Männerberater Martin Bachmann: «Ein bisschen Gentleman und Tough Guy steckt noch im neuen Selbstbild»
- Text: Sven Broder
- Bild: Stocksy
Männerberater und Sexologe Martin Bachmann über neue und auslaufende Rollenmodelle, über guten (unbezahlten) Sex und was es Mann kostet, vom hohen Ross runtersteigen zu müssen.
annabelle: Martin Bachmann, warum geht es den Männern in der Deutschschweiz nicht so gut?
Martin Bachmann: Geht es ihnen denn nicht gut? Über sämtliche Lebensbereiche hinweg betrachtet sind acht von zehn Frauen und Männern zufrieden bis sehr zufrieden. Das ist doch ein sensationeller Wert!
Ja, aber den Männern geht es offenbar schlechter als den Frauen. Und vor dem Hintergrund all der Frauenproteste in den vergangenen Jahren muss dieses Ergebnis doch erstaunen, oder nicht?
Dieser Vergleich ist nicht fair. Die Frauen gehen ja nicht auf die Strasse, weil sie unzufrieden sind mit ihrem Aussehen oder weil sie sich besseren Sex wünschen. Sie fordern seit Jahren im Grunde Selbstverständliches: Gleichberechtigung, Chancengleichheit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Anerkennung für all die Care-Arbeit. Zudem sind die Männer in bestimmten Lebensbereichen auch zufriedener als die Frauen, und dies nicht nur, wenn es um das eigene Aussehen geht, sondern insbesondere auch beim Thema Beruf und Karriere. Aber es stimmt schon: Es kostet uns Männer etwas, vom hohen Ross heteronormativer Männerlogik runtersteigen zu müssen.
Augenfällig ist ein riesiger Unterschied zwischen den Generationen: Junge Männer denken und empfinden nicht nur in vielem komplett anders als die älteren Männer, sie sind auch massiv unzufriedener?
Das stimmt. Die Unterschiede sind zum Teil frappant: Einerseits was die Ansprüche, die Erwartungen und Wünsche ans eigene Leben betrifft, andererseits aber auch hinsichtlich der Bereitschaft, sich mit sich, seinem Umfeld und den substanziellen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen. Da wächst bei den Jungen ein neues Bewusstsein heran, mit ganz neuen Selbstverständlichkeiten. Sie sind unzufriedener, weil sie im guten Sinne auch kritischer sind.
Das Männerbild ist im Wandel begriffen…
Genau. Das belegt diese Umfrage ganz schön. Ich persönlich finde es toll zu sehen, dass die Bemühungen der letzten Jahrzehnte langsam Früchte tragen.
Die Emanzipationsbewegung und Genderdiskussionen scheinen tatsächlich Früchte zu treiben, nur schmecken diese für die Männer nicht nur süss.
Man sollte da nicht voreilig irgendwelche Schlüsse ziehen. Denn diese Umfrage bildet nur die aktuelle Gefühlswelt ab, sie erlaubt also keine Aussage darüber, ob es den heutigen Männern im Vergleich zu früheren Generationen besser oder schlechter geht. Ganz grundsätzlich ist es so, dass die Herausforderungen in jungen Jahren generell grösser sind.
Die grössere Unzufriedenheit junger Männer ist also einfach eine Altersfrage?
Nicht nur, aber auch. Gerade bei den Männern werden die prägenden Lebensentscheide heute später gefällt. Ich selber wurde auch erst mit 36 Jahren Vater, vorher wollte ich nichts von Familie und Verantwortung wissen. So geht es heute vielen Männern. Und dies bildet sich in dieser Studie ab: Männer stecken bis Mitte dreissig oft in einer Art Postadoleszenz. Sie wissen nicht genau, was sie wollen, wie sie es wollen und mit wem sie es wollen. Anders formuliert: Sie eiern noch ein wenig herum – und diese Suchbewegung hat etwas Verunsicherndes.
Im Vergleich dazu sind die Männer über 65 Jahre nicht nur überdurchschnittlich zufrieden, sondern auch recht selbstzufrieden. Das Einzige, was diese Generation zu beschäftigen scheint, ist – selbstredend – die eigene Gesundheit.
