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Liebe Rabab Kamal

Liebe Rabab Kamal

  • Text: Helene Aecherli; Foto: Mayada Elsaeid 

Ich begegne immer wieder Menschen, Frauen wie Männern, die mich nachhaltig beeindrucken, und die mich prägen, durch ihren Mut und ihr Engagement, aber auch dadurch, dass sie mir Erkenntnisse verschaffen, die mich weiterbringen in meinem Bestreben, die unerträgliche Vielschichtigkeit der Welt zu verstehen. Und einer dieser Menschen sind Sie. Ich weiss, das mag sich nun entsetzlich schwülstig anhören, und ich sehe Sie schon vor mir, wie Sie mir bei diesen Worten abwehrend die Hände entgegenstrecken, um mir Einhalt zu gebieten, und sagen: «Ach, übertreib nun mal nicht. Ich tue einfach, was ich tun muss.» Zugegeben, ich würde an Ihrer Stelle wohl ähnlich reagieren, trotzdem müssen diese Zeilen sein. Ich werde erst Ruhe geben, wenn sie geschrieben sind. Und keine Angst, das ist nun genug der Einleitung, kommen wir zum Punkt:

Ich widme Ihnen dieses Kompliment, weil Sie es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, der ägyptischen Zivilgesellschaft den Rücken zu stärken, deren Bürgerrechte gegen die Religion zu verteidigen, und damit ganz besonders Frauen zu mehr Rechten zu verhelfen. Ja, Sie plädieren sogar dezidiert dafür, der Religion jegliche Autorität abzusprechen, will sagen, Religion klar von jeglicher Gesetzgebung zu trennen. «Religion ist ein fundamentales Recht», betonen Sie, «aber sie ist kein fundamentalistisches Recht.» In dieser Form der Rhetorik zeigt sich die Kraft Ihrer Vorgehensweise: Sie argumentieren ganz ohne Polemik, sondern mit geschliffener Präzision und journalistischer Akribie, untermauern jede Ihrer Aussagen mit fundierten Recherchen, was Sie für Ihre Kritiker – sehr zu deren Ärger, natürlich – weniger angreifbar macht. Zugleich sind Sie getrieben von jener fast schon selbstlosen Leidenschaft, die Menschen eigen ist, die sich in den Dienst ihrer Gesellschaft stellen. Kurz: Sie sind für mich das Gesicht des Humanismus Ägyptens.

Wir begegneten einander vor gut einem halben Jahr in Kairo. Ich arbeitete an einer Reportage und kontaktierte Sie aufgrund der Empfehlung einer Freundin, die mir gesagt hatte: «Du musst Rabab kennen lernen. Sie ist einzigartig!» Wir verabredeten uns eines Abends in einem Café in der Nähe des Tahrir-Platzes. Sie waren ein bisschen zu spät, der Verkehr!, entschuldigten sich atemlos, zückten sofort Block und Kugelschreiber, um sich Stichworte unseres Gesprächs zu notieren und blickten mich mit einer wachen Aufmerksamkeit an, um die ich Sie sofort beneidete. Sie sind 38 Jahre alt, wirken auf den ersten Blick so stoisch wie fragil, sind Nachrichtensprecherin bei einem Radiosender, als wir uns trafen, befanden Sie sich sozusagen auf dem Weg ins Studio. Meistens, erklärten Sie mir, würden Sie die Spätschicht übernehmen, was Ihnen entgegenkommt, da Sie dann tagsüber an Ihren Büchern arbeiten können. In Ihrem neusten Buch beleuchten Sie die Denkweise von Salafisten und Jihadisten, in Ihrem letzten präsentierten Sie Ihre Recherchen zum Einfluss der Religion auf zivile Gesetze, die vor allem Frauen betreffen. In Ihren Werken widerspiegelt sich die ganze Palette Ihres Engagements als politische Aktivistin. Es wäre grossartig, wenn Sie sie auf Englisch übersetzen lassen könnten. Ihre Stimme würde über die Grenzen hinweg gehört.

