Als Erstes wäre es wohl angebracht, Ihnen zu gratulieren. Erst vor wenigen Tagen feierten Sie Ihren Geburtstag. 46 Jahre alt sind Sie. Das heisst, dass Sie seit 31 Jahren im Filmgeschäft sind. Ihre erste Rolle erhielten Sie für den Film «Lucas», das war 1986. Da spielten Sie die bubenhafte Rina, die sich mit den Aussenseitern ihrer Schule abgibt, weil sie selbst eben auch ein kleiner Freak ist. Nicht nur Story und Setting erinnern an «Stranger Things», sondern vor allem Ihr Aussehen. Es scheint, als wäre Ihnen Millie Bobby Brown wie aus dem Gesicht geschnitten, mit diesen grossen braunen Augen, dem Pixiehaarschnitt und dem spitzbübischen Lächeln. Mit der Rolle der Rina hat Ihre Karriere begonnen. Jetzt, so lautete das Echo schon nach der ersten Staffel der Netflix-Erfolgsserie, feiern Sie mit der Rolle der Joyce Byers in «Stranger Things» Ihr Comeback.
Dazwischen passierte viel. Die 90-er: Boyfriend Johnny Depp, der Film «Girl Interrupted», der eigentlich Ihre Karriere pushen sollte, stattdessen aber Angelina Jolie ins Rampenlicht brachte. Die Nullerjahre: «Es begann im September» und «Mr. Deeds», der Schmähpreis «Goldene Himbeere» und dann noch der Skandal um den Ladendiebstahl. Hollywood hatte Sie schon lange aufgegeben, ich hingegen nie. Ich mochte, dass Sie nie vorhersehbar handelten, eine Eigenschaft, die man in Hollywood oft vergebens sucht. Ich wusste, irgendwann kommen Sie zurück.
Dass Sie schauspielerisch etwas auf dem Kasten haben, beweisen Sie in «Stranger Things». Ihre Mimik – grossartig! Über die Hälfte der ersten Staffel spielen Sie eine hysterische, verzweifelte Mutter. Nicht viel besser geht es in der zweiten Staffel weiter. Sie können ganz wunderbar weinen, Winona Ryder. Aus Talksendungen weiss ich, dass Sie dazu keine Tricks verwenden, weil Sie auf die Tränen fördernden Tropfen, die in der Branche angewendet werden, allergisch sind. Sie faken keine Tränen, nein, Sie heulen noch authentisch.
Als Sie im Januar bei den Screen Actors Guild Awards mit Ihren «Stranger Things»-Crew auf der Bühne standen und Ihr Kollege David Harbour sich in seiner Dankesrede voller Verve gegen den ganzen Hass auf der Welt aussprach, tanzte Ihr Gesicht. Die Bilder Ihrer äusserst ausdrucksstarken Mimik gingen um die Welt. Manche lachten, andere wunderten sich. Ich hingegen war begeistert. Sie sind Schauspielerin und haben so viele Gesichter – was sollen Sie anderes tun, als mit Ihnen zu spielen?
Vor ein paar Monaten sagte mir eine Kollegin, ich erinnere sie an Sie. Was für ein Kompliment, dachte ich. Ich hoffe, dass ich nur ein bisschen von Ihrer Coolness und Schönheit besitze. Sie sind kein Hollywood-Sweetheart. Na und? Ich bevorzuge im Leben stets die Personen, die nicht den Konturen entlang malen. Sondern über den Rand hinaus.
Herzlich, Kerstin Hasse