Ja, da könnte man fast neidisch werden (lacht). Aber das hat ja auch etwas Versöhnliches: Die Welt um einen herum wird kleiner, wenn man älter wird.
Frauen in diesem Alter beschäftigt jedoch noch etwas anderes als nur der eigene Zerfall, nämlich die finanzielle Not beziehungsweise Abhängigkeit.
Ja, diese Angst teilen die meisten älteren Männer nicht. Dass sie im Schnitt auf der Sonnenseite des Lebens stehen, darüber brauchen wir ja nicht mehr zu diskutieren. Spannend jedoch ist, dass dieser Typus Mann insgesamt ein Auslaufmodell ist.
Rechnet man die privilegierte Generation der über 65-Jährigen aus der Statistik heraus, dann wird das Bild noch eindeutiger: Die jungen Männer haben zu kämpfen, gerade auch in ihren Paarbeziehungen.
Ja, und dies finde ich tatsächlich erstaunlich. Ich hätte gedacht, dass die Frauen tendenziell unzufriedener sind mit uns geschlechterpolitisch verpeilten Männern (lacht). Doch offenbar ist das Gegenteil der Fall: Die Männer sind im Schnitt ein wenig unglücklicher – wenn auch, das muss man insgesamt betonen, auf sehr hohem Zufriedenheitsniveau.
Trotzdem: Die Emanzipationsbewegung, so scheint es, macht es jungen Männern nicht leicht.
Mag sein. Aber was wäre dies für eine merkwürdige Anspruchshaltung? Ist eine Frau dazu da, mir das Leben angenehmer zu machen? Klar ist es anstrengender, eine Beziehung auf Augenhöhe zu führen, als wenn einer befiehlt und die andere nur abnickt. Aber diese Zeiten sind vorbei. Eine Frau wird dies künftig kaum noch akzeptieren. Zudem liegt der Gewinn einer egalitären Beziehung auch für den Mann auf der Hand. Eine echte Partnerschaft mit Respekt, Austausch, Lust und einem lebendigen Spiel zwischen Nähe und Distanz ist viel befriedigender. Dann bleiben Menschen beieinander, weil sie das von Herzen möchten und nicht nur, weil sie nicht anders können. Zudem ist im Zuge der Emanzipationsbewegung auch die Rolle des Mannes verhandelbarer geworden und es haben sich für ihn neue Spielräume aufgetan, auch innerhalb der Paarbeziehungen.
Die Männer sind nicht mehr fix gebucht auf die Alleinernährerrolle?
Genau. Denn Mann tut sich zunehmend schwer damit. Innerhalb der jungen Generation empfinden es drei von vier Männern als belastend, hauptverantwortlich für das Haushaltseinkommen zu sein.
Gleichwohl geht die Neudefinition von Mann nicht ohne Nebengeräusche vonstatten. Immerhin jeder Fünfte unter 36 Jahren gab zu, verunsichert zu sein, was die eigene Rolle als Mann angeht?
Auch dies lese ich als positives Zeichen: Die stereotypen Geschlechterbilder haben – gottlob! – an Deutungshoheit eingebüsst. Aber natürlich steigt dort, wo eine grössere Vielfalt an Rollenmodellen möglich ist, auch die Verunsicherung. Das ist quasi der Preis der Wahlfreiheit. Zudem kommt der Mann aus der Position der Stärke. Nun muss er plötzlich Macht, Einf luss und Kompetenzen abgeben und gleichzeitig in für ihn neue Lebensräume vorstossen und sich dort neu bewähren; in der Familie, in der Kinderbetreuung et cetera. Auch dies ist zunächst einmal unangenehm und herausfordernd. Doch die Bereitschaft, sich auf diese neuen Lebensmodelle einzulassen, war noch nie so gross. Und Mann war auch noch nie so gut gerüstet dafür wie heutzutage.
Sehen Sie das in Ihrer Arbeit als Männerberater?
Ja. Die Männer sind ambivalenzverträglicher geworden. Das heisst, sie können mit sich widersprechenden Wünschen, Gefühlen und Gedanken und den daraus resultierenden inneren Spannungen besser umgehen. Sie haben insgesamt ein viel entwickelteres Hilfesuchverhalten und es fällt ihnen nicht gleich ein Zacken aus der Krone, wenn sie mal etwas nicht wissen oder können. Und sie geben Unsicherheiten preis, nicht zuletzt bei einer solchen Umfrage. Der typische Mann von gestern hingegen wusste doch schon alles. Der brauchte keine Beratung!
