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Die Mär von der unfähigen Frau

Leben

Die Mär von der unfähigen Frau

  • Text: Helene Aecherli; Foto: GettyImages

Es gibt kaum etwas, das die proseccogeschwängerte Grundheiterkeit einer After-Work-Party derart implodieren lassen kann, wie die Diskussion um die weltweit noch immer erbärmlich geringe Anzahl Frauen in Führungspositionen, allem voran das Bekenntnis: «Ja, natürlich bin ich für eine Frauenquote!» Kaum ausgesprochen, herrscht jeweils ein betretenes Schweigen, bevor dann die Mantras der Gegenargumente rezitiert werden.

«Frauenquoten sind unhaltbare Eingriffe in die unternehmerische Freiheit», heisst es. Oder: «Wenn Frauen wirklich wollten, könnten sie auch.» Mehr noch: «Eine Quote zwingt Firmen, inkompetente Frauen anzustellen.» Nun, das Gejammer um die drohende Beschränkung der wirtschaftlichen Autonomie und die Mär vom mangelnden weiblichen Karrierebiss kennen wir zur Genüge. Interessanter ist hingegen die fast schon reflexartig vorgebrachte Angst vor der vermeintlich inkompetenten Frau, die kraft ihrer Unfähigkeit die Männergremien und deren Unternehmen ins Verderben zu stürzen droht. Eine hochgradig sexistische Vorstellung, die, notabene, auch von Frauen selbst brav weitergeschwatzt wird. Doch das soll hier nicht der Punkt sein.

Bemerkenswert ist das Beharren auf dem Mythos der weiblichen Inkompetenz vielmehr deshalb, weil damit ein blinder Fleck in der Debatte geschaffen wird: die Frage nach der Kompetenz männlicher Führungskräfte. Betrachten wir die grössten Wirtschaftsskandale der vergangenen Jahre, brillieren männliche CEOs nämlich vor allem in einem: in grandiosem Versagen. Der Diesel-Betrug bei Volkswagen – abgenickt von männlichen Managern. Die Milliardenstrafen wegen Steuerbetrugs bei den Grossbanken – eingefädelt von männlichen Topshots. Der Konkurs der US-Investmentbank Lehman Brothers – männergemacht. «Wären statt den Lehman Brothers die Lehman Sisters am Werk gewesen», bilanziert Christine Lagarde, die einstige Chefin des Internationalen Währungsfonds, im «Guardian», «sähe die Welt heute anders aus.»

Diese These untermauert auch der Talentforscher und Wirtschaftspsychologe Tomas Chamorro- Premuzic in seinem Bestseller «Why Do So Many Incompetent Men Become Leaders?». Männliche Führungskräfte seien klar in der Überzahl, stellt er fest, würden im Vergleich zu Frauen aber massiv schlechter performen. Dies vor allem deshalb, weil viele Unternehmen einen Führungstyp fördern – oder sich von ihm blenden lassen –, der eine Reihe destruktiver Eigenschaften aufweist: Narzissmus, übertriebenes Selbstvertrauen oder ein Charisma, das jegliche Unfähigkeit überstrahlt. Es sind just jene Eigenschaften, die gemeinhin als erfolgsversprechend und nachahmenswert gelten, will man es nach ganz oben schaffen. Männer und Frauen hingegen, die diesen Stereotypen nicht entsprechen, werden bei Beförderungen gern übergangen. Und das, so Chamorro-Premuzic, ist fahrlässig. Denn nur allzu oft verblasst der glanzvolle Schein in der Realität der täglichen Arbeit – siehe Beispiele oben. Höchste Zeit also, bei der Kompetenz-Frage genderbefreit hinzusehen und die Messlatte nicht nur bei Frauen, sondern gerade auch bei Männern höher anzusetzen. Sonst bleibt nur noch dies: die Einführung einer Kompetenz-Quote.