Sie haben anstrengende Wochen hinter sich. Wochen, in denen die mediale Aufmerksamkeit sich voll und ganz auf Sie konzentrierte. Richtig recht konnten Sie es dabei niemandem machen. Zuerst wurden Sie im Oktober dafür kritisiert, dass Sie nicht schon gleich nach dem Erfolg Ihrer Partei bei den Nationalratswahlen bestätigten, dass Sie bei den Bundesratswahlen kandidieren werden. Als Sie dann Ihre Kandidatur verkündeten, wurden Sie für die Art und Weise Ihrer Kommunikation kritisiert. Und dann natürlich jetzt im Vorfeld der Wahlen wurden Sie attackiert, weil Sie es sich überhaupt erlaubten, einem amtierenden Bundesrat den Sitz streitig zu machen. Egal was und wie Sie es angingen – man liess kein gutes Haar an Ihnen. Damit rechneten Sie allerdings vermutlich schon. Denn als Frau kennen nicht nur Sie dieses Dilemma. Das richtige Mass an Dominanz oder Präsenz zu erreichen, ist fast unmöglich: Ist man eher zurückhaltend, wird man nicht ernst genommen, tritt man extrovertiert und selbstbewusst auf, wird man auch dafür kritisiert und als «besserwisserisch und rechthaberisch» bezeichnet, wie die Mitte-Fraktion das bei Ihnen tat.
Für mich ist diese Kritik an Ihrer Selbstsicherheit unverständlich. Denn auf mich wirken Sie nämlich authentisch und nicht arrogant. Ich mag mich täuschen, aber mir scheint, als seien Sie nicht der Aufmerksamkeit wegen Politikerin geworden. Sie agieren nicht als Marionette Ihrer Partei. Im Unterschied zu anderen Politikern sind sie nicht einfach einmal eingestiegen und haben dann geschaut, welche Partei Ihnen am meisten zusagt. Bei Ihnen, so kommt es mir vor, war die Mitgliedschaft bei der Grünen Partei eine Entscheidung, die mit Ihrer Lebenseinstellung zusammenhing und Ihre Werte widerspiegelte. Und es passte zu Ihrer Haltung, dass wir als Gesellschaft Verantwortung übernehmen müssen, um eine nachhaltige Entwicklung und eine bessere, klimafreundlichere Zukunft irgendwie zu ermöglichen. All das führte Sie – logisch! – zur Grünen Partei. Es machte eben Sinn, schon immer – und das gefällt mir.
Genauso machte es eben auch Sinn, dass Sie nach dem grossen Erfolg der Parlamentswahlen nun Ihre Partei und die grüne Wählerschaft im Bundesrat vertreten wollten. Auch wenn die Ausgangssituation äusserst undankbar war. Denn: Bestehende Bundesräte werden nicht abgewählt. Und: Es gab noch nie eine grüne Bundesrätin in der Geschichte des Schweizer Parlaments. Noch dazu sind sie ganz links angesiedelt, eine dritte Bundesrätin des linken Spektrums, die einem Vertreter des Tessins den Rang abläuft – das empfanden viele als übergriffig und unangebracht. Dennoch haben Sie sich der Wahl gestellt und damit viel Mut bewiesen.
«Regula Rytz klar gescheitert» wurde nach den Wahlen von vergangenem Mittwoch getitelt. Dabei ist genau das Gegenteil passiert. Ich war wohl nicht die Einzige, die besonders Ihretwegen die Wahl gespannt verfolgte – und auf eine Wiederholung dessen hoffte, was Eveline Widmer-Schlumpf bei Ihrer Wahl in den Bundesrat auslöste: dass alles mal wieder ein wenig durchgeschüttelt wird. Gespannt wartete ich dann auf die Auszählung und gespannt beobachtete ich Ihre Miene. Und ich fand es beeindruckend, mit anzusehen, wie Sie ohne mit der Wimper zu zucken die Fassung bewahrten, als Sie das Ergebnis hörten. Vielleicht reagierten Sie deswegen so vorbildlich, weil Sie an das grosse Ganze dachten. Und Ihre Nicht-Wahl mitnichten als Niederlage empfanden. Vielmehr war Ihr Antritt zur Wahl ein weiterer Schritt für Ihre Partei und somit auch für Ihre Werte. Das übergeordnete Ziel ist manchmal wichtiger, als ein persönlicher Erfolg – und das scheinen Sie zu begreifen.
Liebe Regula Rytz, Sie haben etwas Schwieriges versucht und mit immerhin 82 Stimmen einen nicht unwichtigen Zuspruch erhalten. Allein das macht Sie zu einer Gewinnerin. Und es macht Sie zu einem Vorbild für mich und zeigt mir einmal mehr, dass man ab und zu einfach etwas wagen muss.
Herzlich,
Jessica Prinz