Erstaunlich ist, wie viele sich als Feministen bezeichnen: Bei den unter 36-Jährigen fast jeder zweite!
Das ist tatsächlich überraschend. Und was mich freut, ist, dass selbst bei den über 65-Jährigen jeder dritte die aktuelle Geschlechterdebatte für wichtig oder überfällig hält. Diese Werte kommen fast an diejenigen heran, die wir aus der Frauenbefragung von annabelle und Sotomo kennen.
Der heutige Mann sieht sich am liebsten so: freundlich, intelligent, selbstsicher, mit sich im Reinen, einfühlsam und fürsorglich – in dieser Reihenfolge.
Ja – voll der Gspürschmi-Typ (lacht). Wobei – ein bisschen smarter Gentleman und Tough Guy steckt immer noch drin in diesem neuen Selbstbild.
Ja, aber dennoch gab nur einer von vier an, das Attribut «attraktiv» bei sich selbst wichtig zu finden.
Genau. Aber gleichzeitig hat beim Mann das gepflegte Auftreten einer Frau absolut oberste Priorität. Da wurde wohl ein wenig geflunkert …
Jeder zweite Berufstätige würde gern weniger arbeiten, kann sich dies wegen der finanziellen Verantwortung aber nicht leisten oder sagt, dass der aktuelle Job eine Pensumreduktion nicht zulässt. Wie schätzen Sie diesen Befund ein?
Zunächst muss man festhalten: Die Generation der über 65-Jährigen findet es nach wie vor tipptopp, dass Frau zuhause bleibt und Mann die finanzielle Verantwortung trägt. Bei den jüngeren Männer hingegen sieht das ideale Erwerbsmodell gleich aus wie bei den Frauen ihrer Generation: Er arbeitet siebzig und sie sechzig Prozent. Diese Angleichung ist enorm erfreulich. Und ich bin überzeugt: In ein paar Jahren wird das ideale Erwerbsmodell komplett egalitär aussehen: 60/60 oder 70/70. Beide können Karriere machen und haben Zeit für Care-Arbeit.
Wie gesagt: Die Hälfte der erwerbstätigen Männer würde gern weniger arbeiten.
Das hört man schon lang. Aber in der Realität arbeiten Männer noch immer fast ausschliesslich hochprozentig. Und sie scheinen damit glücklich zu sein. 80 Prozent geben an, zufrieden oder sehr zufrieden mit der jetzigen Familiensituation zu sein. Männer sollten also nicht nur von einem kleineren Pensum «träumen», sondern es auch real angehen, und dazu gehört dann eben das Gespräch mit der vorgesetzten Person. Und es braucht Frauen, die im Gegenzug bereit sind, mehr finanzielle Verantwortung zu übernehmen und Kompetenzen zuhause und in der Kinderbetreuung abzugeben. Da müssen alle einen Schritt machen. Rumjammern tut kurz gut, nützt auf lange Frist aber nichts.
In Sachen Vaterschaftsurlaub ist die neue Männergeneration jedenfalls schon mal super progressiv. Die absolute Mehrheit wünscht sich ein Elternzeitmodell nach skandinavischem Vorbild.
Da zeigt sich sehr schön, wie stark sich das männliche Geschlechterbild in den letzten Jahren verändert hat. Ein solches Resultat war vor zehn Jahren noch undenkbar. Insofern ist es erfreulich, dass sogar 14 Prozent der alten Männer dieses Anliegen mittlerweile ebenfalls unterstützen.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich so viele junge Männer vor der Einsamkeit fürchten?
Womöglich hängt dies mit unserer pluralistischen und multioptionalen Gesellschaft zusammen, in der Geschlechterrollen insgesamt fluider und Struktur gebende Grössen wir Kirche, Staat und Politik an Bedeutung verloren haben. In dieser neuen Welt fühlen sich junge Männer wohl zunehmend allein. Das ist eine der Herausforderungen unserer Zeit.
Und weil auch in der Liebe und in der Partnerschaft vieles neu verhandelt werden muss, scheint sich der junge Mann da nach alten Werten zu sehnen – mehr noch als die ältere Generation.
