Maison Ensemble: Sieben Menschen und ein Landhaus
- Redaktion: Rebekka Kiesewetter; Fotos: Stephan Rappo
Im neuenburgischen St-Blaise teilen sich sieben Menschen ein feudales Landhaus aus dem Jahr 1730. WG? Mais non. Nur der riesige Garten ist für alle.
Alte Landsitze können einschüchternd wirken: wegen ihrer Grösse, wegen ihres Gartens, der eher ein Park ist, auch wegen der Bewohner, die man hinter der eindrucksvollen Fassade in ihrem gediegenen Ambiente steif sitzend vermutet. Und manchmal wirkt verblichener Glanz nicht charmant, sondern gespenstisch. Doch das Haus im neuenburgischen St-Blaise vermag Besucher nicht zu schrecken. Weder mit seinen Dimensionen, die durchaus beeindruckend sind, noch mit seinem Umschwung und schon gar nicht mit seinen Bewohnern. Zu hell ist der bröckelnde Verputz der massiven Mauern, zu freundlich blinkt die Sonne in den alten, an den Ecken abgerundeten Glasscheiben, zu verspielt wuchert das ungetrimmte Grün bis über die Läden und die weiss gestrichenen Fensterrahmen, und zu bunt sind die Blumen, die aus grossen Pflanzkübeln und auch einfach mal so im Gras und zwischen den Pflastersteinen wachsen. Und dann sind da noch all die Kindervelos, Wasserpistolen und Minigiesskannen auf dem nicht allzu gestutzten Rasen. Hier wohnen keine Gespenster, sondern Menschen; der einstigen Sommerresidenz vermögender Neuenburger fehlt – im Gegensatz zu ähnlichen Anlagen – jede Strenge; sie ist nicht zu konserviert, sondern sie wird gelebt. Und zwar von zwei Familien, die sich Gutshaus und Garten teilen, den Bewohnern der benachbarten, ehemaligen Remise, von Besuchern und von den Feriengästen im kleinen Guesthouse Le Rève, das in den vier Zimmern im umgebauten Dachstock eingerichtet ist.
«Es hat Zeit gebraucht, bis wir erkannt haben, wie jeder funktioniert»
Das Guesthouse führt Cornelia Treuthardt, sie koordiniert auch die Anlässe, für die man einige Zimmer im Haus und den Garten mieten kann. Eigentlich ist Cornelia Grafikerin, sie arbeitet daheim, und sie teilt sich die eine Haushälfte mit ihrem Partner Christoph Aebi, einem Produktdesigner und Shiatsu-Therapeuten. Nebenan wohnen die Lehrerin Jeanne Borel, der Ingenieur Sébastien Dassi und die Besitzer der herumliegenden Wasserpistolen: Sébastiens Sohn Mathéo und Jeannes Töchter, die Zwillinge Lou und Zoé. Die Kinder haben – neben dem oben genannten – eine ganze Menge anderer Sachen, um die sie Gleichaltrige wohl beneiden. Nämlich: einen eigenen Bach, einen See mit Schlauchboot, ein kleines Waldhaus, die Fläche von bestimmt mehr als einem Fussballfeld zum draussen Spielen, und einen Brunnen, an dem sie beim Planschen nie Gefahr laufen, Passanten nasszusprizen und dafür eine Rüge zu kassieren.
Allzu bunt können es die Kinder aber trotzdem nicht treiben – bei einer Wohnform, wie sie in St-Blaise gelebt wird, muss man etwas Rücksicht auf die anderen Mitglieder der Hausgemeinschaft nehmen. «Wir sind keine WG, unsere Hausteile sind – dank der separaten Treppen – klar voneinander getrennt. Die Hauptschnittstelle unserer Hausgemeinschaft ist der Garten», sagt Cornelia. «Trotzdem ist man sich natürlich nahe, und es hat seine Zeit gebraucht, bis wir erkannt haben, wie jeder funktioniert, wer wo seine Freiräume braucht, wem was besonders wichtig ist und wie wir am Besten miteinander umgehen.» Typische WG-Probleme gibt es auch in der erklärten Nicht-WG: Wer hält das alte, gemeinsame Treppenhaus zwischen den beiden Hausteilen oder den gepflasterten Vorplatz sauber, wer kümmert sich um den Garten? Doch das sind Kleinigkeiten; angesichts der gemeinsamen Momente, der Grillabende, der Feste mit Freunden verlieren sie an Bedeutung.
«Dieses Haus entsprach genau dem, von dem ich seit meiner Jugend geträumt hatte»
Dass das Gemeinschaftliche so gut funktionieren würde, das war alles andere als garantiert. Denn die zwei Parteien kannten sich beim Kauf erst entfernt: «Wir wohnten in einer Wohnung in Neuenburg, reisten viel und lange und wollten, wenn überhaupt, etwas Kleines kaufen», sagt Christoph. «Weil wir alte Häuser mögen, haben wir uns das Landhaus in St-Blaise angeschaut. Es hatte zehn Jahre leergestanden, der Preis war uns viel zu hoch, und bald nach der Besichtigung wurde es verkauft. Als wir nach einigen Monaten in Italien wieder an den Neuenburgersee zurückkehrten, war das Haus plötzlich wieder auf dem Markt. Und zu einem viel günstigeren Preis als beim ersten Mal.» Ideen wie das Guesthouse und die Vermietung von Räumen für Feste oder Seminare begannen zu entstehen, das Paar sah, dass sich das Gebäude mit dem zentralen Treppenhaus und den zwei Flügeln sehr gut aufteilen lässt und suchte nach Kaufpartnern.
