In den USA mausert sich Marihuana gerade zur Lifestyle-Droge für gestresste Mütter. Und in der Schweiz? Das nüchterne Bekenntnis einer Pot Mom.
Kiffer haben fettige Haare und Gedächtnislücken, sie sind unzuverlässig, träge, tendenziell jung und vorwiegend männlich. Nur in seltensten Fällen sind Kiffer weiblich, um die vierzig, Akademikerinnen, gut verdienend, modebewusst. Und was Kiffer schon gar nicht sind: Mütter. Jedenfalls keine verantwortungsvollen. No way!
Auch ich hatte diese Bilder im Kopf. Nicht im Traum hätte ich mir ausgemalt, dass ich eines Tages, nachdem ich meinen Kindern aus «Babar auf Reisen» vorgelesen und Gutenachtküsse verteilt habe, mich auf den Balkon zurückziehe, um einen Joint zu rauchen. Kiffen gehörte in die Teenagerjahre, auf Openairs und Partys in besetzten Häusern. Ins Gestern. In eine Präkinderzeit also. Frau ist schliesslich erwachsen geworden, und Mami hat Verantwortung zu übernehmen.
Das mag jetzt vielleicht irritieren: Aber genau das mache ich seit kurzem, wenn ich abends Pot rauche. Ich übernehme Verantwortung. Für mich. Für mein Wohlbefinden. Das sollte man als Mami nämlich ab und zu unbedingt tun: aufs eigene Befinden achten. Ansonsten kann so einiges urplötzlich aus dem Ruder laufen. Wenn Sie Kinder haben, wissen Sie, wovon ich spreche: Stress. Man ist gereizt, wird laut, unsympathisch unausstehlich – und fühlt sich auch noch ständig schuldig deswegen. So was kann sich tief reinfressen ins Leben.
Bitte nicht falsch verstehen: Das soll jetzt kein Werbespot fürs Dauerbekifftsein werden. Ich rauche nicht täglich, ausschliesslich abends und in homöopathischen Dosen. Diese Typen, die ihre dicken Höllenschlote schneller drehen, als Lucky Luke seinen Revolver zieht, machen mir Angst. Ich will mich runterfahren und mich nicht ins Nirvana katapultieren. Letztlich weiss jede selber, was ihr guttut: ein Glas Rotwein, Joggen im Wald, Strampeln im Fitnessstudio. Bei mir ist es – und ich habe durchaus noch andere Hobbys – eben das Kiffen. Mit jedem Zug entspannt sich mein Körper, lösen sich die Gedanken. Für ein paar Stunden raus aus der Endlosschlaufe des Es-gibt-immer-was-zu-tun. Ich werde kreativ, stricke, was das Zeug hält, und manchmal werde ich auch redselig oder schmiede Zukunftspläne – die sich wahrscheinlich nie realisieren lassen werden. Aber egal, darum geht es nicht. Auch Träumen macht glücklich.
In den USA, wo das Kiffen mittlerweile in über der Hälfte aller fünfzig Bundesstaaten in der einen oder anderen Form legal ist und die Verteufelung von Cannabis wie einst die Alkoholprohibition «zu einem Relikt der amerikanischen Sittengeschichte» werden wird, wie der deutsche «Spiegel» schon vor einem Jahr prognostizierte, hat man die Rauchzeichen der Pot Mom längst erkannt. «Frauen sind sehr zugänglich für allerlei Produkte, die Entspannung versprechen», sagte kürzlich der Marketingleiter einer angesehen Marihuanaproduktionsfirma gegenüber der «New York Times». Gerade Mütter, die den Spagat zwischen Erwerbstätigkeit und Kindererziehung meistern müssen, sehnten sich danach, zu relaxen. Sich abends, wenn die Kleinen im Bett sind, in einen Let-it-be-Modus zu beamen und Welt und Wäscheberg durch die Voll-easy-Brille zu betrachten.
Blöd – und das ist auch der Grund, weshalb ich hier anonym schreibe – ist nur: In der Schweiz bemüht das Kiffen noch immer die alten Klischees. Wer kifft, ist Polo Hofer, sieht aus wie Polo Hofer oder benimmt sich wie Polo Hofer. Zudem ist der private Cannabiskonsum nach wie vor ein krimineller Akt, was meinen Lifestyle nicht eben an Kindergeburtstagen gern ein, zwei Wodkadrinks genehmigen. Voll easy. Stellen Sie sich nun aber vor, ich würde im Beisein meiner Kinder öffentlich an einem Joint ziehen – undenkbar!
In Amerika hingegen hat die Pot-Branche mit dem Milliardär Peter Thiel sogar schon den ersten Starinvestor. Denn die Cannabisindustrie erweist sich als finanzielle Goldgrube: Allein in Colorado macht sie ein Jahr nach der Legalisierung dreissig Millionen Dollar Umsatz – pro Monat. Die Firma, bei der sich der Paypal-Gründer Thiel nun eingekauft hat, will eine Art Starbucks der Kifferszene werden. Wer da zur Stammkundschaft gehören soll, ist unschwer zu erraten: Frauen zwischen dreissig und fünfzig Jahren. Studien zufolge waren just Frauen dieser Altersgruppe in den Bundestaaten Colorado und Washington die feurigsten Befürworterinnen des freien Kiffens – und haben an der Urne die entscheidenden Jastimmen gebracht. «Überrascht, dass die Mütter das neue Gesicht der Cannabislegalisierung sind?», fragte «The Cut», der renommierte Lifestyle-Blog des «New York Times»-Magazins, daraufhin rethorisch. – Not really.
Mit den Pot Moms lässt sich also gut Geld verdienen. Vorausgesetzt, die Verpackung stimmt – darauf stehen wir Frauen bekanntlich. Und so wird in den USA mittlerweile cannabis feminin gezüchtet. Marihuana, das nicht nur einen gemässigten THC-Gehalt aufweist, sondern auch so klingende Namen trägt wie Blue Cheese, Candy Kush oder Black Rose light. Aber auch Spezialangebote wie ein Wochenende unter Freundinnen auf einer Biofarm inklusive Indica-Raucherpackage kommen supergut an. Selbst auf Hochzeiten wird Cannabis unterdessen gern in die Feierlichkeiten eingebunden. So kann es durchaus vorkommen, dass die Braut einen Strauss, gespickt mit Marihuanablättern, in ihren Händen hält oder auf die Gäste im Hotelzimmer ein Geschenkpäckchen mit Joint und Cannabis-Lippenbalsam wartet.
Bis ich hierzulande als Mami so entspannt entspannen kann, wird good old Polo wahrscheinlich schon das Zeitliche gesegnet haben.