Das ist so. «Sexuelle Treue», «gegenseitige grosse Liebe» oder «Wertschätzung zeigen» sind alles stabilisierende Werte. Auf sie kann Mann in unsicheren Zeiten zählen. Allerdings muss man auch bedenken, dass Menschen mit zunehmendem Alter einen realistischeren Blick auf die Liebe bekommen, man wird auch da pragmatischer.
Reden wir noch übers Sexleben. Auch da ist es doch erstaunlich, dass die Männer teils massiv unzufriedener sind als die Frauen.
Beim Thema Sex schlagen die alten Geschlechterstereotypen noch mal so richtig durch, man kann es nicht anders sagen. Für Männer scheint häufiger Sex generell auch mehr sexuelle Zufriedenheit zu bedeuten. Bei den Frauen gilt dies allenfalls noch für die unter 40-Jährigen. Das ist insofern spannend, weil die Sexualität rein physiologisch für Männer wie für Frauen ziemlich gleich interessant sein könnte. Sex tut allen gut. Wenn er denn gut ist (lacht).
Der Wunsch nach mehr Sex hat also gar keine biologische Ursache?
Es gibt viele Gründe, Sex haben zu wollen; genitale, emotionale, soziale. Das ist individuell erlernt. Und natürlich spielen da auch geschlechtsspezifische Faktoren wie die Hormone mit hinein. Dass die Biologie eine Rolle spielt, zeigt die Tatsache, dass junge Männer häufiger genitale Erregung beschreiben, mehr spontane Orgasmen erleben, nachts etwa und ohne eigenes Zutun. Von solchen «Entladungen» berichten Frauen seltener. Aber noch viel wichtiger als die Biologie ist die Frage, was wir daraus machen: Zum Beispiel lernen Männer sich und ihren Körper nach wie vor anders kennen. Sie entdecken oft früh, ihre Emotionalität mittels Sex zu regulieren.
Was heisst das?
Für Männer ist die Sexualität ein Anker, den sie nutzen können, um sich emotional etwas Gutes zu tun. Selbstbefriedigung, um den Kopf freizubekommen, oder Sex, um Stress abzubauen; so etwas kennen Frauen weniger. Sie haben andere Strategien, um zur Ruhe zu kommen oder sich abzulenken.
Aber die unterschiedliche Vorstellung davon, wie viel Sex «richtig» ist, dürfte in Ihrem Beratungsalltag auf der Tagesordnung stehen, nicht?
Klar, dieses Thema kommt sehr oft auf. Und natürlich gibt es genau dieses «richtig» nicht, weil das sehr individuell ist. Aber hört man genauer hin, ist meist nicht die Quantität das eigentliche Problem, sondern die Qualität. Frauen wollen oft nicht weniger Sex, sondern weniger von dieser Art von Sex. Ist der Sex schlecht, langweilig oder gar schmerzhaft, will kein Mensch mehr davon. An gutem, lustvollem Sex hingegen haben alle ein Interesse, auch Frauen.
Mehr Gefälligkeitssex ist also definitiv nicht die passende Antwort auf dieses männliche Defizit …
Keinesfalls! Ein Mann soll sich stattdessen ernsthaft fragen, welchen Beitrag er leisten kann für mehr und vor allem mehr lustvollen, einvernehmlichen Sex. Er darf und soll sein Interesse am Sex und an der Partnerin in die Beziehung tragen. Sich zu verstecken oder diese Energie andernorts loszulassen, gefährdet das Paarleben meist. Und Frau soll sich im Gegenzug mit ihrer eigenen Sexualität auseinandersetzen, mit ihrem Körper und ihrer Lust – und sich dem Partner ebenfalls entsprechend offenbaren.
Dreissig Prozent der jungen Männer haben schon mal für Sex bezahlt – das ist viel, oder?
