Liebe Pipilotti Rist
- Text: Jessica Prinz; Foto: Getty Images
Sie faszinierten mich schon, bevor ich Sie überhaupt kannte. Zum ersten Mal bin ich mit Ihrer Kunst in St. Gallen auf dem roten Platz in Kontakt gekommen. Ich erinnere mich daran, wie ich mich damals – mit 13, vielleicht 14 Jahren – begeistert in diesem scheinbar mit knallroter Farbe übergossenen Wohnzimmer mitten in der grauen Stadt bewegte und eine grossartige, kindliche Begeisterung verspürte.
In meinem Studium an der Hochschule Luzern für Design und Kunst durfte ich mich dann intensiver mit Ihnen und Ihrer Kunst beschäftigen. Wir staunten über die Frau in «Ever Is All Over» und lachten darüber, dass uns Ihr Mund im Video «Mutaflor» verschlang und Ihr After wieder ausschied. Besonders lange aber analysierten wir Ihren Pickelporno. Sie kritisieren damit die moderne Pornografie, indem Sie die heute so gewünschte, maximale Sichtbarkeit des Körpers ausreizen und dadurch befremdlich wirken lassen.
Ich mag Ihre Kunst. Ich mag die Farben darin, die organischen Formen, die Direktheit, die Überblendungen, Verwischungen, die Überlagerungen. Besonders mag ich aber, dass ich mich als Betrachterin durch Ihre Kunst selbst hinterfrage. Auf positive Art weckt Ihre Kunst das Verlangen in mir, etwas verändern zu wollen – ohne mich wütend auf die Welt zu machen. Vielmehr lösen Sie Zuversicht in mir aus. Und auch wenn Sie mit Ihrer Aussage «Ich würde gerne daran glauben, dass Kunst die Welt verändern kann» Zweifel äussern, bin ich sicher, dass Kunst – insbesondere die Ihre – die Welt verändert.
Sie wollen nicht einfach schöne Bilder malen, sondern interpretieren immer wieder aufs Neue ein zentrales Thema, das unser aller Leben betrifft: die weibliche Körpermitte. Einige mögen das als belanglos erachten, Sie aber nicht. Und Ihr Erfolg zeigt, dass Sie damit recht haben. Nicht umsonst landen Sie seit Jahren auf der Liste der besten Kunstschaffenden weltweit – stets um den zehnten Platz herum. Auch wenn Ihnen das selbst nicht so viel bedeutet. Denn Sie sprechen lieber über andere als über sich selbst.
In Ihrer Kunst sowie in Ihrem Charakter steckt eine wunderbare Mischung aus kindlicher Naivität und gnadenloser Offenheit. Ich mag Ihren Mut, Dinge anzusprechen und sich zu exponieren, Pipilotti Rist. Genau so, wie ich Ihren Übermut mag. Ihre Furchtlosigkeit, Ihre Offenheit, Ihre Frechheit und Ihre Hemmungslosigkeit. Offensichtlich erinnern Sie nicht nur Ihres Namens wegen an die Kinderheldin Pippi Langstrumpf. Sie fürchten sich nämlich – genau wie Pippi – nie davor, jemandem nicht zu gefallen. Das spürt man auch in Ihrem Spielfilm «Pepperminta», Pippis Schwester im Geiste, aus dem ich zum Abschluss eine Stelle zitieren möchte, die mir besonders in Erinnerung blieb. Ein Mantra, das ich mir immer wieder innerlich vorsage: «Tu immer das, was du dich nicht traust!»
Ich überlege mir schon mal was fürs Wochenende.
Herzlich,
Jessica Prinz