Leben
Making-of zum Mode-Shooting mit Camille Rutherford
- Text: Barbara Achermann; Fotos: Yves Bachmann, Okofilm Productions GmbH
So professionell die Bilder in der Modestory «Winter Queen» mit Camille Rutherford wirken, so klar wurde beim Fotoshooting: Modeln und schauspielen sind zwei Paar Schuhe.
Wie ein geblendetes Tier steht sie im Scheinwerferlicht, weiss nicht, wohin mit ihren grossen Händen, und steckt sie deshalb schon wieder in die Hosentaschen. Die Fotografin versucht sie anzuleiten: «Mach bitte auf jeden Klick eine neue Pose.» Camille Rutherford fuchtelt unkontrolliert mit den Armen. «Stell einen Fuss auf den Hocker.» Sie verliert das Gleichgewicht und stürzt beinahe. «Steh einfach locker.» Sie versteift sich noch mehr. Eigentlich erstaunlich, denn Camille Rutherford (22) ist Schauspielerin. Ihre Rolle als Maria Stuart, Königin von Schottland, im Kostümfilm von Thomas Imbach spielt sie grossartig. Nicht wie eine gestelzte Herrscherin, sondern intim und intensiv. Als Model ist sie, nun ja, etwas sperrig. Sie erklärt, dass sie sich in einer fremden Rolle wohler fühle, als in ihrer eigenen Haut. Sie findet sich selber nicht schön. Vor dem Fenster des Fotostudios verdunkelt sich der Himmel. Camille Rutherford dreht leicht den Kopf und schaut ins Leere. Die Fotografin drückt ab.
Auf dem Monitor erscheint ihr melancholisches Gesicht, die Augen schläfrig, der Mund trotzig, die Schultern leicht nach vorn gekippt. Es ist gerade diese Antipose, die sie so ausdrucksstark macht. Ein wuchtiges Bild, so heftig wie der Platzregen, der nun an die Scheiben klatscht. Rauchpause. Die junge Frau geht gebückt, schlaksig, als wäre sie zu schnell gewachsen. Auf dem Gang grüsst sie höflich, und jeder dreht sich nach ihr um. Draussen zündet sie sich eine Zigarette an, schaut auf ihre Highheels, die sie für das Modeshooting tragen soll, und sagt: «Diese Schuhe sind an mir lächerlich. Sie machen mich noch grösser.» 181.5 Zentimeter, das stimme exakt, eine Kollegin habe sie vergangene Woche gemessen. Seit sie sich erinnern könne, wolle sie kleiner sein. Auch Maria Stuart (1542–1587) war eine grosse Frau, doch keine, die damit ein Problem hatte. Sie soll stolz und selbstbewusst gewesen sein
Ein betrunkener Scharfrichter
Bereits als Baby wurde sie Königin von Schottland und dem französischen Thronfolger versprochen. Mit 15 Jahren verheiratet, mit 17 verwitwet, mit 22 eine Hals-über-Kopf-Ehe in Schottland, die mit 24 brutal endete: Ihr Gemahl starb bei einer Explosion, vermutlich liess sie ihn umbringen. Nur drei Monate später die dritte Ehe, ihre grosse Liebe. Dann 18 Jahre Gefangenschaft und schliesslich der Tod auf dem Schafott. Camille Rutherford schnippt den brennenden Stummel in eine Pfütze und sagt, als erzähle sie einen Witz: «Der Scharfrichter war betrunken und brauchte drei Anläufe, um Maria Stuart den Kopf abzuschlagen. Im Film zeigen wir das natürlich nicht.» Tatsächlich war das Leben der jungen Königin ein einziges Feuerwerk und wie gemacht für ein klassisches Drama: Schiller schrieb ein Theaterstück, Stefan Zweig eine psychologische Analyse, und zahlreiche Regisseure adaptierten den Stoff. Momentan entwickelt Tudor-Experte Michael Hirst einen Kostümfilm, doch der Schweizer Regisseur Thomas Imbach kam ihm mit seiner «Mary» zuvor.