Fündig wurden sie im entfernten Bekanntenkreis mit Sébastien. Sébastien, der damals auch in Neuenburg wohnte und der sagt: «Dieses Haus entsprach genau dem, von dem ich seit meiner Jugend geträumt hatte. Ich hätte nie erwartet, so etwas in der Schweiz zu finden und hatte mich eher ein wenig auf Kanada konzentriert, das ich von meinen beruflichen Reisen sehr gut kenne.» Seine jetzige Partnerin Jeanne kannte er noch nicht, als er zusammen mit Cornelia und Christoph und den Bewohnern der ehemaligen Remise das Anwesen kaufte. Und von dem war am Anfang der Beziehung sehr häufig die Rede, wie sich Jeanne erinnert: «Sébastien hat mit seiner Wohnsituation durchaus etwas angegeben.» Aber nicht zu viel versprochen: «Ich bin 2011 ins gemachte Nest gezogen, fast alles war fertig umgebaut.»
Die Arbeiten am Haus haben knapp fünf Jahre gedauert, Produktdesigner Christoph hat viel selber übernommen. Seine Arbeit erleichtert hat der gute Zustand der Bausubstanz des denkmalgeschützten Hauses, dessen älteste Teile auf 1730 datiert werden. «Das Gebäude wurde in der Vergangenheit mehrmals umgebaut und renoviert. Es diente als Weingut, Jagdsitz, Ferien- und Wochenendresidenz. Merkwürdigerweise blieb es nie länger als eine Generation in der jeweiligen Besitzerfamilie», erzählt Christoph. Aha?! Lastet auf dem freundlichen Haus also doch ein Fluch? Ein Fluch sei es zumindest gewesen, dass der letzte Besitzer die Wände und alle Böden und anderen Holzelemente deckend grau gestrichen habe; «die Farbe runterzukriegen, war mit das Mühsamste an der Renovation», sagt Christoph. Dazu kamen Elektroinstallationen, der Umbau des Dachstocks, der Einbau von Treppen in den beiden Hausteilen. Bei Jeanne und Sébastien wurde eine Mauer versetzt. Doch die alten Fenster, das Täfer, die schönen Holz- und Plattenböden und die dicken Mauern, die hinter der grauen Paste zum Vorschein kamen, sie alle wurden bewahrt.
«Wir finden wichtig, dass das Alte alt ausschaut und das Neue neu»
In ihrem Hausteil verbinden Jeanne und Sébastien das Dagewesene mit Aktuellem: «Wir finden wichtig, dass das Alte alt ausschaut und das Neue neu. Deshalb kontrastieren wir mit der modernen Einbauküche und der Eisentreppe bewusst die antiken Elemente und versuchen nicht, sie mit Auf-alt-Getrimmtem zu imitieren.» Bei Cornelia und Christoph hingegen sieht es aus wie auf jenen alten Farbfotos, bei denen man nie weiss, ob man nun Staubflocken im Gegenlicht tanzen sieht oder ob – wahrscheinlicher – die Kameralinse für den diffusen Effekt verantwortlich ist: Die Farben sind gedämpft, das Licht weich, mal golden und mal eher blau, nie grell. Neben Einrichtungsgegenständen, die Christoph selber gefertigt hat, steht Altes, Gesammeltes und in der Natur Gefundenes: Federn, Rinden, moosige Äste, Steine, Vogelnester und -eier. Cornelia bringt sie von Spaziergängen mit. Oder aus den Ferien, mit denen sie eigentlich nicht gerechnet hatte. Doch die Befürchtung, nicht mehr einfach wegfahren zu können, weil man dann das grosse Haus sich selbst überlassen müsste, die hat sich für Cornelia und Christoph nicht bewahrheitet. Ganz im Gegenteil: Es ist ein Leichtes, im Familien- oder Bekanntenkreis jemanden zum Hüten zu finden. Schliesslich ist hier zu wohnen fast wie Ferien machen, ist sich die Hausgemeinschaft einig.
1.
Weingut, Jagdsitz, Ferienresidenz: Das alte Herrschaftshaus von St-Blaise hat vieles schon erlebt.
2.
Gibts etwas zu Naschen? Christoph Aebi bekommt Besuch in seiner Küche.
3.
Die Hausbesitzer sind sich einig: Hier wohnen ist wie Ferien.
4.
WG-Frage für die Nicht-WG: Wer kümmert sich ums gemeinsame Treppenhaus?
5.
Badezimmer mit Aussicht: Eintauchen in Nostalgie.
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Eine pittoreske Wendeltreppe führt auf die Terrasse.
7.
Die Böden und dicken Mauern wurden erhalten.
8.
Manikürter Garten? Fehlanzeige! Herrlich wucherndes Grün vor hellem Putz.
9.
Insignien des passionierten Gärtners: Christoph Aebis Gummistiefel.