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«Man kann sich nicht selbst zum Influencer ernennen»

«Man kann sich nicht selbst zum Influencer ernennen»

  • Text: Helene Aecherli; Bild: Getty Images, ZVG

Sind Nano-Influencer die Trendsetter im Influencer-Marketing? Lächerlich, findet Daniel Koss. Er muss es wissen. Er betreibt eine der grössten Influencer-Agenturen der Schweiz.

annabelle: Daniel Koss, wer auf Instagram 1000 bis 5000 Follower hat, gilt als Nano-Influencer und wird in der Branche als Trendsetter gehandelt. Stimmt das?
Daniel Koss: Objektiv ja, aber es ist ein sinnloser Trend.

Wie bitte?
Ja, echt. Schau: Wenn Kim Kardashian für etwas Werbung macht, ist sie glaubwürdiger als deine Mutter? Natürlich nicht. Deine Mutter ist glaubwürdig, weil sie eben keine Werbung macht. Sobald sie Werbung machen würde, wirds peinlich. Genauso verhält es sich mit Nano-Influencern. Nanos sind so lang glaubwürdig, wie sie kleinere Audiences mit persönlichen Connections haben und unabhängig sind.

Eben.
Klar. Nur träumen die allermeisten von Anfang an davon, irgendwann mal gross zu werden, sodass sie vom Influencen leben können. Auch das ist Bullshit. Im besten Fall reichts für ein Sackgeld – was gut ist für Agenturen, die auf Nanos setzen, da sie ihnen weniger für die Posts bezahlen müssen als den grossen. Zudem profitieren Software-Plattformen, die darauf spezialisiert sind, kleineren Social-Media-Accounts automatisch dasselbe Briefing zu versenden. Denn das schafft eine Agentur allein nicht. Verlierer sind wiederum die Nanos, die ihre Coolness aufs Spiel setzen, sobald sie Geld für ihren Content erhalten. Und natürlich die Followers, die jetzt überall auf Werbung stossen.

Machen Nanos nicht einfach besseren Content?
Das ist lächerlich. Warum sollen Nanos den besseren Content machen als die grossen? Schliesslich führt guter Content ja zu mehr Followern.

Ein für alle Mal: Wie wertvoll sind Likes?
Likes an sich sind nicht wirklich wertvoll oder aussagekräftig. Das Spannende an Likes ist, dass man sie als sehr guten Gradmesser für die Aktivität einer Community und fürs Vergleichen von Influencern verwenden kann. Das heisst, an der Zahl von Likes und Videoaufrufen kann man zum Beispiel relativ gut abschätzen, ob eine Community stark auf die Werbung eines Influencers reagieren wird oder ob die Werbung einfach an den Leuten vorbeigeht. Ein Influencer, der im Schnitt doppelt so viele Likes oder Videoaufrufe hat, wie ein anderer Influencer, wird höchstwahrscheinlich auch ziemlich genau doppelt so gut performen wie der andere Influencer.

Es gibt Stimmen, die sagen, die Tage von Influencern sind gezählt, da Influencer nerven. Wie stehen Sie dazu?
Influencer-Marketing hat es schon immer gegeben und wird es immer geben. Die Frage ist nur: Wer ist überhaupt ein Influencer? Ein Influencer ist, wer sehr viele Menschen erreichen und beeinflussen kann, Grössen wie Cristiano Ronaldo, Michelle Obama oder Roger Federer. Was nervt, ist, dass das Wort derzeit völlig inflationär gebraucht wird. Inzwischen bezeichnet sich jeder und jede als Influencer, so wie heute alle Experten oder Expertinnen für etwas sind. Dabei brauchte es etwa sieben Jahre, um seinen Account überhaupt gross zu machen; zudem kann man sich nicht selbst zum Influencer oder Experten ernennen. Man wird zum Influencer erkoren.

Wie wird man erkoren?
Indem die Community einem zum Experten erklärt oder zum Idol. Influencer sind oft Vorbilder, denen man nacheifern möchte. Das äussert sich konkret in der Anzahl Follower, in hohen Interaktionsraten und aktiven Kommentarschreibern.

Nun wimmelt ja gerade etwa von Fashion-Influencerinnen. Wie ist diese Menge einzuordnen?
Wer von denen ist tatsächlich eine Influencerin? Hat jemand 10 000 Follower ist er KEIN Influencer. Vielleicht ein Fashion-Lover, Fashion-Blogger oder Fashion-Enthusiast – ja. Aber sicher kein Influencer. Auch bezweifle ich, dass jeder hübschen Frau mit dem Vermerk «Fashion-Blogger» in der Bio wirklich wegen ihrem Sinn für Fashion gefolgt wird. Die Männer suchen nicht alle nach Geschenkideen für ihre Freundin …

Da platzen jetzt wohl einige Blasen.
Ich habe eine Faustregel: Wenn du durch den Zürcher Hauptbahnhof gehst und keiner spricht dich für Fotos und Autogramme an, bist du kein Influencer. Sorry.