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Liebe Oprah Winfrey

Liebe Oprah Winfrey

  • Text: Silvia Binggeli, Foto: GettyImages

Nein, liebe Oprah, Liebe auf den ersten Blick war es nicht. Als ich 1993 erstmals für ein Auslandsemester in die USA reiste, waren Sie dort schon fast zehn Jahre auf dem Bildschirm zu bewundern. Ihre TV-Show war bereits in «Oprah Show» umbenannt worden. Äusserst entschlossen, fast schon forsch hatten Sie als Talkmasterin mit brisanten Themen wie Missbrauch und menschlichen Schicksalen auf sich und Ihre Sendung aufmerksam gemacht.

Oh ja, Sie sind eine Show! Sie erheben Ihre tiefe eindringliche Stimme orkanmässig, um der Welt Ihre Meinung kundzutun. Ihre Botschaften werden als Lebensweisheiten um den Globus geschickt. Gekonnt dämpfen Sie Ihre Stimme situationsbedingt, scheuen sich als Fragestellerin in Interviews nicht, Intimes von sich preiszugeben, sodass Ihr Gegenüber nicht anders kann, als Mut und Vertrauen zu schöpfen. Und erzählt. So offenbarte etwa mein Jugendidol Whitney Houston bei Ihnen im Studio seine Drogenprobleme und ihre zerstörerische Beziehung zu Sänger Bobby Brown. Ihre Show war bis zur Einstellung 2011 die erfolgreichste in der TV-Geschichte. Sie, die laute schwarze Talkmasterin, setzen Massstäbe in einem Land, dessen Erfolg lange Weissen gehörte. Irgendwann lachten Sie, die erste afroamerikanische Milliardärin, sogar von Ihrer eigenen Zeitschrift. Bei jeder Ausgabe! Nein, Bescheidenheit ist Ihres nicht. An Ihnen kommt keiner vorbei. Nicht einmal Verkäuferinnen in Zürich: Sie müssen vor Ärger geschäumt haben, als Ihnen in einer Luxusboutique an der Bahnhofstrasse – angeblich – eine teure Tasche nicht gereicht wurde, weil die Verkäuferin in Ihnen keine potente Kundin sah. Rassismus! Wetterten Sie später, zurück in Amerika, im Fernsehen. Ich kann Ihnen versichern, die Verkäuferin weiss jetzt sehr genau, wer Sie sind.

Sie sind auch Schauspielerin. Im Film «The Color Purple» fielen Sie mir erstmals auf, Sie spielten neben Whoopie Goldberg eine stolze Frau aus einfachen Verhältnissen, die durch die Macht anderer gebrochen wird – und dann mit erhobenem Haupt wieder aufsteht. Sie haben in den von Kritikern gelobten Bürgerrechtsdramen «The Butler» (2013) und «Selma» (2014) mitgewirkt. In «Greenleafs», einer aktuellen Serie über eine dysfunktionale afroamerikanische Pastorenfamilie, geben Sie eine vom Leben gezeichnete Alkoholikerin. Sie haben die Serie selber produziert. Sie setzen sich für Bürgerrechte ein. Aber Sie scheuen sich auch nicht, die eigene Community kritisch zu hinterfragen. Mittlerweile leiten Sie Ihr eigenes Pay TV, Sie sind Autorin, Philantropin, Sie sind eine Institution. Warum sollten Sie leise sein?

Letzte Woche wurde Ihnen an den Golden Globes als erster Afroamerikanerin der begehrte Cecil B. De Mille Award verliehen. Ihre flammende Dankesrede bewegte die ganze Welt. Mit fast schon pastoraler Stimme machten Sie Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt Mut, für sich und für die Wahrheit einzustehen. Ihre Eltern waren beide minderjährig, als Sie geboren wurden. Mit elf Jahren wurden Sie missbraucht. Als Sie bei den Golden Globes dem vor Begeisterung stehenden Publikum mit unbestechlicher Überzeugung «A new day is on the horizon!» entgegenschmetterten, sah ich in den Gesichtern der meisten grösste Bewunderung; in anderen meinte ich auch ein wenig Angst zu erkennen. Was für eine Wucht! Sie bewegen.

Nun sollen Sie 2020 als Präsidentschaftskandidatin antreten. Die erste Frau, die erste schwarze Frau im Weissen Haus. Das wäre schon was. Ehrlicherweise würde ich Michelle Obama noch etwas lieber an dieser Stelle sehen. Ich halte sie für diplomatischer, ich glaube, sie könnte ihr Ego besser im Zaum halten, was in dieser Position ja nicht ganz unwichtig ist, wie wir derzeit eindrücklich ernüchternd miterleben. Sie sich im Zaum halten? Nein, das wäre eine Schande. Diplomatie wünsch ich Ihnen nicht liebe, Oprah Winfrey! Denn so viel unverfrorenes Selbstbewusstsein gibt es selten in einer einzigen Frau zu bewundern. Präsidentschaftskandidatin hin oder her: Werden Sie bloss nicht bescheiden!