunde zum Apéro und so weiter. Man muss es einfach durchziehen. Am besten: Fixe Zeiten reservieren und im Kalender blockieren – und zwar gleich fürs ganze Jahr. Dann kann man andere Arbeitstermine darum herumlegen. Und wenn ich drei Termine eingetragen habe und einer klappt nicht, ist das auch nicht so schlimm.»
4. Um Hilfe bitten: «Die meisten Studios bieten Coachings oder Personal Trainer an, das lohnt es sich in Anspruch zu nehmen, um überhaupt mal zu lernen, wie man die Gerächte richtig benutzt. Ausserdem motiviert so eine Stunde eben auch, wenn man das Gefühl hat, nicht weiter zu kommen.»
5. Keine falsche Scheu: «Der Irrglaube der Leute ist, dass alle, die im Fitnessstudio sind, super fit sind. Wenn das der Fall wäre, müsste es ja kaum Fitnessstudios geben. Ich glaube, die Angst vor einem Studio kann man nur bekämpfen, in dem man es einfach mal ausprobiert und ein Probetraining absolviert.»
Veronika Leidescher, 42 Jahre alt, ist Club Managerin im Zürcher Fitnessclub Holmes Place