Wenn die Lust der Monogamie an ihre Grenzen stösst, gibt es verschiedene Lösungsansätze. Netflix präsentiert anhand der Serie «You Me Her» den der Polyamorie – schöne Menschen inklusive.
Jack und Emma. Beide etwas über Mitte dreissig, erfolgreich, gut ausehend und ziemlich zufrieden miteinander – und das seit zehn Jahren Beziehung. Was in der Ehe der zwei Vorzeigevorstädter fehlt, ist der Nachwuchs. Oder eben der Sex, der dieses Wunder herbeiführen soll. Der Alltag hat die Anziehung auf dem Gewissen. Nichts Aussergewöhnliches. Trotz Paartherapie und Wildkatzenschauspiel von Emma ist der Hund der beiden der Einzige, der im Schlafzimmer für Furore sorgt.
Würde es sich hier um eine romantische Comedy im klassischen Sinn handeln, würde er oder sie die Welt der monogamen Ehe verlassen und fremdgehen – das Desaster des Betrugs, der Lüge und der Entzweiung vorprogrammiert. Produzent John Scott Shepherd durchbricht diese gewohnten Normen der Film- und Serienwelt und spinnt die Geschichte von der Monogamie zur Polygamie bis zuletzt zur Polyamorie weiter.
Fremdgehen, was sonst?
Aber zu Beginn erst mal ein Klischee: Jack möchte seine Ehe aus der sexuellen Vertrocknung retten und sucht Rat bei seinem Bruder. Ein Proll von Mann, wie man ihn anders nicht darstellen könnte. Dieser rät Jack fremdzugehen. Am besten mit einer professionellen Escort. Der Liebe zuliebe, um den verlorenen Mojo – seine magische erotische Anziehungskraft – wiederzufinden. Geraten, gebucht, und schon sitzt Studentin – Schrägstrich – Gelegenheits-Escort Izzy als süsse Versuchung mit Jack im Hotelzimmer. Dieser stottert zwar wie ein Schulbub, bekommt die etwas verlorene Mittzwanzigerin aber im Handumdrehen zum Knutschen rum. Es folgt: Abbruch und Geständnis bei seiner Frau Emma. Also doch nicht so vorhersehbar das Ganze – denn üblicherweise hätte Jack hier mit Izzy eine heisse Affäre gestartet, und die Ehefrau hätte bis frühestens in der siebten Episode nichts wissend liebevoll das Abendessen zubereitet. Wie langweilig!
Emma will die Frau kennen lernen, die ihren Mann fast zum Seitensprung verführt hat. Stalked sie, trifft sie und lässt sich in Minuteneile sogar einen Footjob unter dem Tisch des Bistros verpassen. Keine zwei Episoden vergangen, und der Softporno ist gestartet. Die Serie überwältigt weiter mit einem Meer von Geständnissen und Ehrlichkeit, sodass auch Emma Jack ihre bisexuelle Vergangenheit offenlegt. Zur Belohnung gibts Sex auf dem Küchenboden. Denn was erfüllt eine Männerfantasie mehr, als wenn die eigene Frau mit der Nymphe seiner Träume rummacht? – Vielleicht, wenn er selbst mitmachen darf? Moment. Dazu kommen wir noch.
Perfekt verklemmt
Es dauert wenige Episoden, dann sind Emma und Jacks Scham über ihre Lust an der dritten Akteurin ihres Liebesspiels über Bord geworfen. Unerwartet: Man darf über Gefühle und Begierde offen sprechen. Es braucht aber Regeln! Deshalb beschliessen die beiden, die junge Studentin für ihre Dienste zu bezahlen. Weil sich das Ehepaar ab und an wie unreife Teenager verhält, lockert die selbstbewusste Izzy die sexuell angespannte Situation mit viel Alkohol, Marihuana und Extase auf. Der Softporno geht weiter, bis die Nachbarn davon Wind bekommen und der Sturm der Kritik losbricht. Denn in Portland, so scheint es in der Serie, sind alle schön und erfolgreich, machen viel Yoga für ihren Zen, sind aber zutiefst sexuell verklemmt.
Das Throuple hat also bis zum Schluss der ersten Staffel nicht nur mit seiner eigenen polyromantischen Identität zu hadern, sondern ebenfalls mit dem Gericht ihrer Aussenwelt. Letztendlich gesteht sich Emma ein: «Baby, es ist nur neu.» Eine Liebe zu dritt eben. Nicht mehr, nicht weniger wert. Einfach anders. Eine Liebe, die die standardisierten Konventionen und alten Muster durchbricht und dem Sinngeist von heute entspricht. Weil, das Beste zum Schluss: Die Geschichte ist von einem Artikel aus dem «Playboy» inspiriert und basiert auf einigen wahren Begebenheiten.
– Die erste Staffel gibt es auf Netflix zu sehen. Die zweite Staffel ist bereits abgedreht und soll voraussichtlich im Februar 2018 im deutschen Sprachraum erscheinen.