Imbach hat keinen Blockbuster mit opulenten Schlachten gedreht. Vielmehr ein poetisches Drama, das sich auf die Psyche von Maria Stuart konzentriert. Ein schöner Film. Einzig die Figurenentwicklung geht manchmal zu schnell. Man wünschte sich etwas mehr Interaktion und etwas weniger Landschaftsszenen, die das Innenleben spiegeln. Wie Maria Stuart ist auch Camille Rutherford zweisprachig aufgewachsen. Im Film redet sie Französisch und Englisch. Immer wieder hört man ihre gebrochene Stimme aus dem Off. Sie liest Briefe an ihre mächtige Cousine Elisabeth, Königin von England, mit der sie sich verbünden möchte. Imbach hat ihre Sehnsucht nach einer starken Frauenallianz zum Leitmotiv gemacht. Das ist sehr gelungen, man fiebert mit. «Mary» lief bereits an den Festivals in Locarno und Toronto. Die britische Zeitung «The Guardian» prophezeit, der Film werde ein Arthouse-Hit. Auf dem Weg zur Garderobe schnappt sich Camille Rutherford zwei Sandwichs und einen Salat.
Am vollgestellten Schminktisch beginnt sie hastig auszupacken. In einer Ecke liegen ihre Kleider: eine fusselige Baseballjacke, ein Männerschal, Jeans. Sie spricht mit vollem Mund, entschuldigt sich, nuschelt. Mehr Teenager denn junge Frau. In ihrer Rolle als Mary ist sie ganz anders: gesetzter und kontrollierter. Regisseur Imbach engagierte seine Hauptdarstellerin frisch vom Pariser Conservatoire national supérieur d’art dramatique, der renommiertesten Schauspielschule Frankreichs. Mit 17 hatte sie als jüngste Elevin die Aufnahmeprüfung bestanden, war allein aus der Provinz nach Paris gezogen, aus dem behüteten Familienheim in eine eigene Wohnung. «Es war supercool», sagt sie, um wenig später zu gestehen, «manchmal war es schon hart.» Es gab Tage, da hasste sie das Conservatoire, diese elitäre Anstalt, wo jeder Racine und klassische Musik liebt, während sie Comics las. Sie fürchtete ständig, zu ungesittet zu sein, liess sich von den zahlreichen Selbstdarstellern einschüchtern. Unterdessen habe sie aber gelernt: «Schauspielen bedeutet an sich selber zweifeln.» Gedreht wurde «Mary» grösstenteils im Schloss Chillon am Genfersee.
Camille Rutherford hatte Spass am freien Galopp, vor den Männern hingegen fürchtete sie sich. «Ich hatte noch nie eine richtige Beziehung. Meine Liebesgeschichten waren immer die totale Katastrophe. Deshalb waren zunächst alle Jungs am Set meine Feinde.» Bemerkenswert, dass man das ihrer Mary nicht ansieht. Wenn sie spiele, könne sie ihre Hemmungen und Krämpfe meist vergessen. Momentan ist Camille Rutherford am Théâtre du Rond-Point in einer kommerziellen Komödie zu sehen. Danach kann sie zwischen zwei Angeboten von grossen Theaterhäusern in Paris wählen. Sie nimmt eine grosse Gabel voll Salat. Ein Tropfen Sauce fällt an ihrer Herbstkollektion-Designerhose vorbei auf den Boden. Hat sie nicht bemerkt. Sie sagt, vielleicht schlage sie beide Angebote aus und drehe mit Freunden einen experimentellen Kurzfilm. Dann lacht sie: «Eine Modelkarriere kommt ja vermutlich weniger infrage.»
Der Film
Ab 7. November im Kino: «Mary, Queen of Scots» von Thomas Imbach. Mit Camille Rutherford, Mehdi Dehbi, Sean Biggerstaff – und Stephan Eicher als Maria Stuarts Schwiegervater, König Heinrich II. von Frankreich
Kostüme zum Träumen
Zum Wichtigsten in einem Kostümfilm gehören – richtig – die Kostüme. In «Mary, Queen of Scots» zeichnet der Schweizer Kostümbildner Rudolf Jost dafür verantwortlich. In eineinhalb Jahren kreierte er, assistiert vom Schweizer Modedesigner Heiner Wiedemann (Heinrich Brambilla), eine historisch stimmige Garderobe. Es war nicht das erste Mal, dass er die Schottenkönigin einkleidete: 2007 schuf er die Kostüme für Schillers «Maria Stuart» am Zürcher Theater Neumarkt.
1.
Fotografin Anna Rosa Krau (l.) und Moderedaktorin Cati Soldani
2.
Unsere vierbeinigen Statisten: Vier Langhaar-Whippets und ein Kurzhaar-Whippet, begleitet von ihren Meistern Tanja Beck-Senn (l.) und Daniel Beck
3.
Gar nicht so einfach, ein Model zu spielen
4.
Camille Rutherford als Maria Stuart im Film «Mary, Queen of Scots»
5.
Gedreht wurde der Film grösstenteils im Schloss Chillon am Genfersee
6.
«Mary, Queen of Scots», ab 7. November im Kino