Na ja, ich hätte mit einem noch höheren Wert gerechnet. Denn der Gang zu einer Prostituierten scheint nach wie vor so etwas wie ein männliches Initiationsritual zu sein. Oder eine Krücke in Zeiten geringer sexueller Selbstsicherheit. Dafür spricht, dass die Zahl der Männer, die schon für Sex bezahlt haben, zwischen dem 14. und 25. Altersjahr einen enormen Sprung macht. Wer es hingegen bis vierzig noch nicht getan hat, wird dies auch später kaum mehr tun. Zudem – und das sehe ich auch in meiner sexualtherapeutischen Arbeit: Im sexuellen Lernen sind wir nach wie vor sehr auf uns allein gestellt. Wir lernen in den Schulen allenfalls etwas über Verhütung. Aber wie genussvolle Sexualität aussieht und wie man zu ihr kommt, muss jeder Teenager selber lernen und erfahren. Und da kann der gekaufte Sex eine zwar ambivalente, aber machbare Option sein.
Weil er sich nicht traut, eine Frau anzusprechen?
Ja, gerade für junge Männer stellt sich heute zunehmend die Frage: Wie kann ich nett, sympathisch und gleichzeitig spitz sein und auf eine Frau zugehen, ohne grenzverletzend zu werden? Mit dem Gang ins Puff kann man sich da einiges an unliebsamer Beziehungsdynamik ersparen. Aber – was Mann dort nicht üben kann, ist die Kunst der Verführung und der sexuellen Begegnung auf Augenhöhe.
Dabei lohnt es sich doch: Kind und Familie scheinen geradezu zu beflügeln – auch den Mann!
Die Faktoren Kind und Paarhaushalt haben fast eine Verdoppelung des subjektiven Glücksempfindens zur Folge. Das ist enorm! Offenbar ist das Vaterwerden für viele Männer zu einem wichtigen Teil des Selbstverständnisses geworden, der mehr Glück und Zufriedenheit generiert. Ich würde behaupten, auch das ist ein relativ neues Phänomen. Überhaupt nicht neu hingegen ist, wie wichtig für Mann nach wie vor die Erwerbsarbeit ist. Ist er ohne Job, rasseln sämtliche Umfragewerte in den Keller.
Wie würden Sie den aktuellen Stresslevel unter den Männern insgesamt beurteilen?
Dass der Umfragewert beim Thema Selbstfürsorge ähnlich tief ausgefallen ist wie bei der annabelle-Frauenstudie, finde ich, ehrlich gesagt, recht erfreulich. Denn einerseits zeigt dies, dass die neue Männergeneration sich selber gegenüber feinfühliger geworden ist. Schliesslich ist in einem klassischen Männlichkeitskonstrukt der Wunsch, mehr Zeit für sich zu haben, kein Faktor; «richtige» Männer arbeiten einfach. Und andererseits ist es gut zu sehen, dass nicht nur die Frauen unter der Mehrfachbelastung von Job und Familie zu leiden haben, sondern auch die Männer. Beiden Geschlechtern fehlt zunehmend die Zeit für sich selber, das ist zwar insgesamt ein trauriger, aus gleichstellungspolitischer Perspektive aber versöhnlicher Befund. So können alle leichter aus den Täter-Opfer-Schemata ausbrechen und neu verhandeln.
Und zum Schluss noch die Frage: Welches Fazit sollten Frauen aus dieser Männerumfrage ziehen?
Männer geniessen viele Privilegien. Das ist nach wie vor so. Nun wissen die Frauen aber auch, dass diese Privilegien nicht so breit gestreut sind, dass alle Männer gleichermassen davon profitieren. Im Gegenteil: Vor allem die jungen Männer und die berufstätigen Väter haben oft sehr ähnliche Sorgen, Ängste und Nöte wie die Frauen. Deshalb tun sie gut daran, diese Männer in den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Debatten mehr als Partner und weniger als Feinde zu betrachten, gerade wenn es um Themen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. Diese neue Generation von Männern hat diese Welt mit all ihren Ungerechtigkeiten ja auch nicht selber erschaffen, sie tragen insofern also auch keine Erbschuld in sich, nur weil sie selber weiss und heterosexuell sind. Die allermeisten von ihnen sind bereit, ihre eigene Rolle als Mann zu hinterfragen und in neue Lebensmodelle aufzubrechen. Aber dafür muss man sie mit ins Boot nehmen.
Martin Bachmann (52) war zwanzig Jahre Sexologe und Gewaltberater im Mannebüro Zürich. Heute arbeitet der Vater von drei Teenie-Töchtern in einer eigenen Praxis als Sexologe und Paartherapeut in Luzern. sexologik.ch