Aber lassen Sie mich an dieser Stelle kurz ausholen: Zu Beginn der Revolution von 2011, des viel beschworenen «Arabischen Frühlings» waren die Hoffnungen und Erwartungen auf eine Demokratisierung der arabischen Nationen enorm, Ägypten als bevölkerungsreichstes arabisches Land sollte in diesem politischen Tauwetter gar eine Vorreiterrolle spielen. Dieser Frühling ist im gängigen Narrativ zwar längst zur Eiszeit erstarrt, doch blüht er bei genauerem Hinsehen weiter, sachte, aber unaufhaltsam – gerade dank der Frauen. Frauen haben begonnen, ihren Platz im öffentlichen Raum zurückzuerobern, brechen Konventionen, in dem sie sich etwa einer frühen Heirat verweigern, demonstrieren lautstark gegen sexualisierte Gewalt, fordern im Namen der Gleichstellung ihre Rechte ein und wagen es sogar, die Religion herauszufordern, etwas, das früher undenkbar war. «Denk gar nicht erst daran, da nachzubohren», hiess es. «Doch seit 2011 haben wir einen neuen Propheten – Google», erklären Sie, «und der verändert das Bewusstsein. Heute werden Fragen gestellt, wie: «Warum dürfen Männer eigentlich vier Ehefrauen haben?», oder: «Wenn Männer ins Paradies kommen, kriegen sie 72 Jungfrauen – und was bekommen wir?» Es ist ein gesellschaftlicher Wandel im Gang, von dem Sie ein Teil sind, und dem Sie eine entscheidende Prägung verleihen.

Konkret bedeutet das: Sie arbeiten zusammen mit lokalen NGOs darauf hin, dass Frauen künftig gleich viel erben wie Männer. Dass der Artikel 60 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird, der besagt, dass Vergehen nicht geahndet werden, wenn sie mit der Sharia, dem islamischen Rechtssystem, konform sind. Da der Koran den berüchtigten Vers enthält, der es Männern erlaubt, ihre Frauen zu züchtigen, gehen viele Männer, die gegenüber ihren Ehefrauen und Kindern gewalttätig sind, noch immer straffrei aus. Sie kämpfen nun für ein neues Gesetz, das häusliche Gewalt ahndet. Sie arbeiten darauf hin, dass Frauen kraft eines DNA-Tests berechtigt sind, eine Vaterschaftsklage zu führen, auch wenn sie nicht verheiratet sind. Sie fordern eine konsequente Kriminalisierung weiblicher Genitalverstümmelung. Sie erklären unmissverständlich: Eine Frau hat das alleinige Recht, über ihren Körper zu bestimmen. Der Körper einer Frau ist nicht das Eigentum ihres Clans oder ihrer Familie. Und: Sie prangern das sogenannte «disobedience law» an, das Ungehorsamkeitsgesetz, das es Ehemännern erlaubt, ihre Frau anzuzeigen, wenn diese nicht nach seinem Willen handelt. Im Jahr 2013 soll es zu 67000 Prozessen gekommen sein, in 19000 Fällen wurde dem Kläger Recht gegeben. Neuere Statistiken dazu, sagen Sie bedauernd, sind keine erhältlich. Doch das Ausmass der damaligen Zahlen spricht für sich.

Natürlich, Ihr Engagement hat Ihnen viel Beachtung und Bewunderung aber auch Hass und Todesdrohungen eingebracht. Sie haben sich irgendwann dafür entscheiden müssen, mit der dauernden Angst zu leben und sie in Energie umzuwandeln, statt sich von ihr blockieren zu lassen. Und das ist gut so. Denn ich bin überzeugt davon, dass Sie es schaffen werden, Ihre Gesellschaft vorwärtszubringen und damit auch die toxische Mischung aus Religion, Tradition und Patriarchat endgültig an den Pranger zu stellen. Eine Giftmischung, notabene, die keineswegs bloss in Ägypten vorherrscht, sondern in weiten Teilen der Welt noch immer Alltag ist, und die derzeit auch in westlichen Ländern wieder Aufwind hat. Ihr hartnäckiges Streben nach Gleichstellung mahnt uns Frauen in Europa zudem daran, dass Errungenschaften wie demokratische Freiheiten, Menschenrechte und die Emanzipation der Frau nicht einfach gegeben sind, sondern Willensakte, die immer wieder neu erkämpft und bestätigt werden müssen.

In diesem Sinne: Wir bleiben dran und machen weiter. Und treffen uns hoffentlich bald wieder mal auf einen Kaffee in Kairo. Das würde mich freuen.

Alles Liebe,

Helene Aecherli