«Männer ertragen das Gefühl der Inkompetenz schlecht»
- Interview: Miriam Suter; Foto: Michael Sieber
Der Basler Markus Theunert war der erste Männerbeauftragte im deutschen Sprachraum und setzt sich seit Jahren stark für die Schweizer Männerbewegung ein. Wir haben mit dem 43-jährigen Vater darüber gesprochen, warum die Gleichstellungspolitik in unserem Land noch auf der Stelle tritt.
Markus Theunert, Sie sind vor drei Jahren Vater geworden, wie lange war Ihre Auszeit?
Markus Theunert: Ich war damals selbstständig, so konnte ich mir einen «Vaterschaftsurlaub» von zwei Wochen nehmen und auch sonst runterfahren. Diese Zeit habe ich allerdings nicht als wahnsinnig toll erlebt.
Warum nicht?
Ich hatte ein schlechtes Gefühl, weil ich nicht gearbeitet habe und nicht recht wusste, was ausser Geldverdienen mein Beitrag für die Familie sein kann. Ich fand es sehr anspruchsvoll, mich in meine neue Rolle einzufinden. Einerseits wollte ich meine Frau entlasten – was mir ganz gut gelungen ist, denke ich. Schwieriger fand ich die Tatsache, dass die Bindung zwischen Mutter und Kind durch das Stillen schon sehr viel enger war als zwischen mir und dem Kind. Dazu kamen die ganzen Ängste, wie ich mit dem Autonomieverlust, dem neuen Leben als Vater umgehen würde. Eine schwierige Zeit.
Ist das taktisch nicht ungeschickt, wenn Sie als Verfechter des Vaterschaftsurlaubs eine solche Aussage machen?
(lacht) Vielleicht, aber darum geht es ja nicht. Mir ist eigentlich egal, ob ein Vater «Lust» auf Vaterschaftsurlaub hat. Der ist ja kein Geschenk, sondern eine Ansage: Mithelfen war gestern – Vatersein heute heisst, die Hälfte der Betreuungsarbeit zu leisten. Punkt. Damit er das kann, muss seine Kompetenzentwicklung von Anfang an mit jener der Mutter Schritt halten. Ich finde es auch wichtig, den Männern reinen Wein einzuschenken: Es ist primär weder witzig noch herzig, sondern eine Riesenherausforderung.
Dann schenken Sie doch mal reinen Wein ein.
Liebe Väter, ihr habt wahrscheinlich noch nie eine so grosse Ohnmacht, Hilflosigkeit und Kompetenzlosigkeit erfahren wie direkt nach der Geburt des Kindes. Aber, die gute Nachricht ist: Euren Frauen gehts nicht besser. Macht also nicht den Fehler, den Gap zwischen euch beiden als Paar, der anfangs noch sehr klein ist, grösser zu machen.
Genau das passiert aber momentan.
Ja, das Fehlen väterpolitischer Massnahmen ist nicht einfach staatliche Neutralität, sondern eine gewollte Entfremdung der Männer vom häuslichen Bereich. Und das macht alle weiteren Gleichstellungsappelle schal. Männer ertragen das Gefühl der Inkompetenz schlecht. Können sie ihre Kompetenzen nicht von Anfang an aufbauen, wird die Verlockung riesig, in das vertraute Feld der Erwerbsarbeit zu flüchten.
Warum?
Bei den Männern scheint sich bei der Kinderbetreuung – obwohl sehr anstrengend und anspruchsvoll – ein weniger starkes Befriedigungserlebnis einzustellen als nach einem Arbeitstag im Büro. Wir müssen uns also die Frage stellen: Was muss passieren, auf gesellschaftlicher und individueller Ebene, damit sich Männer nicht nur aus Pflichtbewusstsein der Kinderbetreuung widmen?
Fällt es Männern schwer, ihre Ernährerrolle aufzugeben?
Ja, vielen Frauen aber auch. Väter von heute haben durchaus den Wunsch, flexibler und vor allem weniger zu arbeiten, das zeigen sowohl Untersuchungen als auch meine Alltagserfahrungen. Sie wollen sich dafür aber nicht zu sehr von ihrem Job lösen und versuchen, die Rolle des präsenten Vaters und des Ernährers gleichzeitig zu erfüllen: die Quadratur des Kreises, auf Kosten der Eigenzeit. Das rührt auch daher, dass unser Karriereumfeld noch immer sehr männlich geprägt ist: Nur ein Dauerperformer ist ein ernst zu nehmender Konkurrent.
Die Gleichstellungspolitik in der Schweiz scheint noch auf der Stelle zu treten. Woran liegt das?
Am fehlenden Willen. An schrägen Ideologien – Stichwort: «Familie ist Privatsache». An der Unfähigkeit, Gerechtigkeit um ihrer selbst willen einen Wert beizumessen. Gleichstellung kommt immer nur ein Schrittchen vorwärts, wenn sie sich «lohnt». Damit schaffen wir aber nicht gerechte Geschlechterverhältnisse, sondern helfen einfach den privilegiertesten Frauen, mit den privilegiertesten Männern gleichzuziehen.
Was könnte die Lösung sein?
Hinschauen, wo es wehtut. Wenn Männer immer mehr merken, dass sie nicht mehr die unhinterfragte gesellschaftliche Norm sind, tut das weh. Das ist verständlich, ändert aber nichts daran, dass sich die Entwicklung nicht aufhalten, sondern höchstens mitgestalten lässt. Auf Frauenseite wünsche ich mir eine kritische Haltung, gerade von feministischen Frauen, gegenüber dem Gleichstellungsfeminismus. Da wird uns doch heute etwas als Emanzipation verkauft, was letztlich eigentlich nur eine Imitation von männlichen Lebensverläufen ist. Ich gönne jeder einzelnen Frau ihre Karriere. Aber ich weigere mich, es als gesellschaftlichen Fortschritt zu werten, wenn sich Gleichstellung einfach darauf beschränkt, dass Frauen die Freiheit bekommen, sich selbst und andere auszubeuten, wie es bislang Männern vorbehalten war.
Und vor allem ohne Systemkritik.
Genau. Wobei ich dahingehend eine Verbesserung feststelle: Noch vor zehn Jahren habe ich die Systemgläubigkeit viel stärker erlebt. Ich habe den Eindruck, dass es jetzt eine neue Frauengeneration gibt – zwischen zwanzig und dreissig –, die sich wieder auf eine gute Art radikalisiert und unter Emanzipation etwas anderes versteht, als selber ein Arschloch zu werden.
Markus Theunert ist unter anderem Generalsekretär des Dachverbands Schweizer Männer- und Väterorganisationen, Gründer der «Männerzeitung» und Mitinitiant des Schweizer Vätertags. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und seiner 3-jährigen Tochter in Zürich.